Verfahrensbeiständin über Familienstreit: „Manipulation spielt große Rolle“

Wenn Eltern sich vor Gericht streiten, sollten Kinder immer eine Interessenvertretung bekommen, fordert Verfahrensbeiständin Kristina Blaas.

Verfahrensbeiständin Kristina Blaas.

Kristina Blaas, 33, ist nebenberuflich als Verfahrensbeiständin sowie in der Jugendhilfe tätig Foto: Karlotta Ehrenberg

taz: Frau Blaas, mit was für Verfahren haben Sie an Berliner Familiengerichten zu tun?

Kristina Blaas: Unterschiedlich. Das fängt bei ganz kleinen Konflikten an wie einem Streit über eine Urlaubsreise und geht bis zum Entzug des Sorgerechts. Viele Fälle sind hochstrittig, den Eltern scheint es oft nur noch darum zu gehen, den anderen fertigzumachen. Die Kinder geraten hier schnell aus dem Fokus.

Wie gehen Sie da vor?

Ich versuche, das Kind mindestens einmal mit der Mutter und einmal mit dem Vater zu treffen. Viele Kinder stecken in einem Loyalitätskonflikt, sie haben Angst, ihre Eltern zu verletzen oder zu verärgern. Nach einer kurzen Aufklärung im Beisein der Eltern spreche ich mit dem Kind allein. Im Gespräch ist es wichtig, empathisch zu sein und offen zu bleiben. Vorschnelle Urteile muss ich genauso vermeiden wie Fragen, die nur eine Antwort zulassen.

An den vier Berliner Familiengerichten wurden im Jahr 2022 insgesamt 2.739 Umgangs- und 8.354 Sorgerechtsverfahren geführt. Nur bei rund der Hälfte (5.216) erhielten die Kinder Unterstützung durch einen Verfahrensbeistand. Am Oberlandesgericht waren es nur 45 bei 470 Verfahren. Ein Beistand bekommt eine Pauschale von 350 bzw. 550 Euro. Bei durchschnittlich 42 Stunden pro Verfahren liegt der Stundenlohn bei 12,50 bzw. 19,60 Euro. Viel zu wenig, finden Fachverbände.

Die Wohnung ist aufgeräumt und Sie werden gut bewirtet.

Ja, auch. (lacht) Häufig merke ich, dass die Kinder vorbereitet wurden, weil sie zum Beispiel Ausdrücke verwenden, die nicht altersgerecht sind. Meine Aufgabe ist es dann, den Kindern zu vermitteln, dass sie mir alles sagen können und dass ich helfe, ihre Wünsche den Eltern zu erklären. Auch mache ich ihnen klar, dass sie ihre Meinung jederzeit ändern können, auch noch bei der Anhörung vor Gericht.

Aber ist es nicht schwer für Kinder, sich überhaupt eine Meinung zu bilden?

Manche wissen schlicht nicht, was sie sich wünschen. oder es ist ihnen egal. Und das schreibe ich dann auch so in meinen Berichten. Darin steht aber noch anderes, denn ich spreche ja nicht nur mit dem Kind, sondern beobachte es auch ganz genau. Wie es sich zu den Eltern verhält, wie es über sie und auch sich selbst spricht … Außerdem unterhalte ich mich mit beiden Eltern ausführlich und meist auch mit weiteren Personen aus dem Umfeld.

Sind Sie also so etwas wie eine Detektivin?

Nein, auch wenn das viele Eltern denken. Ich spreche das ganz offen an und sage, dass ich nicht da bin, um den Konflikt der Eltern aufzuklären. Mir geht es allein um das Kind. Alles, was ich tue, dient dazu zu ermitteln, was es sich wünscht und welche Lösung am besten wäre.

Woran machen Sie das Kindeswohl fest?

Das lässt sich so allgemein nicht sagen. Jedes Kind hat andere Bedürfnisse. Das gilt auch für Geschwister. Zum Beispiel hat mir neulich eine ältere Schwester gesagt, dass sie gerne alle paar Tage zwischen Mutter und Vater hin und her wechseln würde, ihr kleiner Bruder braucht dagegen ein festeres Modell. Für die Eltern bedeutet das mehr Aufwand, aber um die geht es hier nicht.

Die Anwältin Asha Hedayati beklagt in ihrem Buch „Die stille Gewalt“, dass der Umgang beider Eltern eine Doktrin an Familiengerichten ist. Weshalb der Umgang mit gewalttätigen Vätern häufig aufrechterhalten wird. Erleben Sie das auch?

Ja, das kenne ich auch aus meiner Tätigkeit in einer Kleinkindkriseneinrichtung. Oft wird zu sehr auf die rechtliche Seite gehört – das Umgangsrecht wird sehr hoch bewertet –, anstatt das Wohl des Kindes zu priorisieren. Ich würde zwar nicht per se sagen, dass Kinder keinen Umgang mehr haben dürfen, wenn es in der Vergangenheit Gewalt gab, aber wenn das Kind deutlich macht, dass es keinen Umgang will, muss darauf auch gehört werden.

Hat die Haltung der Fa­mi­li­en­rich­te­r:in­nen damit zu tun, dass sie in Sachen häusliche Gewalt nicht ausreichend ausgebildet sind?

Bei Verfahrensbeiständen ist das auf jeden Fall so. Je nach Ausbildung wird dieses Thema mehr oder weniger stark bearbeitet. Teilweise werden häusliche Gewalt oder Kindesmissbrauch nur am Rande angeschnitten. Viele Beistände sind von Haus aus Ju­ris­t:in­nen und mit diesen Themen beruflich oftmals noch nie in Berührung gekommen.

Müsste nicht schon bei Verdacht auf häusliche Gewalt der Umgang präventiv ausgesetzt werden?

In solchen Situationen plädiere ich für einen begleiteten Umgang, der in einem geschützten Rahmen, also im Beisein von Fachkräften, stattfindet. Das ist zwar auch kritisch zu betrachten, weil man sich hier natürlich verstellen kann, woraufhin der Umgang dann wieder unbegleitet wird …

… und es wieder zu Gewalt kommt. Ein Grund, warum der Europarat Deutschland gerügt hat, das in der Istanbul Konvention festgeschriebene Recht auf Gewaltschutz für Frauen und Kinder zu vernachlässigen. Aber zu einem anderen Kritikpunkt Hedayatis: Stimmt es, dass Müttern bei Gericht häufig unterstellt wird, mit einem „Mutterbonus“ die Kinder an sich zu binden?

Die Manipulation der Kinder spielt natürlich eine große Rolle in den Verfahren, aber meiner Erfahrung nach machen das Mütter genauso wie Väter.

Ihre Empfehlung beeinflusst den Richterspruch maßgeblich, Sie tragen eine große Verantwortung. Kann man da gut schlafen?

In der Regel: ja. Nur wenn ich mir nicht ganz sicher bin, bekomme ich Schlafprobleme. Dann weiß ich, dass ich noch weitere Gespräche führen muss. Das ist meistens auch möglich. Über besonders schwierige Fälle tausche ich mich außerdem mit einem Kollegen aus.

Was muss sich an Berliner Familiengerichten verbessern?

Dass Kinder bei Verfahren immer einen Beistand bekommen, also nicht nur bei Bedarf. Meine Arbeit besteht auch darin, dem Kind zu erklären, wie das abläuft bei Gericht. So eine Vorbereitung braucht jedes Kind. Außerdem: Die Eltern haben doch auch Anwälte, warum dann nicht die Kinder? Schließlich geht es hier doch um sie.

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