Clubkommission über Krieg im Nahen Osten: „Dieser Konflikt zerreißt die Szene“

Sascha Disselkamp von der Clubcommission Berlin sieht die Clubszene seit dem 7. Oktober stark polarisiert. Für ihn gibt es keinen Raum für Antisemitismus.

Portait von Sascha Disselkamp

Haltung in der Clubszene: Sascha Disselkamp in seinem Sage Restaurant Foto: Steafnie Loos

wochentaz: Herr Disselkamp, seit dem 7. Oktober scheint die Clubszene in Berlin polarisierter denn je zu sein. Es kommt zu Anfeindungen, Boykott­aufrufen, Shitstorms gegen Personen und Institutionen, die als „proisraelisch“ gelten. Solidarität mit den Ermordeten und Entführten des Supernova-Festivals hört man aber kaum. Woran liegt das?

Sascha Disselkamp: Also aus meiner Sicht ist der Angriff auf das Supernova-Festival das Schlimmste, was der Clubszene passieren konnte. Es ist ein Bruch mit der Zivilisation, ein absichtlicher Angriff auf friedlich feiernde unschuldige Menschen, der durch nichts zu rechtfertigen ist. Und ich glaube, das sieht auch kaum jemand in unserer Szene anders.

Wirklich? Es gibt durchaus einige laute Stimmen in der Clubszene, die den Terror der Hamas als antikolonialen Widerstand feiern. Wo bleibt aber der Aufschrei, dass ein Festival angegriffen wurde?

Dass es nicht überall eine starke Ablehnung dieser Grausamkeit gibt – nicht nur in der Berliner Clubszene, sondern auch weltweit, auf der Straße, an den Universitäten –, finde ich sehr verwunderlich. Diese Einstellung macht mir wirklich Sorgen. Aber die allermeisten in der Szene, wahrscheinlich die schweigende Mehrheit, sind sehr bestürzt darüber. Ich will sie ermutigen, endlich den Mund aufzumachen.

Die Berliner Clubcommission, in deren Vorstand Sie sind, hätte eine Solidaritätskampagne für das Supernova machen können. Oder über Antisemitismus in der Szene aufklären können, wie sie es mit der Awareness-Akademie zum Thema Rassismus bereits seit einigen Jahren tut. Stattdessen hat man das Gefühl, sie duckt sich vor einer Auseinandersetzung mit dem Thema, um einen Konflikt zu vermeiden …

Tut sie das? Es ist gerade nicht leicht, sich zu diesem Thema zu äußern. Ich kann nur sagen: Wir teilen innerhalb der Clubcommission die gleichen Werte. Und der Angriff auf dieses Festival hat unser Herz zutiefst gebrochen. Es kann auch keinen in unserer Organisation geben, der das für legitim hält, nachvollziehen kann oder sogar befürwortet. Das kann es nicht geben.

Ein Vorstandsmitglied der Clubcommission fiel aber mit privaten Social-Media-Beiträgen auf, in denen ebendiese Gewalt als Widerstand verharmlost wird. Dafür wurde die Person viel kritisiert. Wie gehen Sie intern damit um?

Ich bin nicht der Sprecher der Clubcommission und kann nur für mich sprechen. Aber wenn ich das Gefühl hätte, dass wir nicht alle die gleichen Werte teilten, dann würde ich mit ihnen nicht mehr zusammenarbeiten. Wir arbeiten gemeinsam seit Jahren aktiv daran, Diskriminierung in Berliner Clubs abzubauen und dafür, dass sie „safe spaces“ sind und bleiben – auch für Jüdinnen und Juden. Jemandem aus unserem Vorstand Antisemitismus vorzuwerfen ist falsch. Ich kann mit Sicherheit sagen, dass es bei der Clubcommission keinen Raum für Antisemitismus gibt.

Das Statement der Clubcommission nach dem 7. Oktober wurde von einigen als zu vage und unkonkret empfunden. Begriffe wie „Hamas“, „Antisemitismus“ und „Juden“ kamen darin nicht mal vor. Können Sie die Kritik nachvollziehen?

Ich war Teil dieses Prozesses und habe die Schwierigkeiten gesehen, eine klare Sprache dafür zu finden. Wir haben dieses Statement sehr schnell nach den Taten veröffentlicht und standen teils noch unter Schock. Stündlich gelangten neue grausame Details an die Öffentlichkeit. Uns war es wichtig, möglichst schnell die Taten zu verurteilen. Mit mehr Zeit hätten wir uns mit Sicherheit konkreter äußern können.

Personen und Institutionen, die Mitleid mit den jüdischen Opfern äußern oder Antisemitismus kritisieren, werden selbst zur Zielscheibe. Der von Israelis in Berlin betriebene Online-Radiosender HÖR wird boykottiert, der Club Berghain wird heftig kritisiert, weil er einen DJ auslud, der die Vergewaltigungen von israelischen Frauen am 7. Oktober leugnete. Herrscht ein Klima der Angst?

Ich habe noch nie so eine Zerrissenheit innerhalb der Szene und in der Gesellschaft allgemein erlebt wie jetzt gerade. Und ich habe 1986 meinen ersten Laden aufgemacht. Das will ich auch ganz deutlich kritisieren: Die Szene, die Clubs werden momentan dazu benutzt, zu polarisieren. Sie werden als Plattform verwendet, um Boykottaufrufe gegen Jüdinnen und Juden und Hetze gegen Andersdenkende zu verbreiten. Und das schadet dem wirklichen Anliegen der Clubkultur.

Nämlich?

Clubkultur steht für Menschlichkeit und Toleranz, für ein harmonisches Miteinander unter Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen und Meinungen. Aber das muss auch heißen, dass Toleranz ihre Grenzen hat und demzufolge einen Terroranschlag auf ein Festival klar zu verurteilen und Antisemitismus zu kritisieren. Dieser Konflikt zerreißt die Szene aber gerade, er reißt Gräben auf.

Das klingt nach einer utopischen Vorstellung von Clubkultur …

ist ein Urgestein des Berliner Nachtlebens. Geboren 1964 in der westdeutschen Provinz, brach er mit 17 die Schule ab und zog nach Westberlin. Als Hausbesetzer eröffnete er 1986 seinen ersten Club in Schöneberg, den Punkladen „Sexton“. Seit 1997 betreibt er den Sage Club am U-Bahnhof Heinrich-Heine-Straße – eine Kultadresse, die auch der KitKatClub teilt. 2000 gründete Disselkamp die Clubcommission Berlin mit, einen Interessenverband der Clubszene, in dessen Vorstand er bis heute sitzt. Die Gründung war Reaktion auf die Konflikte um den Erhalt des Sage Clubs. Er betreibt zudem seit 2009 auch das Sage Restaurant samt Beachclub in der Köpenicker Straße.

Ich kann mich daran erinnern, als in den Neunzigern das erste Mal Be­su­che­r*in­nen aus Israel vor meiner Clubtür standen. Sie sagten, dass Berlin die tollste Stadt sei, die sie sich vorstellen konnten. Ich hatte Gänsehaut. Vor 80 Jahren war Berlin die Schreckenshauptstadt der Welt. Dieser Wandel hat viel damit zu tun, wie wir damals gefeiert haben, was für Werte wir in der Szene hatten. Clubs waren Orte, in denen Identität überwunden werden konnte, in denen Menschen verschiedenster Hintergründe zusammenkamen. Umso bestürzender finde ich es, wenn ich jetzt erlebe, dass Jüdinnen und Juden in Berlin angegriffen werden, Häuser mit Davidsternen besprüht werden. Das ist völlig inakzeptabel. Das tut mir so richtig in der Seele weh.

Vor Kurzem haben Sie auf einer Veranstaltung zum ersten Geburtstag der israelischen Geisel Kfir Bibas gesprochen. Das Baby wurde von der Hamas nach Gaza verschleppt. Sie sprachen über Ihre Enttäuschung von Leuten, die die Gewalt gegen das Supernova-Festival nicht verurteilen wollen. Haben Sie Angst, mit solchen deutlichen Worten selbst ins Visier der Israelhasser und Boykotteure zu geraten?

Entschuldigung, ich bin ja auch noch aus einer Generation, die mit ihren Eltern und Großeltern darüber diskutiert hat, ob sie bei den Nazis eigentlich geschwiegen haben. Ich finde, meine Position ist nicht antipalästinensisch und sie ist auch nicht per se proisraelisch, sondern sie benennt einfach, dass es zutiefst inhuman ist, was da passiert ist. Wir müssen den Opfern beistehen. Das schließt Mitleid und Solidarität mit der schrecklichen Situation der Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen im Gazastreifen und den tausenden zivilen Opfern nicht aus. Gleichzeitig fühle ich mich wirklich nicht berufen, etwas zum Nahostkonflikt zu sagen, dazu habe ich gar nicht die Kompetenz. Aber ich finde es eben sehr problematisch, wenn Leute keine klare Haltung zum Massaker auf das Supernova-Festival haben.

Haben Sie Kontakt zu der palästinensischen Clubszene?

Ich war vor einigen Jahren in der Westbank, habe dort auch ein Flüchtlingscamp besucht. Ich war dort auch mit Clubbetreibern unterwegs, wir haben uns einen illegalen Club angeguckt. Die Location musste geheim gehalten werden. Und es gäbe sehr bedrohliche Szenarien, wenn sie erwischt würden. Die Clubszene in den palästinensischen Gebieten ist von harter Repression betroffen. Auch das müssten wir thematisieren – und Solidarität zeigen.

Wie sieht Ihre wertegeleitete Clubkultur denn konkret aus?

In einer Welt, die immer weiter nach rechts rückt, müssen wir als Clubkultur umso mehr für unsere Werte einstehen und uns als Teil einer demokratischen Zivilgesellschaft engagieren. Ich bin richtig froh über die Großdemos ­gegen die AfD. Die Clubszene muss sich ihnen anschließen. Wir werden uns auch weiter gegen den Rechtsruck in Deutschland engagieren.

Der Berliner KitKatClub, der im von Ihnen betriebenen Sage Club residiert, stand neulich in der Kritik, weil Türsteher Verbindungen in die rechtsextreme Kampfsportszene haben sollen. Distanzierungen der KitKat-Betreiberin klangen halbherzig und nicht besonders überzeugend …

Es wäre nicht hinnehmbar, wenn Rechtsextreme Türen unterwandern, aber viele Türsteher arbeiten freiberuflich, da findet keine Gesinnungsprüfung vorher statt. Ich habe großes Vertrauen zu den Leuten aus dem KitKat, dass sie mit ihrem Personal reden und künftig genau wissen, wer da vor der Tür steht und Leute kontrolliert.

Die alten Themen für die Clubkultur – die Spätfolgen von Corona, Clubsterben, Gentrifizierung – scheinen seit dem 7. Oktober medial unterzugehen. Macht Ihnen das Sorgen?

Definitiv. Es ist nicht nur der 7. Oktober, der die Clubszene vor große Herausforderungen stellt. Wie geht es weiter nach der Pandemie? Wie können wir die Verlängerung der Autobahn A 100 durch einen Kulturkiez in Berlin verhindern? Wie sichern wir urbane Flächen für Kunst und Kultur? Aber das sind alles Themen, die momentan überschattet werden.

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