Roland Ulbrich aus der AfD Sachsen: AfD-Jurist beruft sich auf NS-Gesetz

Der AfD-Bundesschiedsrichter Ulbrich hat sich in einem Urteil auf ein NS-Rassegesetz bezogen. Zudem gibt es neue Verbindungen zum Treffen in Potsdam.

AfD-Politiker Roland Ulbrich

AfD-Politiker Roland Ulbrich am 31. Januar im Sächsischen Landtag Foto: Robert Michael/dpa

BERLIN taz | Angetreten ist Roland Ulbrich aus der AfD Sachsen als Kandidat des völkischen Flügels und mit klaren Ansagen: Beim Parteitag von Riesa 2022 kritisierte er unter anderem den Rausschmiss des Rechtsextremisten Andreas Kalbitz und die „systemkonformen Tendenzen“ in der AfD. Er versprach, dass es mit ihm keine „PAV-Orgien“ mehr geben werde. PAV steht für Parteiausschlussverfahren. Kalbitz hatte unter anderem an einem Ferienlager in Hitlerjugend-Tradition der mittlerweile verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ teilgenommen.

Ulbrich wurde trotz all seiner markigen Versprechungen als Vizepräsident in das Bundesschiedsgericht gewählt – und hat Wort gehalten. Deswegen droht ihm nun selbst der Parteiausschluss. Am Dienstag teilte die AfD mit, dass Ulbrich infolge eines gegen ihn laufenden PAVs seines Landesverbands Sachsen als Vizepräsident des Bundesschiedsgerichts zurückgetreten ist. Am Mittwoch trat er auch aus der AfD-Landtagsfraktion in Sachsen aus. Zuvor hatte seine Fraktion ihm bereits ein mit dem Bundesvorstand abgestimmtes Parteiausschlussverfahren angekündigt, weil er „in schwerwiegender Weise gegen die Parteigrundsätze verstoßen“ habe.

Die Begründung war etwas nebulös: Ulbrich übernehme damit Verantwortung für den „Inhalt eines Eilbeschlusses, aus dem sich der Eindruck ergeben könnte, er mache sich mit seiner Rechtsprechung eine Begrifflichkeit und einen Rechtssatz des Nationalsozialismus zu eigen“, heißt es in der Mitteilung von Gereon Bollmann, dem Vorsitzenden des Bundesschiedsgerichts. Ulbrich bedaure den Fehler, ziehe mit seinem Rücktritt die erforderlichen Konsequenzen. Im Übrigen dankte Bollmann, selbst bekannt für völkische Umtriebe, ihm für seine bis dahin geleistete Arbeit.

Der taz liegt der zugrunde liegende Beschluss vom 11. Januar 2024 vor. Ulbrich hat darin in einem Parteiordnungsverfahren entzogene Mitgliedsrechte wiederhergestellt: Für ihn war es offenbar keinen sofortigen Parteiausschluss und keine Ordnungsmaßnahme wert, dass Manuela P. aus Wuppertal auf Facebook eine Datei mit dem Titel „Shoot Refugees“ („erschieße Flüchtlinge“) mit „Stop Refugees“ überschrieben habe, gleichwohl der Originaltext erkennbar gewesen sei. Darüber hinaus sei ihr vorgeworfen worden, dass sie sich „trotz ihrer polnischen Abstammung als ‚arisch‘ bezeichnet“ habe, also mit „einem Begriff aus der nationalsozialistischen Rassenideologie“. Auch wegen der unbedachten Äußerungen habe das Landesschiedsgericht von NRW ihre Mitgliedsrechte entzogen.

Verweis aufs „Reichsbürgergesetz von 1935“

Das Bundesschiedsgericht verwirft die Entscheidung aus NRW und begründet das so: Zum einen sei „die polnische Sprache als slawische Sprache den arischen Sprachen zuzuordnen“. Zudem erschließe sich nicht, „wieso der Begriff ‚arisch‘ der nationalsozialistischen Rassenideologie zuzuordnen ist“, wie es im Beschluss heißt. Als Beleg verweist das Urteil eben auf eines der antisemitischen Nürnberger Rassegesetze, so als wäre es normale Rechtsmaterie: „Insofern sei nur auf das Reichsbürgergesetz vom 15.09.1935 hingewiesen, in dem in § 2 I geregelt ist, dass Reichsbürger nur der Staatsbürger sei, der deutschen oder artverwandten Blutes sei“. Danach schließt die kurze Begründung des Urteils mit der Rechtsbehelfsbelehrung: „Dieser Beschluss ist innerparteilich unanfechtbar.“

Verantwortlich zeichnen, neben dem nun zurückgetretenen Roland Ulbrich, für den Beschluss noch die weiteren Bundesschiedsrichter Richard Albrecht sowie der saarländische AfD-Bundestagsabgeordnete Christian Wirth, der im Juli 2023 ins Bundesschiedsgericht gewählt wurde. Auf eine Anfrage zu Konsequenzen für Wirth und Albrecht äußerte sich der Präsident des Bundesschiedsgerichts nicht näher. Wirth ist allerdings ebenfalls aktuell auf der Website nicht als Bundesschiedsrichter aufgeführt, eine nähere Begründung dafür lieferte Präsident Bollmann dafür auf Anfrage nicht.

Mit dem im AfD-Urteil zitierten ersten der Nürnberger Rassegesetze beschloss der NS-Staat eine rassistische Zweiklassengesellschaft. Die Nationalsozialisten institutionalisierten mit den Gesetzen ihre antisemitische Ideologie: Juden durften danach weder wählen noch ein öffentliches Amt bekleiden.

Beschluss mittlerweile teils widerrufen

In einem weiteren Beschluss vom 28. Januar 2024 widerruft das Bundesschiedsgericht den Teil des Beschlusses, in dem es auf das NS-Rassegesetz verwies. Nach einem Widerspruch ist den AfD-Richtern wohl doch aufgefallen, dass die nationalsozialistischen Rassegesetze seit 1945 nicht mehr gelten. Sie schreiben darin: Zwar seien die Entscheidungen des Bundesschiedsgerichts grundsätzlich nicht anfechtbar, der „vorliegende Antrag“ sei jedoch „als außergesetzlicher Rechtsbehelf der Gegenvorstellung zu behandeln“.

Im Übrigen habe der Beschluss aber Bestand: Das AfD-Mitglied P. aus Wuppertal bekommt also ihre Mitgliedsrechte zunächst zurück, obwohl sie auf Facebook eine Datei mit „Shoot Refugees“ geteilt hat und sich selbst auf Instagram-Posts als „arisch“ bezeichnet.

Überregional bekannt geworden war Ulbrich auch für seine Äußerungen nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle 2019. Damals twitterte der AfD-Landtagsabgeordnete zynisch: „Was ist schlimmer, eine beschädigte Synagogentür oder zwei getötete Deutsche?“

Brisant auch: Der gebürtige Düsseldorfer Ulbrich, der seit 1992 eine Kanzlei für Strafrecht in Leipzig hat, ist nicht nur Landtagsabgeordneter und AfD-Stadtrat in Leipzig, sondern soll auch bei der sächsischen Kommunalwahl im Juni für die AfD antreten. Ebenso hat ihn die AfD Sachsen Ende November in seinem Wahlkreis zum Direktkandidaten gewählt – einstimmig, wie die Sächsische Zeitung schreibt. Ulbrich kündigte im November als Wahlversprechen demnach einen Gesetzentwurf an, „nach dem nur Deutsche in Sachsen ein umfassendes Demonstrationsrecht haben sollen“.

AfD tiefer verwickelt in Potsdamer Geheimtreffen

Für Aufsehen sorgten unterdessen auch weitere bekannt gewordene Details zum Treffen von Neonazis, Unternehmern und AfD-Politikern in Potsdam. Dort hatte der rechtsextreme Kopf der Identitären Bewegung Martin Sellner seine Pläne für massenhafte Abschiebungen auch von Deutschen mit Migrationshintergrund vorgestellt. Sellner schlug dafür laut Correctiv „maßgeschneiderte Gesetze“ vor, die „hohen Anpassungsdruck“ auf aus seiner Sicht „nicht assimilierte“ Staatsangehörige ausüben soll.

Die AfD hatte das Treffen in einer Potsdamer Villa als „Privattreffen“ abgetan, obwohl auch Roland Hartwig dabei war, der die Ergebnisse in die Partei tragen wollte und persönlicher Referent von Parteichefin Alice Weidel war. Diese distanzierte sich formal mit dessen Rausschmiss, ansonsten ist die AfD derzeit wahlweise darum bemüht, die Recherche zu diskreditieren, millionenfache Abschiebepläne zu bekräftigen oder sich von den skizzierten Plänen zu distanzieren – obwohl der in der AfD mächtige Thüringen-Chef Björn Höcke ähnliche Vorhaben bereits vor Jahren in seinem Buch skizzierte.

Nun gerät die AfD angesichts neuer Verstrickungen aber weiter in Erklärungsnot: So haben Süddeutsche, WDR und NDR recherchiert, dass ein weiterer Teilnehmer des Treffens, Arne Friedrich Mörig, Sohn des rechtsextremen Organisators Gernot Mörig, ebenfalls auf der Gehaltsliste der AfD stand. Er sei vom Bundesvorstand aus Weidels Topf bezahlt worden und soll sich bei der AfD um Social Media gekümmert haben. Beim Treffen habe Mörig junior in Potsdam einen Vortrag über die Idee einer rechten Influencer-Agentur gehalten, die er später auch dem Bundesvorstand präsentiert haben soll.

Bei dem Treffen sollte von Un­ter­neh­me­r*in­nen auch Geld für die vorgestellten rechtsextremen Projekte eingeworben werden. Und auch hier gibt es laut der Recherche neue Verbindungen zur AfD: Die Spendengelder sollen direkt über das Privatkonto von Thomas Grebien gelaufen sein, der wiederum der Schwager des Organisators Mörig senior ist. Grebien ist im AfD-Kreisvorstand im schleswig-holsteinischen Kreis Plön. Seit Bekanntwerden des Geheimtreffens in Potsdam inklusive der dort verhandelten verfassungswidrigen Pläne gehen bundesweit Hunderttausende gegen die AfD auf die Straße.

Ehemalige AfD-Richterin terrorverdächtig

Auch das höchste Parteigericht ist schon länger für rechtsextreme Verstrickungen bekannt: Im Dezember 2022 schied etwa die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete und damalige Richterin am Landgericht Birgit Malsack-Winkemann unerwartet aus, weil sie bei einer bundesweiten Anti-Terror-Razzia von der Polizei festgenommen wurde. Sie soll zusammen mit Reichs­bür­ge­r*in­nen einen bewaffneten Putschversuch geplant haben; ihr droht eine Anklage wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung.

Trotz der schwerwiegenden Vorwürfe scheint die Solidarität gegenüber der terrorverdächtigen Malsack-Winkemann in der AfD nicht abgerissen zu sein: Sie bekommt in Untersuchungshaft offenbar regelmäßig Besuch aus der Bundestagsfraktion: Drei Bundestagsabgeordnete haben laut einem Bericht des Sterns Dauergenehmigungen zum Besuch der mutmaßlichen Rechtsterroristin: Steffen Kotré aus Brandenburg, Jürgen Pohl aus Thüringen und ebenso der nach wie vor amtierende Präsident des Bundesschiedsgerichts Gereon Bollmann. Das stört innerhalb der Partei aber offenbar niemanden.

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