Fontane mal anders: Effie Briest bricht aus

In comichafter Überspitzung zeigt das Theater Lübeck Moritz Franz Beichls Effi-Briest-Überschreibung: eher frei von als nach Theodor Fontane.

Zwei Schauspielerinnen auf der Bühne

Fast wie in Barbieland: Effie Briest auf pinkfarbener Bühne in Lübeck Foto: Sinje Hasheider/Theater Lübeck

LÜBECK taz | Als Repräsentationspüppchen wird eine 17-Jährige in den finanziell sicheren Ehehafen genötigt. Bald schon beginnt sie aus grenzenloser Beziehungslangeweile eine Affäre, woraufhin sich die Nebenbuhler mit Todesfolge duellieren. Das erzählt Theodor Fontane in seinem Roman „Effi Briest“, dessen Titelfigur mit Scheidung, Kontaktverlust zu ihrem Kind und sozialer Ächtung bestraft wird. Geopfert vom Autor, um seine Kritik am erstickenden Wertekanon im Deutschen Kaiserreich deutlich zu machen.

Rund 130 Jahre später hat Moritz Franz Beichl das für sein Schauspiel „Effi, Ach Effi Briest“ in einer Empowerment-Version erzählt, die derzeit in Lübeck gezeigt wird: Die Pro­tagonistin entscheidet sich, der pubertär aufgeheizten Kinderzimmerwelt zu entfliehen und in die echte Welt aufzubrechen.

Den ersten Schritt in die Freiheit wagt sie mit der Heirat eines wohlhabend biederen Karrieristen. Alle Liebesschmetterlinge im Bauch bringt aber ein anderes Mannsbild in Bewegung: Erfahrungen, die Ausgangspunkt sein können, einen eigenen Weg zu gehen.

Dafür hat Beichl den Erzählton Fontanes durch einen jugendfrisch kalauernden Text ersetzt, ihn mit feministischem Feenstaub sowie antikapitalistischem Konfetti dramatisiert und selbst 2022 am Wiener „Bronski & Grünberg“-Theater für die Uraufführung gesorgt. Regisseurin Maike Bouschen inszeniert diese Überschreibung jetzt am Theater Lübeck aus dem modischen Geist der Barbie-Renaissance.

Orgie in Pink

Die Bühne ist eine Orgie in Pink. Einhörner rotieren auf einem Kinderkarussell – als Bild für Effis noch ziellos um sich selbst kreiselnde Mädchentraumidylle, in der alle Erwachsenen bestens gelaunt, glitzernd geschminkt und schrill-albern kostümiert sind. Nur Kindermädchen Roswitha (Sonja Cariaso) tritt als beste Freundin for­ever in Schwarz gewandet forsch bis renitent auf und kommentiert vor der Bühne das Geschehen mit selbst geschriebenen Coming-of-age-Anleitungen im Plauderton.

Zu Beichls literarischer kommt also eine musikalische Transposition. Auf der Bühne wird die Handlung zudem zu Discokugelgelichter mit Pop-Hits illustriert, inszeniert als Musical-Parodien. Als kritisch gemeinter Gesangsjokus wird also zu den Fluchtplänen aus der Teenie-Welt „Favourite things“ von Big Brovaz’ intoniert, eine Aufzählung von Accessoires eines konsumorientierten Luxuslebens, das Effi für sich erhofft. Hinreißend, wenn Mutter Briest später Billie Eilishs Ode an den „Bad guy“ anstimmt und zwei männliche Geschöpfe des Ensembles dazu ein Blockflötenduett spendieren.

Anfangs gibt Luisa Böse als Effi noch die jugendliche Naiv­strahlerin, die eine „perfekte Frau“ zu werden vorhat: zuhörend, nickend, von allen geliebt und dem Mann ergeben, der ihr sagt, wo es langgeht. Da kontert natürlich Roswitha: „Nur normal ist wirklich richtig, / doch mit normal gibst du dich auf. / Finde raus, was du wirklich willst. / Am Ende brauchst du Biss und Ninja Skills.“

Die Regie setzt auf einen hübsch grotesken Ansatz. Mit Angeberposen stellt sich Baron von Innstetten der Effi vor, macht dann auch den Macho­affen mit Enrique Iglesias’ „Hero“ – und zündet eine Konfettikanone zwischen seinen Beinen, während Roswitha „Like a virgin“ kreischt. Mutter Briest fingert lüstern an ihrem stummen Mann herum und führt ihn an der Leine in den Swingerclub.

Theodor Fontane, Vorlagenautor

„Mich ekelt, was ich getan; aber was mich noch mehr ekelt, das ist eure Tugend“

Ein bisschen Queerness gibt es auch: Effis Lustprojektionsobjekt Crampas gibt die Karikatur des verwegenen Schönlings, trägt Satinbademantel und Lackschuhe, besprayt seinen Körper mit Wässerchen und erklärt, er hasse es, ein Mann zu sein: Darum kann auch aus dem Duell mit Innstetten eine homosexuell verklemmte Liebesszene zweier verunsicherter Männlichkeitsklischeedarsteller werden.

Häufig funktionieren solch grellbunte Comic-Zuspitzungen auf dem Theater nicht. In Lübeck aber bleibt stets eine Ambivalenz gewahrt, weil es dem fantastischen Ensemble gelingt, in der fidelen Oberflächlichkeit die Nöte der Figuren mitschwingen zu lassen: Effi ist hier vor allem eine an ihren Sehnsüchten verzweifelnde junge Frau. Am Ende holt die Regie als Moral von der Geschicht’ noch einen Satz aus dem Fontane-Roman in die Aufführung: „Mich ekelt, was ich getan; aber was mich noch mehr ekelt, das ist eure Tugend.“

Als Beleg erhebt Vater Briest erstmals seine Stimme, sagt sich von der Tochter los, der die Bühne rahmende Himmelsprospekt senkt sich herab, sichtbar wird die illusionslose Wirklichkeit, Effi und Roswitha könnten jetzt ins Freie – aber ein lautes Knackgeräusch durchzuckt die Heldin, als breche ihr Herz. So gibt es sogar noch eine originalgetreu tragische Wendung in der doppelbödigen Spaßspiellust.

Schauspiel „Effi, Ach Effi Briest“, 27. 1., 15. und 22. 2. sowie 2. 3., Theater Lübeck, Kammerspiele, jeweils 20 Uhr

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