Die Macht der Fußballfans: Kleinlaut im Büßerhemd

Wenn der Gang in die Kurve zum Gang nach Canossa wird: Fußballprofis unterwerfen sich den immer mächtigeren Ultras, weil sie müssen.

Standpauke vom Capo: Spieler und Trainer des SV Darmstadt werden vom Ultra-Chef ausgeschimpft.

Standpauke vom Capo: Spieler und Trainer des SV Darmstadt werden vom Ultra-Chef ausgeschimpft Foto: Imago/Jan Hübner

Das Wandern ist des Deutschen Lust. Und so unternehmen vor allem die progressiven Kräfte des Landes in jungen Jahren einen Marsch durch die Institutionen, später dann pilgern sie auf dem Jakobsweg. Der erste Fitnesstrend dient dem Kampf gegen das Konservative, der zweite dem Kampf gegen Kalorien.

Und was die Straßenkämpfer der 60er und 70er Jahre konnten, das können die Ultras längst. Sie erobern sich mehr und mehr Räume im Stadion, sie sind von einer Truppe, die sich früher aufs Schlägern konzentrierte, dann auf die effektvolle Kurvenchoreografie, nun zu einer sportpolitisch machtvollen Gruppierung aufgestiegen, die sogar Investorengroßprojekte verhindern kann oder Fußballpräsidenten in Erstliga­klubs schiebt.

Das Selbstbewusstsein der Ultras und ihrer Anführer, die den grässlichen Titel Kapo tragen, steigt und steigt. Am Samstag durfte man beobachten, wie einer dieser Ultrachefs die Darmstädter Profis, ja was eigentlich: einnordete, beschimpfte, maßregelte, anblaffte? Sie mussten sich jedenfalls eine Standpauke anhören, die sich gewaschen hatte – weil sie so schmählich verloren hatten gegen die Augsburger und überhaupt.

Ankläger und Richter in Personalunion

Die Wut braucht ein Ventil, gerade im Stadion, das ja trotz diverser Bemühungen immer noch ein Hort der sehr direkten Ansprache ist, aber die Bußrituale, die an jedem Wochenende und in nahezu jedem deutschen Stadion wie selbstverständlich stattfinden, wirken doch sehr befremdlich.

Im Büßerhemd und mit gesenkten Köpfen müssen sich die Profis, so sie denn verloren haben, „der Kurve stellen“, sich anhören, was sie doch für Pfeifen und Versager sind. Die Kicker lassen sich bekübeln mit Verbalinjurien, hören sich den Sermon an, wohl wissend, dass sie gar nicht anders können. Würden sie nicht den – immerhin sehr kurzen – Gang nach Canossa antreten, dann hieße es nachher: Die Millionarios haben sich gedrückt.

Die Ultras sind in diesem bizarren Spiel Ankläger und Richter zugleich. Und wenn die Profis nicht spuren, dann wird nicht nur geschmollt in der Kurve (Wegdrehen oder 15 Minuten Supportpause), nein, dann wird man auch aggressiv. Als es bei Hertha BSC einmal nicht so gut lief, was ja dort öfters vorkommt, wurde das Trainingsgelände gestürmt, das Team beschimpft und die Mannschaft gezwungen, die Trikots vor den Ultras abzulegen – als Geste der Demut, der Unterwerfung und des Schuldeingeständnisses.

Wenn es in diesem Stil weitergeht, ziehen bald Flagellanten durchs Land, in Ungnade gefallene Fußballspieler, die den Lehren eines Girolamo Savonarola folgen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Seit 1998 mehr oder weniger fest bei der taz. Schreibt über alle Sportarten. Und auch über anderes.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.