Olympische Stadtansicht: Das Wimmelbild von Paris

In Paris wird das hochoffizielle Poster zu den Olympischen Spielen im Sommer vorgestellt. Die armen Pariser müssen nun jeden Tag daran vorbeigehen.

Grafik, Wimmelbild von Paris mit sitilsiertem Eiffelturm und Invalidendom

Pariser Wimmeleien: Das offizielle Plakat zu dem Spielen 2024 Foto: Abacapress/imago

Wer das Vergnügen hatte, Kinder großzuziehen, kennt die Werke von Rotraut Susanne Berner und Ali Mitgutsch hinlänglich. Um ehrlich zu sein: Nach Jahren der Wimmelei kann man die Wimmelbücher der beiden nicht mehr sehen; die Aversion wird nur noch von der „Raupe Nimmersatt“ und deren maßloser Gefräßigkeit übertroffen. In dem Glauben, diese Ästhetik des Kleinteiligen und Verkitschten hinter sich gelassen zu haben, kommen nun die Olympischen Spiele von Paris daher und präsentieren: zwei Wimmelbilder in Plakatform.

Die armen Pariser, die die Poster nun an jeder Ecke sehen, Sinnbilder der Infantilisierung von nun auch der olympischen Welt. Ugo Gattoni, so heißt der Künstler, hat nach Angaben des Internationalen Olympischen Komitees über 2.000 Stunden in seinem Studio verbracht, um die Parisposter zu gestalten. Zu sehen ist das übliche Wirrwarr, inszeniert in einem grotesk unübersichtlichen Stadion.

Im Zentrum des Treibens, gigantischer Jahrmarkt in Blau-Rosa-Türkis, steht der Eiffelturm. Wir erfahren, dass Paris am Mittelmeer liegt. Alles, auch die topografische Verortung ist eine Frage der Interpretation, soll das wohl heißen. Oder eben: Ist schon irgendwie stimmig, weil die Surfer ja in Französisch-Polynesien auf die olympische Welle gehen und die Segler in der Marina de Marseille.

Die Parisplakate markieren einen Traditionsbruch, denn bisher wurden auf den Signature-Posters der Spiele überwiegend heroische Nackte (Paris 1924, Amsterdam 1928 oder Helsinki 1952) dargestellt als Reminiszenz an die Antike oder eben simple symbolische Szenen. Die Japaner malten immer wieder ihre rote Sonne, Montreal bot der Einfachheit halber die olympischen Ringe und Moskau parallele Linien „in Form einer Pyramide“ (IOC).

Die Sache mit dem Stern

Der Künstler Wladimir Ar­sen­tjew pappte noch einen roten Stern aufs Gebäude, das „an die Flagge des Kremls erinnern soll“. Im Grunde war dies ein ziemlich frecher Akt des Russen, denn der rote Stern ist natürlich auch Symbol der kommunistischen Bewegung. Keine Frage, die Moskauer Boykottspiele des Jahres 1980 waren extrem politisiert, aber warum das IOC den Fünfzack zuließ, ist ein Rätsel. Normalerweise kennt das IOC nur eine Religion: den ­Olympismus.

Noch interessanter wird’s, wenn wir nun ins Jahr 2024 zu den Plakaten des Ugo Gattoni zurückkehren, der in sein Konvolut auch den Pariser Invalidendom einfügte. Der diente ursprünglich als Kirche, wurde aber 1840 zur Grabstätte für Kaiser Napoleon umgenutzt. Jedenfalls prangt an seiner Spitze ein goldenes Kreuz, das Gattoni in seinem Entwurf wegließ. Der Aufschrei war groß: Man verrate die französische Identität, hieß es, der Wokismus erhebe mal wieder sein hässliches Haupt, und Vergleiche zu Houellebecqs „Unterwerfung“ wurden auch gezogen.

Ein paar X-perten kramten ein Plakat der asiatischen Winterspiele 2025 in Harbin,China, heraus, auf dem eine Kirche (mit Kreuz) zu sehen ist. Das offizielle Harbin-Plakat sieht freilich anders aus, und was da durchs Netz geisterte, war nur ein Vorläufer, verbreitet vom Olympic Council of Asia. Erinnert wurde im Zuge der aktuellen Kreuzaffäre auch daran, wie auf der Verpackung des Lidl-Tsatsikis das Kreuz der Anastasis-Kirche von Santorini plötzlich verschwand und Google Earth – nach einem „Bildbearbeitungsfehler“ – gleichfalls Kreuze gelöscht hatte.

Udo Gattoni sagt, er habe den Dom nicht in der üblichen Form darstellen wollen: „Ich versuche nicht, Gebäude originalgetreu zu zeichnen, man soll sich nur im Handumdrehen vorstellen können, worum es geht.“ Er beruft sich zu Recht auf die künstlerische Freiheit. Und das IOC hat nun gänzlich unverfängliche Plakate, die Kinderherzen höher schlagen lassen.

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