Ausstellung im Düsseldorfer Kunstpalast: Eine Frage des Formats

Im Düsseldorfer Kunstpalast untersucht die Ausstellung „Size Matters“ die Fotokunst hinsichtlich der Bedeutung von Größenverhältnissen.

Ein junge mit blauem Hut schwimmt im Wasser, durch ein Smartphone wird er herangezoomt

Morgaine Schäfer, magnify BWS 1516 (floating head), 2021, Kunstpalast, Düsseldorf Foto: Morgaine Schäfer, VG Bild-Kunst, Bonn

Wie wirksam schiere Größe sein kann, bewies Wladimir Putins Sechsmetertisch, an dem er Emmanuel Macron zu Beginn der Ukrainekrise noch vor Kriegsbeginn im Kreml empfing. Das Möbelmonster wirkte einschüchternd und fungierte als überdeutliches Bild für machtpolitische Überlegenheit.

Größe kann ebenso begeistern wie ängstigen und kann Bewunderung für Talent und Können ausdrücken. Größe ist also, ganz allgemein gesprochen, sowohl etwas sehr Konkretes, Messbares als auch etwas sehr Relatives, Wertendes und Imaginäres.

Größe in der Fotografie ist mindestens so komplex wie Größe schlechthin. Die Ausstellung „Size Matters“ verhandelt im Düsseldorfer Kunstpalast Formatfragen und Größenverhältnisse in der Fotografie, klammert tiefer gehende philosophische oder gar politische Fragen jedoch weitgehend aus.

Dafür reklamiert sie für sich, die erste Ausstellung überhaupt zu sein, die das eigentlich sehr Naheliegende tut für eine Kunstform, deren grundlegende Eigenart darin besteht, im Format variabel zu sein: nämlich Fragen nach der Bedeutung der Größenverhältnisse in der Fotografie zu untersuchen.

„Size Matters“, Kunstpalast Düsseldorf, bis 20. Mai 2024

Denn wenn in der Malerei das Format feststeht, bevor das eigentliche Werk überhaupt erst entsteht, ist eben jede fotografische Aufnahme – zumindest unter den heutigen Bedingungen des Digitalen – skalierbar, man kann sie riesig aufblasen oder verkleinern auf Daumennagelgröße zum sogenannten Thumbnail, hochziehen zum Banner, zum Plakat oder in ­Passfotogröße und als Smartphonefoto mit sich herumtragen.

Die Ausstellung geht von den Beständen der eigenen Fotosammlung aus, natürlich sind Werke der Düsseldorfer Fotoschule prominent vertreten: darunter die dokumentarischen Industriedenkmäler­porträts der Gründer dieser Tradition, Bernd und Hilla Becher, eine Porträt­serie von Thomas Ruff, das ikonische Großfoto eines Madonna-Konzerts von Andreas Gursky mit der winzigen Künstlerin im Kraftzentrum des Wimmelbilds und eine verwirrend raffinierte Arbeit von Alex Grein, die bei Gursky studierte.

Grein jongliert mit absurden Größenverschiebungen und lichtete ein scheinbar gigantisches Lorbeerblatt vor einer banalen Zimmertür ab. Digitale Bildmontage? Nein, Grein platzierte den kleinen Zweig direkt vor die Kamera.

Historisch breitet die Schau den ganzen Kosmos des Mediums aus – von den experimentellen Anfängen über briefmarkengroße Medaillonfotos mit Lupen zur Vergrößerung bis zu privaten Familienfotoalben der mittleren Jahre des 20. Jahrhunderts – und beleuchtet intensiv den Aufstieg der Fotokunst, bis sie schließlich im Belanglosen des alles mitreißenden Bildertsunamis der Instagram-Gegenwart versickert.

Teils etwas gravitätisch überschriebene Kapitel sollen dem Reigen Struktur geben. Das Team um Linda Conze, Leiterin der Fotosammlung des Kunstpalastes und Kuratorin der Ausstellung, zitiert etwa den „Maßstab der Welt“, an dem laut Susan ­Sontags Analyse der 1970er Jahre die ­Fotografie „bastelt“.

Unter der Überschrift „Die Befreiung der Dinge“ sind Arbeiten der Neuen Sachlichkeit zu sehen, die durch das Spiel mit Nahaufnahmen und isolierten Einzelheiten den Blick schärfen, etwa die titellose Nahaufnahme von filterlosen Zigaretten mit dem Kopf eines Streichholzes von Photo Haus Bardorf (zugeschrieben Katt Both), wobei der Streichholzkopf als Orientierung dient, denn die Zigaretten erinnern aus der Nahsicht an gigantische Bündel undefinierbaren Materials. Oder Karl Blossfeldts berühmte Pflanzenfotografien, die in Vergrößerung ornamentale Strukturen gewinnen.

Wie wachsende Größe mit einer Bedeutungskarriere einhergehen kann, ist an einer Serie von Thomas Ruff zu studieren: 1984 fotografierte er seine Akademiekollegen: kleine Por­träts, die nicht viel hermachten. Später zog er die Fotos hoch zu einem mittleren Format, das ästhetisch kaum Mehrwert hatte.

Großer Baum im Hintergrund vor dem ein angebissener grüner Apfel liegt, der die Dimension eines Autos hat

Kathrin Sonntag, Dinge im Hintergrund #4, 2022 Foto: Kathrin Sonntag, Courtesy Kadel Willborn, Düsseldorf

Erst als er die Aufnahmen 1987 vor weißem Grund ins Riesenformat hochzog, entstand etwas ganz Neues: Gesichter wurden zu befremdlichen Großstrukturen, abweisend in ihrer bedrängenden Nähe, verstörend kühl trotz ihrer unperfekten Details, der Pickel, Härchen, Unreinheiten.

Ein Beispiel für den Bedeutungswandel durch Größe und für das Spiel mit Anordnungen ist Kathrin Sonntags „Dinge im Hintergrund #4“, das auch als Plakatmotiv der Ausstellung fungiert: Im Original ist das Werk 110 mal 73 Zentimeter groß und zeigt einen riesengroßen Apfel vor einem Baum in offenbar natürlicher Größe. Aber vielleicht ist es auch andersherum? Der Apfel ist original groß, aber der Baum verkleinert? Tatsächlich wurde der Apfel vor dem Foto des Baums fotografiert. In der Ausstellung ist Sonntags Arbeit Kunst, als Plakat und als Einladungskarte ist es Werbung.

In einem „­Fotoalbumzimmer“ sind Familienalben an der Wand gestapelt und sepiabraune Schnappschüsse der 1970er Jahre vergrößert an die Wände gehängt: ein Beleg dafür, dass nicht jedes Fotos zur Vergrößerung taugt oder dadurch an Bedeutung gewinnt.

Verwirrend und bei der Preview noch schlecht beschriftet sind zwei silbern glänzende abstrakte skulpturale Objekte, deren Oberflächenästhetik an Jeff ­Koons’ „Balloon Dogs“ erinnert: „The Nanjing Particles“ von Simon Starling sind nichts anderes als millionenfach vergrößerte Sibergelatine-Bildstückchen einer Fotografie aus dem 19. Jahrhundert.

Nach Bildern von Smart­phone­displays von Morgaine Schäfer, die mit Zoom­funk­tio­nen und Unschärfen durch Vergrößerungen spielen, mündet die Schau in einen Raum, der tapeziert ist mit einer Bilderflut: Evan Roths „Since You Were Born“ zeigt den Ausdruck dessen, was sich am Tag der Geburt seiner Tochter im Bilder-Cache seines Internetbrowsers so fand. Optisch überwältigend, aber wenig überraschend.

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