Lust auf Land: Werbung für die Idylle

In Deutschland zieht es die Menschen vermehrt zurück in ländliche Gebiete. Initiativen wie „Gelobtes Land“ im Rhein-Hunsrück-Kreis unterstützen sie dabei.

Hunsrücker Landschaft mit Dörfern, Wald und Wiesen am Rand des Nationalparks Hunsrück-Hochwald mit Nebel an einem frühen Wintermorgen

Schön hier: der Hunsrück im Nebel Foto: Angelika Schmelzer/imageBroker/imago

Lange gingen die Wanderungsbewegungen der Bevölkerung in Deutschland nur in eine Richtung, nämlich rein in die Stadt. Seit Mitte der Neunzigerjahre bis etwa 2012 könne man von einer regelrechten Landflucht sprechen, sagt Catherina Hinz, Direktorin des Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung. „Schulen, Dorfläden und Kneipen sind reihenweise weggestorben.“

Doch Anfang der 2010er Jahre kehrte sich der Trend um. Viele Menschen zogen aus den Großstädten raus ins Umland. Mittlerweile weisen sogar die dünn besiedelten ländlichen Kreise die höchsten Nettozuwanderungsraten auf: Die Zahl der Zuzüge relativ zu der der Wegzüge ist dort am höchsten.

Verstärkt hat diesen Trend die Coronakrise. „Sie hat dafür gesorgt, dass Landleben wieder sexy geworden ist“, sagt Michael Boos, seit 12 Jahren Bürgermeister der Verbandsgemeinde Simmern-Rheinböllen im Rhein-Hunsrück-Kreis. Wäre es nach früheren Studien des Statistischen Bundesamts gegangen, hätte seine Gemeinde im letzten Jahrzehnt 10 Prozent der Bevölkerung verlieren müssen, sagt Boos. Doch es kam anders: Allein in den letzten zweieinhalb Jahren sind zu den 30.000 Ein­woh­ne­r*in­nen der Gemeinde 1.000 neu dazugekommen.

Das liegt einerseits an äußeren Faktoren wie der Verkehrsanbindung durch die Bundesstraße B50, von der aus es über die Autobahn A61 weiter nach Koblenz geht. Andererseits aber wurden vor Ort gezielte Anstrengungen unternommen: Vor fünf Jahren gründeten Boos und andere die Initiative „Gelobtes Land“ als Anlaufstelle für Menschen, die überlegen, aufs Land zu ziehen – aber Bedenken haben, ob das auch gutgeht.

Der Slogan „Komm ins gelobte Land“ habe bei ihnen ein neues Selbstbewusstsein geschaffen, sagt Bürgermeister Boos. Damit so ein Slogan greife, müsse man damit allerdings auch Ernst machen. „Manchmal bekomme ich jetzt Beschwerdemails von Bürgern mit der Begründung, dass so etwas im gelobten Land ja nicht sein könne“, sagt er und lacht.

Stellenausschreibung per Post

Doch so eine Initiative braucht ein Gesicht, und in diesem Fall ist es das Gesicht von Hannah Wagner (34). Wagner ist selbst Rückkehrerin, sie wuchs im Rhein-Hunsrück-Kreis auf, ging aber wie viele andere fürs Studium weg. Ihre Mutter schickte ihr vor einigen Jahren die Zeitungsanzeige mit der Stellenausschreibung für die Servicestelle bei Gelobtes Land. Nun vermittelt die Kulturwissenschaftlerin hauptberuflich zwischen Unternehmen in der Region und Menschen, die herkommen wollen, aber noch unsicher sind.

Die Gründe, warum die Leute aus der Stadt weg wollen, sind vielfältig. Steigende Mieten sind ein Problem, besonders junge Familien sind davon betroffen. „Wenn ich mit den Kindern auf den Spielplatz gehe und dann die Autos im Kreis drumherum fahren, ist das alles andere als naturnahes Aufwachsen“, sagt Hannah Wagner.

Etwa die Hälfte der Leute, die sie berät, seien selbst auf dem Land groß geworden und dächten tatsächlich über eine Rückkehr nach, sagt sie. Auch die Kinderbetreuung durch die Großeltern spiele dabei eine Rolle. Und die Klimakrise verstärke das Interesse am Landleben, etwa wenn es in Städten wegen unzureichender Begrünungskonzepte immer heißer wird.

„Die große Freiheit, die die Großstadt versprochen hat, konnte sie nicht halten“, sagt Bevölkerungsforscherin Catherina Hinz. In der Stadt sei es „sehr eng geworden“.

Dennoch haben viele Bedenken, den Schritt aufs Land zu machen. Rückkehrerin Anke Müller etwa schreibt auf der Webseite von Gelobtes Land, dass sie immer dachte, sie fände auf dem Land keine Arbeit. Müller hat Interkulturelle Pädagogik, Soziologie und Gender Studies studiert und war in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit tätig. Nun arbeitet sie an der Polizeihochschule in Büchenbeuren, wo sie als Dozentin interkulturelle Kompetenz unterrichtet.

Das Leben auf dem Land habe sie geerdet, schreibt Müller. Sie habe eine Nebenerwerbslandwirtschaft mit Schafen und Tannenbäumen aufgemacht. „Meine Tochter liebt es, draußen zu sein, und ich schätze die Bodenständigkeit und das Aufeinanderaufpassen im Dorf.“

Angst vor dem Ausschluss

„Aus unserer Forschung wissen wir: Es braucht diese Pioniere“, erklärt Catherina Hinz. Denn auch die Sorge davor, ausgeschlossen zu werden, halte Menschen davon ab, aufs Land zu ziehen. Eine Person zu kennen, die bereits dort lebt, kann dann schon einen Unterschied machen. „Manche Leute glauben noch immer, dass das Leben im Dorf irgendwie rückständig ist“, sagt Wagner. „Auch auf dem Land findet Veränderung, Fortschritt und Innovation statt.“

Wie sich die Stadt-Land-Bewegung weiterentwickelt, ist schwer vorauszusagen. „Langfristig wird das Land trotzdem altern und die Dörfer schrumpfen“, glaubt Catherina Hinz. „Aber eben etwas milder.“

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Es gebe ja auch nicht den einen ländlichen Raum, sagt Hannah Wagner. Zu viele verschiedene Faktoren spielten eine Rolle bei der Frage, wohin die Leute am Ende ziehen. Das weiß sie auch aus ihrer Mitarbeit im bundesweiten Netzwerk Hüben & Drüben, in dem sich 36 Rückkehrerinitiativen zusammengeschlossen haben. Nicht alle werden wie Gelobtes Land durch Unternehmen und die Kommune gefördert. Zum Teil sind es auch private Initiativen, Wohnprojekte oder Co-Working-Spaces. Sie eint, dass sie die Menschen dazu bringen wollen, nicht nur in die Vororte der großen Städte ausweichen, sonder sich einen Neuanfang in der Provinz zutrauen.

So wie Hannah Wagner. Mit ihrem Partner ist sie in die alte Schule im ­Ortskern des 268-Seelen-Dorfs Schönborn gezogen. 40 Jahren sei die leerstehende Schule der Schandfleck im Dorf gewesen, habe ein Nachbar damals zu Wagner gesagt. „Jetzt kommen die ­Menschen vorbei, erzählen, dass da, wo das Schlafzimmer ist, früher ihr Platz im Klassenzimmer war“, sagt sie. „Es fühlt sich an, als könnte man dem Dorf etwas zurückgeben, was es ver­loren hat.“

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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