Kinder-Konzert „Unter meinem Bett“: Verwandte im Geiste

Das Kindermusikprojekt „Unter meinem Bett“ gibt es nicht nur auf CD, sondern auch als Konzert. Ein Nachmittag mit modernen Familien in Hamburg.

Bernd Begemann steht mit anderen Musikern und Musikerinnen auf der Bühne der Fabrik in Hamburg.

Die Eltern singen „Ohlalalalala“ und die Kinder „Macht euch keine Sorgen“: Bernd Begemann und Kol­le­g*in­nen in der Hamburger Fabrik Foto: Klaus Irler

Ein Ticket hätte er zu verkaufen, sagt der mittelalte Mann, ob wir nicht eines bräuchten? Nein? Schade, denn bei ihm zu Hause „hat der Weihnachtmann eines zu viel gebracht“ und die Frau an der Abendkasse will es partout nicht zurücknehmen, auch nicht für zehn Euro, obwohl es 27 gekostet hat im Vorverkauf. Also Geld futsch. Aber scheißegal, solange nachher die Kinder glücklich sind (für die das Ticket übrigens 19 Euro im Vorverkauf kostet, wenn sie zwischen 4 und 13 Jahren alt sind).

Nett ist, dass die Vor-Ort-Kasse „Abendkasse“ heißt, obwohl es helllichter Tag ist, nämlich halb drei Uhr nachmittags in Hamburgs grün-alternativem Besserverdienerstadtteil Ottensen. Dort steht das legendäre Stadtteilkulturzentrum Fabrik, in dem früher mal Miles Davis aufgetreten ist und als nächstes bei Kaffeebrewdas Kaffeeshow für 27,90 Euro pro Ticket „Kaffeewissen aus erster Hand“ vermittelt wird. Es ist davon auszugehen, dass dort Fair-Trade-Bohnen und Hafermilch zum Einsatz kommen – alles andere könnte An­woh­ne­r*in­nen­pro­tes­te nach sich ziehen, und das kann niemand wollen.

An diesem Sonntagnachmittag aber ist ein Konzert des Projekts „Unter meinem Bett“, welches man Menschen außerhalb der Zielgruppe erst erklären muss. „Unter meinem Bett“ ist der Name einer Alben-Reihe, die mittlerweile acht Alben nebst Weihnachts- und Best-of-Album umfasst. Auf jeder CD sind verschiedene Lie­der­ma­che­r*in­nen zu hören, die selbst komponierte, deutschsprachige Songs zum Besten geben. In denen geht es um Belange, die Kinder beschäftigen, zum Beispiel: ständig irgendetwas zu müssen, die Freiheit des Sommers zu genießen, vom Handy-Konsum der Eltern genervt zu sein, Angst zu haben und sich zu trauen, das zu sagen. Oder einfach von Mücken genervt zu sein.

Manche nutzen die Möglichkeit, zwischen den Stuhlreihen Fangen zu spielen

Letztlich sind es also Themen, die immer auch die Eltern beschäftigen und die Musik ist eine, die die Eltern auch hören, denn es handelt sich um anerkannte Singer-Songwriter wie Bernd Begemann, Desiree Klaeukens, Jan Plewka, Moritz Krämer, Matze Rossi, das Duo Pauken und Planeten. Diese Aufzählung umfasst nur einen Teil der am Projekt beteiligten Musiker*innen, aber sie benennt diejenigen, die am Sonntag in der gut gefüllten Fabrik waren, um Musik zu machen.

Etwas Gemeinsames entsteht

Da sind dann also junge Familien samt Papas, was in dieser sozialen Blase nichts Besonderes, sondern üblich ist. Manche von ihnen kennen die Lieder so gut, dass sie mitsingen können. Die anderen können zuhören, ohne sich zu langweilen, und alle können ihren Kindern die Schuhe ausziehen und sie nach vorne zur Bühne schicken, wo Matten liegen und getanzt, mitgesungen und die Arme geschwenkt werden können.

Was an diesem Nachmittag passiert, ist genau das, was auch bessere Abendkonzerte ausmacht: Eine Band steht auf der Bühne, das Publikum steht unten und die einen reagieren auf die anderen, damit etwas Gemeinsames entsteht, das alle freut. Befeuert wird das durch die wie immer mitreißenden Moderatorenqualitäten von Bernd Begemann und die charmante Möglichkeit, Mitsing-Chöre in Eltern und Kinder zu teilen. Die Eltern singen: „Ohlalalalala.“ Und die Kinder: „Macht euch keine Sorgen.“

Überhaupt sind es die melancholischen Töne, die überwiegen, da bleiben sich die Singer-Songwriter treu. Die Kinder gehen da mit, man könnte vermuten: Sie fühlen sich ernst genommen. Manche zumindest. Andere nutzen die Möglichkeit, zwischen den Stuhlreihen Fangen zu spielen. Wieder andere erfreuen sich an den weniger nachdenklichen Texten, die es auch gibt: „Ich will ’ne Extrawurst“ zum Beispiel ist eine gerade Rocknummer ohne den Ansatz, Befindlichkeiten auszudiskutieren.

Songwriter Moritz Krämer hat seine kleine Tochter mitgebracht, die auch auf der Bühne steht und tapfer mitsingt. Und wenn man sich umschaut im Publikum, dann ist einem, als ob da lauter Moritz Krämers stehen, oder sagen wir: lauter Verwandte im Geiste, die gleich ein Instrument auspacken und auf die Bühne steigen an diesem Nachmittag im heilen Hamburg-Ottensen.

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Jahrgang 1973, fing als Kultur-Redakteur der taz in Bremen an und war dann Redakteur für Kultur und Gesellschaft bei der taz nord. Als Fellow im Digital Journalism Fellowship der Hamburg Media School beschäftigte er sich mit der digitalen Transformation des Journalismus und ist derzeit Online-CvD in der Norddeutschland-Redaktion der taz.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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