Neue Regeln für Plastikverpackungen: Ran an den Deckel

Ab Juli wird der fest verbundene Deckel an bestimmten Plastikverpackungen verpflichtend. Die Recyclingbranche freut’s, die Molkereien stöhnen.

Milch tropft aus einem Karton

Da war er noch ab, der Deckel, und die Milch tropft geradewegs nach unten. Ein Milchkarton aus dem Jahr 2008 Foto: dpa

BERLIN taz | Raus aus der Packung – rein in den Deckel, und von dort auf Hemdsärmel, Hose und Küchenfußboden. Schon erstaunlich, welche Verteilwirkung ein kleiner Kunststoffdeckel haben kann, wenn man ihn an der Milchpackung befestigt. Ab Juni wird der fest verbundene Deckel an Einweggetränkeverpackungen aus Kunststoff – sogenannte Tethered Caps – Pflicht, die Richtlinie zu Einwegkunststoff der EU schreibt ihn vor.

Bei einer Plastikmüllzählung waren die Deckel ins Visier der EU-Kommission geraten. Neben Strohhalmen und Wattestäbchen fanden sie sich unter den zehn häufigsten Gegenständen des Plastikmülls, der sich an den Stränden der europäischen Meere sammelt. Durch den Verbund mit der Verpackung sollen sie künftig dort landen, wo sie hingehören – in der Recyclinganlage.

„Beim Trinken stört es vielleicht“, sagt Thomas Fischer, Leiter Kreislaufwirtschaft bei der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Allerdings könnten die Deckel, vor allem aber die Ringe daran, an Stränden oder auf Wiesen zu einer tödlichen Falle für Vögel und kleine Säugetiere werden, sagt Fischer, „darum ist es gut, wenn die Deckel nicht mehr in der Umwelt landen“. Die Befestigungspflicht sei eine Maßnahme gegen „Littering“ – deutsch: Vermüllung – und deshalb richtig.

Die Recyclingunternehmen freut das ebenso: In allen Sortieranlagen für den Verpackungsabfall werden Getränkekartons schon jetzt aussortiert, weil „das Recycling in speziellen Anlagen stattfindet“, sagt Axel Subklew, Sprecher der Initiative „Mülltrennung wirkt“. Sie trennen die Papierfasern von Plastikfolien und Alu-Beschichtungen sowie von Plastikdeckeln. Durch die Trennung in die Einzelbestandteile würden etwa 65 bis 70 Prozent der Papierfasern aus den Kartons zurück gewonnen. Die Alubeschichtung und Kunststofffolien und -verschlüsse werden dann in andere Anlagen weiter transportiert, die meisten davon nach Hürth bei Köln.

Hier, bei der Palurec GmbH, werden die Folien und Alubeschichtungen eines großen Teils der deutschen Getränkekartons recycelt. „Die Deckel bekommen wir heute schon in den Prozess, darauf sind wir eingestellt“, sagt Geschäftsführer Andreas Henn. Sie bestehen aus Polyolefinen, „eine sehr schöne Fraktion, da haben wir gerne mehr davon“, so Henn. Anders als die Kunststoffsorte PET sind recycelte Polyolefine derzeit nicht für den Lebensmittelkontakt zugelassen, wegen der Verunreinigungen in der gelben Tonne. „Aber wir können aus den Deckeln Dachsysteme, Behälter oder Rohre machen“, sagt Henn, „es gibt viele sinnvolle Anwendungen“. Mengenschätzungen, wie viel mehr Deckel künftig in seiner Anlage ankommen, kann er nicht angeben, „aber es werden wohl deutlich mehr als bislang“, sagt Henn.

Molkereien fürchten Mehrkosten

Weniger begeistert von der neuen Regel sind die Molkereien. „Für die Branche bedeuten die Tethered Caps insgesamt einen großen Investitionsaufwand, wobei einige Unternehmen schwerer betroffen sind als andere“, teilt Roderik Wickert vom Milchindustrieverband mit. Einige der bisher benutzten Maschinen könnten nachgerüstet werden, andere nicht. Letztere müssten komplett ersetzt werden. „Das ist teuer“, sagt Wickert, „alte Maschinen, die perfekt laufen, werden also abgebaut und höchstwahrscheinlich woanders weiter genutzt“.

Dazu kämen die Zusatzkosten für die neuen Verschlüsse auf Seiten der Molkereien und Abfüller, die wahrscheinlich nicht weitergegeben werden könnten. Nicht zuletzt lande die Milchverpackung auch im Gelben Sack, so dass die Relevanz für die Tethered Cap bei Milchkartons fraglich bleibe.

Insgesamt werden nach Zahlen des Fachverbandes Kartonverpackungen für Flüssige Nahrungsmittel inzwischen knapp 75 Prozent aller Milch- und Saftkartons recycelt. Diese Prozentzahl bezieht sich auf die Menge der Kartons aus dem gelben Sack, also der eingesammelten Verpackungen – 2021 waren das laut einer Untersuchung des Umweltbundesamtes fast 135.000 Tonnen. Verkauft worden sind allerdings knapp 180.000 Tonnen.

Deshalb kritisiert die DUH die Zahl von 75 Prozent recycelter Kartons: Die tatsächliche Quote liege nur bei 40 Prozent, sagt Fischer. Insgesamt würden nur 62 Prozent der in Verkehr gebrachten Kartons, aus denen Wasser, Saft oder Milchgetränke konsumiert wird, überhaupt für ein Recycling im Gelben Sack landen. Die anderen verkauften 38 Prozent liegen in der Umwelt oder landen im Restmüll und der Papiertonne, wo sie verbrannt werden, so der Kreislaufwirtschaftsexperte.

Außerdem würden die Mengen in Tonnen berechnet, und auch dies sei problematisch: „Die Papierfasern werden in der Mülltonne feucht und somit schwerer, sie enthalten Reste, Schmutz klebt an ihnen“, erklärt Fischer. Alles zusammen führe dazu, dass die gesammelten Kartons schwerer würden. „Am Ende erhalten wir falsche Zahlen“, so Fischer.

Für Mineralwasser schlecht, für Tomatensauce sinnvoll

An anderer Stelle sind Kartons allerdings sinnvoll: Der Umweltverband Nabu hat für neun Lebensmittel untersuchen lassen, welche Verpackung besonders umweltfreundlich ist, darunter auch Tomatensoße. „Hier hat das Einwegglas gegenüber dem (zu Getränkekartons baugleiche) Karton schlechter abgeschnitten“, sagt Katharina Istel, Ressourcenexpertin des Nabu: „Die Klimabelastung durch das Einwegglas war mehr als 7,5-mal so hoch.“

Daher sei zu überlegen, ob der Getränkekarton auch mehr für Lebensmittel eingesetzt werden könnte, um klimabelastende Einweggläser einzusparen, so Istel. Gleichwohl empfiehlt der Nabu den Getränkekarton nicht, wenn es für ein Produkt umweltfreundlichere Mehrwegsysteme gibt, wie bei Mineralwasser.

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