Neuer Kiel-„Tatort“: Ein Kommissar mit lockerer Knarre

Dominanz und Unterwerfung im Milieu der Reichen – und eine Frau, die doch nur glücklich sein will. Das ist halt bekanntlich das Schwerste.

Ein Mann und eine Frau sitzen auf einem Segelboot.

Schippern durch den Fall: Mila Sahin (Almila Bagriacik und Klaus Borowski (Axel Milberg) Foto: Olga Samuels/NDR

Die nicht mehr ganz junge, reiche Frau mit übermächtiger Mutter, vergeblich angehimmeltem Vater und einem geldgeilen Gigolo als Ehemann – sie bleibt ein dankbares Motiv. Insbesondere für die Darstellerin, Cordelia Wege, die in diesem neuen Tatort aus Kiel alles zeigen kann, was die Rolle Greta Exner hergibt. Ihr Unglück glänzt auf ihrer Haut, sie riecht quasi danach. Ihre Sehnsucht nach echter Liebe, die zu geben sie selbst natürlich nicht in der Lage ist, weil sie nur phasenweise Unterwerfung und dauerhaft Dominanz leben kann und vorgelebt bekommen hat, muss unerfüllt bleiben.

Sie ist die betrogene Betrügerin, für die Sympathie zu empfinden schwerfällt, gerade weil die realistische Qualität Cordelia Weges Schauspielkunst klar macht: Diese deutsche Fabrikantentochter und Managerin Greta Exner aus der westdeutschen Provinz gibt es um uns herum, in der Quantität wie eben Reichtum in diesem Land verteilt ist.

Keine Einwände also zu dieser Figur; und auch keine, was ihr Verhältnis zum Namensgeber der Kieler „Tatort“-Reihe angeht, Kommissar Klaus Borowski. Zu dem entwickelt Greta Exner genau das gleiche Mischverhältnis wie zu den anderen Männern in ihrem Umfeld. Sie ist mal Papas kleines Mädchen, mal Femme fatale und schließlich gekränkt-gelangweilte Göre, der nun wirklich alles zuzutrauen ist.

Axel Milberg als Borowski, obwohl 20 Jahre älter als Wege, funktioniert erstaunlich gut als begehrt-begehrender Widerpart. Was zwischen den beiden an erotischer Spannung läuft, ist stimmig – und wird spannend, weil sie beide noch ihre ganz eigene, verdeckte Agenda verfolgen: Schließlich ist der einen der Ehemann abhanden gekommen – unter sich im Verlauf des Krimis immer mehr vereindeutigenden Umständen – und der andere ist gerufen worden, um dieses Verschwinden aufzuklären. Zu diesem Hauptstrang haben sich Autor Sascha Arango und Regisseur Andreas Lehnert eine wirklich feine und gut inszenierte Pointe einfallen lassen, die dem Film auch den Titel gibt.

Das Setting ist sehr backsteinmäßig. Es mag ja sein, dass die Reichen hierzulande keinen Geschmack haben – aber so billo?

Soweit so gut; der Rest der Folge „Borowski und der Wiedergänger“ gibt dann aber weniger Anlass zum eh folgenlosen Meckern als vielmehr zum produktiven Grübeln übers deutsche Krimifilmwesen.

Um sich von den Gewerken zu nähren: Die Musik gluckert und gurgelt schon arg aufdringlich gruselheischend. Muss nicht sein. Bei Requisite und Szenenbild wiederum ist die Frage, ob hier dem von der Megaserie „Succession“ gesetzten Trend „Quiet Luxury“ nachgeeifert werden soll.

Das ganze Setting vom Sofa bis zur Kaffeetasse sieht doch etwas sehr backsteinmäßig-behäbig aus. Es mag ja sein, dass die Reichen in Deutschland keinen Geschmack haben, aber so billo wie in der Bäckereifiliale? Zugegeben – hier fehlt mir der persönliche Erfahrungswert.

Interessanter ist die Frage, welches Genre die Verantwortlichen eigentlich angestrebt haben. Knallharter Sozialreport? Satire? Farce? Was rauskommt, ist jedenfalls ein Aufmerksamkeit abziehendes Holterdipolter von offensichtlich nicht ernst gemeinten Szenen – so wenn Borowski einfach mal eine Pressedrohne abknallt – und dem oben beschrieben psychologischen Realismus. Vollkommen überflüssige Schwarz-Weiß-Einspielungen von Zeugenaussagen bringen dann auch noch Dokutouch.

„Borowski und der Wiedergänger“, So., 20.15 Uhr, ARD

Also mal wieder: schade drum; und die Erinnerung, dass sich nur produktiv dekonstruieren lässt, was zuvor auf eigenen Beinen gestanden hat.

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