Eröffnung der neuen BücherboXX Gleis 17: Wie Phönix aus der Asche

Die BücherboXX Gleis 17 fiel 2023 einem antisemitischen Brandanschlag zum Opfer. Am 23. Februar wird die neue am S-Bahnhof Grunewald eröffnet.

Eine alte Telefonzelle außen bunt bemalt, innen viele Bücher: Konrad Kutt vor der neuen BücherboXX Gleis 17 im Sägewerk Grunewald

Konrad Kutt vor der neuen BücherboXX im Sägewerk Grunewald; von hier zieht sie am 23. Februar an den alten, neuen Standort um Foto: Andreas Hergeth

Berlin | taz Noch steht die neue „BücherboXX Gleis 17“ nicht da, wo sie eigentlich hingehört: in Sichtweite des Mahnmals Gleis 17, direkt am S-Bahnhof Grunewald, auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Dort sind auf den Pflastersteinen immer noch die dunklen Brandspuren zu sehen, wo die alte BücherboXX einmal stand.

Infotafeln klären die Vorüber­gehenden auf, was hier im August letzten Jahres geschehen ist: Die BücherboXX war damals in Flammen aufgegangen. Die Reste des fast vollständig heruntergebrannten Häuschen sind übrigens im Haus der Geschichte in Bonn zu sehen

Beim Brandanschlag handelte es sich um die antisemitische Tat eines 63-jährigen Mannes, der wenige Tage danach festgenommen wurde und die Tat (und zwei weitere Brandanschläge) zum Prozess­auftakt gestanden hatte – die Bücher über die Verfolgung, Deportation und Ermordung vieler Berliner Juden in der Nazizeit waren ihm ein Dorn im Auge. Das Gerichtsverfahren begann im Januar am Landgericht Berlin und dauert noch an.

Ortstermin im Sägewerk Grunewald, dem Kooperationspartner, wo rund um Holz ausgebildet und umgeschult wird, und wo die neue BücherboXX entstanden ist: Konrad Kutt, Initiator und Betreiber derselbigen, legt letzte Hand an die umfunktionierte ehemalige Telefonzelle. Die ist an diesem Dienstag bereits mit vielen Büchern voll bestückt ist. Das obligatorische Gelb ist zumindest außen verschwunden; im Innern ist es noch hier und da zu sehen.

650 Euro für eine alte Telefonzelle

Die Telefonzelle ist wieder ein rundes Modell aus den 1970ern, „schwer zu bekommen und sehr begehrt, sie hat 650 Euro gekostet“, sagt Kutt – und man denkt sofort: Wieso hat die Telekom die Telefonzelle nicht einfach gespendet?

Konrad Kutt öffnet die Tür, sie ist noch recht schwer zu bewegen – „das müssen wir vor Freitag noch ändern“, sagt er und greift sich ein Buch heraus. Nicht wahllos, denn es steht stellvertretend für den Sinn dieser kleinen Bibliothek. Kutt hält die Autobiografie „Mein Leben“ von Marcel Reich-Ranicki in den Händen. Alle Romane und Sachbücher hier passen thematisch zum Mahnmal Gleis 17 am Bahnhof Grunewald, das seit 1998 an die Deportationen jüdischer Ber­li­ne­r:in­nen erinnert, die von hier aus mit der Reichsbahn in Konzentrationslager geschickt wurden.

Die neue BücherboXX sieht aus wie die alte, sagt Kutt hörbar zufrieden. Außen sowie innen. Wieder war Rainer Ehrt, Künstler aus Kleinmachnow, für den Entwurf und die Umsetzung verantwortlich. Man sieht passend Bücherrücken in Türkis, Rot und Blau auf der Außenhaut; die malerische Umsetzung lag in den Händen von Christian Voss.

Und auch der Spruch aus der kabbalistischen Mythologie steht wieder auf der Scheibe der Eingangstür: „Das Vergessenwollen verlängert das Exil, und das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung.“ Wie passend.

So etwas wie ein kleines Wunder

Auch die Worte „Geben und Nehmen“ auf Deutsch und Hebräisch sind aufgebracht – und durchaus wörtlich zu nehmen. „Man kann Bücher bringen und welche mitnehmen, und zwar kostenlos“, erklärt Konrad Kutt. An Büchernachschub dürfte es ohnehin nicht mangeln. Es gibt eine Zusammenarbeit mit der BSR. „Alle 14 Tage bekommen wir gerettete Bücher, die zu unserem Thema passen.“

Dass die verbrannte BücherboXX durch eine neue ersetzt werden kann, ist so etwas wie ein kleines Wunder. Binnen eines halben Jahres kamen genug Spendengelder zusammen – „rund 10.000 Euro stecken hier drin“, sagt Kutt. Er hat nach seinem Berufsleben das Institut für Nachhaltigkeit in Bildung, Arbeit und Kultur GbR gegründet.

Die Idee, ausgediente Telefonhäuschen weiter sinnvoll zu nutzen, stammt aus dem Jahr 2010, erzählt Kutt. Damals entstand die erste nachhaltige BücherboXX. „Und auch die Schreibweise ist meine Erfindung“, sagt Kutt.

Es handelt sich um ein berufspädagogisches Projekt. Rund 50 solcher Boxen stehen mittlerweile in Berlin, sie widmen sich unterschiedlichen Themen. Sie sind mit verschiedenen Bildungsträgern und für diverse Standorte nach dem selben Konzept entwickelt worden, „das vielfältige soziale, ökologische, kulturelle, politische und zivilgesellschaftliche Bezugspunkte und Wirkungen hat“. Auf dem Hof des Sägewerkes steht derzeit eine Europa-BücherboXX und soll generalüberholt werden.

Solarzellen auf dem Dach

Bei der Umwandlung so einer Telefonzelle in eine BücherboXX sind verschiedene Gewerke beteiligt, erklärt Kutt. „Wer zusammen an so ­einem Projekt arbeitet, lernt voneinander – und eben auch etwas über das Projekt selbst.“ Man braucht zum Beispiel eine Tischlerei für die Buchregale. Und es geht um Metall- und Elektroarbeiten, denn auf dem Dach gibt es Solarzellen, die den Strom für die Innenbeleuchtung und auch die kleine Audiobox liefern. Sie hat 8 Tasten, dahinter stecken 8 Lieder. Es sind Kompositionen, die vom Sänger Tal Koch extra fürs Mahnmal Gleis 17 geschaffen wurden. „Er hat sie uns geschenkt.“

Am Freitag werden es die Zimmerer vom Sägewerk sein, die die BücherboXX um 11.30 Uhr den 1,5 Kilometer langen Weg zum alten Standort vis-à-vis dem Mahnmal Gleis 17 bringen und fachgerecht aufstellen. Ab 12 Uhr soll es Ansprachen, Grußworte und Musik geben. Das Jarock-Ensemble wird auftreten, da singt auch Tal Koch mit.

Einige Po­li­ti­ke­r:in­nen wie Kirstin Bauch (Grüne), Bezirksbürgermeisterin von Charlottenburg-Wilmersdorf, haben zugesagt. Auch Michael Müller (SPD), der ehemalige Regierende Bürgermeister, will kommen. Vielleicht schafft es auch Kultursenator Joe Chialo (CDU). Lala Süsskind, die frühere Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Berlin, ist auf alle Fälle bei der Eröffnung der neuen BücherboXX Gleis 17 dabei. Und alle interessierten Bür­ge­r:in­nen sind ebenso eingeladen.

Konrad Kutt freut sich auf diesen Tag. „Nach dem Brandanschlag war die Trauer groß“, blickt er zurück, „der Verlust wog schwer. Ich habe ihn auch ganz persönlich gespürt.“ Er und seine Mitstreiter:innen, „sechs bis acht Ehrenamtler“, hätten viel Unterstützung von der Zivilgesellschaft erfahren. „Ihr müsst weitermachen“, hieß es immer wieder. „Viele haben geholfen, vor allem durch Solidarität gegen Antisemitismus sowie Spenden für den Wiederaufbau. Wir sagen allen Danke für diese wunderbare Unterstützung.“

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