Bezahlkarte für Geflüchtete in Thüringen: Ohne Cash in der Bargeldrepublik

Der Bundestag befasst sich diese Woche mit der Bezahlkarte für Asylsuchende. Eine CDU-Landrätin hat sie im Landkreis Greiz bereits eingeführt. Wie läuft das?

Eine Bankkarte.

Sieht aus wie eine herkömmliche Bankkarte: die Bezahlkarte im Landkreis Greiz in Thüringen Foto: Bodo Schackow/dpa

GREIZ taz | Ordentlich stellt Ahmed M. einen Warentrenner auf das Kassenband hinter seinen Einkauf: eine Packung Toast, zwei Packungen Hähnchenkeule. Es ist kurz vor drei an diesem Mittwoch in Greiz und Ahmed M. besorgt das Essen für sich und seine Familie. Sie sind aus ihrer Heimat geflüchtet und erst seit Anfang des Jahres in der ost­thüringischen Stadt. Bezahlen will er mit der Karte, die er vor Kurzem vom Landkreis bekommen hat.

Noch bevor er dran ist, hat er sie gezückt. Sie sieht aus wie eine grün-gelbe Kreditkarte und ist unter anderem mit seinem Namen bedruckt. Der lautet allerdings nicht Ahmed M. Er möchte lieber anonym bleiben – aus Sorge davor, wie das Amt reagiert, wenn er sich zur Bezahlkarte äußert. Die Kasse piept, er hält seine Karte an das Lesegerät, tippt die PIN ein – fertig. Mit den Packungen unterm Arm geht er zum Ausgang.

So unspektakulär funktioniert die Bezahlkarte, über die halb Deutschland gerade diskutiert. Der Bund und die meisten Länder planen seit November Systeme dieser Art für Asylsuchende. Nur Bayern und Mecklenburg-Vorpommern wollen eigene Wege gehen. Die Bezahlkarte soll trotzdem möglichst einheitlich sein. In dieser Woche berät der Bundestag über einen entsprechenden Gesetzentwurf.

Demnach dürfen die Länder aber einschränken, wie die Karte funktioniert – zum Beispiel, wo die Karte gelten soll. So ist das auch in Greiz, die Karte von Ahmed M. funktioniert nur im Postleitzahlbereich des Landkreises. Genau das ist ein Punkt, den der Flüchtlingsrat in Thüringen kritisiert: Die Bezahlkarte beschränke die Freiheit der Geflüchteten. Tatsächlich können sie nur mit Bargeld überall einkaufen. Die Bezahlkarte hingegen ist ein einfaches Instrument, um Asyl­be­wer­be­r:in­nen zu kontrollieren.

Flüchtlingsrat kritisiert verantwortungslosen Umgang

Das zeigt sich auch in Greiz. Dort bekamen im letzten Dezember die ersten 30 Asylsuchenden ihre Karten. Mittlerweile haben fast alle 740 in Greiz eine, sagt das Landrats­amt. Mehr als die Hälfte des Geldes, das den Asylsuchenden monatlich zusteht, erhalten sie darüber. Landrätin Martina Schweinsburg (CDU) lobte die Karte früh als Erfolg.

Eine Frau hält grinsend eine Plastikkarte in die Kamera

Landrätin Martina Schweinsburg (CDU) freut sich darüber, dass ­Geflüchtete nun Bezahl­karten verwenden müssen Foto: Bodo Schakow/dpa

Bares abheben oder überweisen, das geht nicht. So soll die Karte kontrollieren, dass Asylsuchende kein Geld ins Ausland schicken – etwa, um Schlepper zu bezahlen, heißt es von Landrätin Schweinsburg. Das Landratsamt kann zwar keine Transaktionen einsehen, aber die Karten bei konkreten Anlässen aus der Ferne überprüfen, entladen oder sperren. Das passiert, wenn Geflüchtete sagen, dass sie die Karte verloren haben. Aber das Landratsamt bekommt auch automatisiert gemeldet, wenn eine Karte in „unregelmäßiger Frequenz“ genutzt wird.

Für Aufsehen sorgte Schweins­burg, als sie im Januar behauptete, mehrere Asylsuchende, die die Bezahlkarte nicht wollten, seien abgereist. Auf Nachfrage der taz erklärt das Landratsamt, mittlerweile hätten seit der Einführung 22 Asyl­be­wer­be­r:in­nen Greiz verlassen. Hieß es im Januar allerdings, der Ausreisegrund sei die Bezahlkarte, gibt das Amt nun an, es könne die Motive und Ziele nicht verlässlich nennen. Außerdem könne es nicht angeben, wie viele Ausreisen es in den Monaten zuvor gab, „dazu gibt es keine Erhebungen.“

Dass die Ausreisen trotzdem im Zusammenhang mit der Bezahlkarte genannt wurden, bezeichnet Ellen Könneker vom Thüringer Flüchtlingsrat als verantwortungslosen Umgang. „Viele falsche und populistische Aussagen in der aktuellen Flüchtlingspolitik wurden dadurch verstärkt“, sagt sie. Von Landratsämtern sei zu erwarten, dass sie seriöse Informationen veröffentlichen.

Ob als Abschreckung oder Ausreisegrund: Dass die Bezahlkarte zu weniger Geflüchteten in Deutschland führen solle, schwingt in der Debatte, sie bundesweit einzuführen, zumindest implizit mit. Dabei gilt die Theorie, dass die angebotenen Sozialleistungen eines Landes maßgeblich die Migration beeinflussen, als unbelegt und überholt, wie etwa der wissenschaftliche Dienst des Bundestags 2020 darlegte.

CDU-Landrätin will Kontrolle über Geflüchtete

Doch aus Sicht des Land­rats­amts in Greiz habe die Bezahlkarte noch andere „Vorteile“. Mit der Einführung sei der Aufwand für die Verwaltung gesunken. Vorher bekamen die Asylsuchenden im Landratsamt ihre Leistungen in bar ausgezahlt. Wegen der Geldmenge sei das unter Polizeischutz passiert. Nun müsse die Polizei nicht mehr kommen, weil mehr als die Hälfte des Geldes nur auf den Karten gutgeschrieben wird.

Wie viel Geld die Asylsuchenden genau auf die Karte bekommen, hängt von ihrer Lebenssituation ab. Ein alleinstehender Erwachsener bekommt beispielsweise maximal 256 Euro pro Monat als Guthaben auf die Karte. Zusätzlich bekommt er höchstens 204 Euro in Bar ausgezahlt. Die Beträge stammen aus dem Asylbewerberleistungsgesetz. Dort sind die 256 Euro als „notwendiger Bedarf“ etwa für Unterkunft, Ernährung und Kleidung vorgesehen und die 204 Euro als „notwendiger persönlicher Bedarf“ für die Deckung „persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens“.

Anfangs hieß es vom Land­rats­amt, die Geflüchteten bekämen im Schnitt nur 100 Euro bar. Aber das sei nur eine „vereinfachte Erklärung für eine komplexe Berechnung“ gewesen.

Wer eine Bezahlkarte hat, muss aber weiterhin jeden Monat persönlich ins Landratsamt, um sie aufzuladen. Das hat keine technischen Gründe, sondern wurde von Landrätin Schweinsburg festgelegt – zu Kontrollzwecken. „Ich möchte die Leute im Blick haben“, kommentierte sie gegenüber der österreichischen Zeitung Standard. Mit der taz wollte Martina Schweinsburg nicht sprechen – keine Zeit. Per Mail ließ sie aber wissen, für ein ordnungsgemäßes Asylverfahren müssten die „Asylsuchenden vor Ort sein und nicht auf ‚Deutschlandtour‘.“

Residenzpflicht durch die Hintertür

Auch für ihre Einkäufe sollen die Asylsuchenden nicht touren, darum gilt die Karte nur im Landkreis, in dem rund 96.000 Menschen leben. Die größte Stadt ist Greiz selbst, mit seinen 20.000 Einwohner:innen. Am Mittwoch letzter Woche lässt sich dort schon der Frühling erahnen. Auf dem grünen Platz vorm unteren Schloss spielt eine Schulklasse in der warmen Sonne, über die Straßen surren verkultete Simson-Motorräder einiger Jugendlicher. In den engen Straßen der Innenstadt reiht sich ein kleiner Laden an den nächsten.

Auf die Frage, wie es mit der Bezahlkarte für Geflüchtete läuft, antworten die Ver­käu­fe­r:in­nen unterschiedlich. In einem Kleidergeschäft berichtet eine Frau lächelnd, bei ihr habe noch niemand mit so einer Karte bezahlt, „aber die gehören auch nicht unbedingt zu unserer Zielgruppe.“ Etwas weiter im Kleiderdiscount sieht es anders aus: „Ja, das klappt wunderbar, wie eine normale Karte.“

In einem Gemüseladen mit vielen arabischen Produkten erzählt der Verkäufer in freundlichem Ton, er habe kein Lesegerät für die Karten, aber überlege sich, eins anzuschaffen. Einige Geflüchtete hätten ihn schon darauf angesprochen. In einer Bäckerei heißt es, bei den kleinen Beträgen sei Kartenzahlung wegen der Gebühren unwirtschaftlich. Viele wollen nicht öffentlich über die Karte sprechen. Auch Hilfsorganisationen für Geflüchtete wollen nicht mehr – seit fünf Wochen werde man von Anfragen überschwemmt.

Holger Steiniger, stellvertretender Kreisvorsitzender der Linken in Greiz, berichtet aber immer noch gerne. Weil die Eisdiele am Markt Ruhetag hat, sitzt er am späten Nachmittag in einem Café, vor sich eine Tasse Glühwein. Dass die Karte regional begrenzt ist, kritisiert auch er. Das führe die Residenzpflicht durch die Hintertür wieder ein.

Trotzdem: Er finde die Karte nicht schlecht. Kein Bargeld, das habe Vorteile, findet Steiniger. Seit 2009 sitzt er im Greizer Kreistag. Zum einen könne die Bezahlkarte „viel Unwissenheit geraderücken“, sagt Steiniger und streicht mit seiner Hand durch die Luft, als würde er Wogen glätten. Die ganzen Scheine beim Einkaufen an der Kasse, die hätten in Greiz ein falsches Bild davon vermittelt, wie viel Asylsuchende vom Staat bekommen. Zum anderen sei es für Asylsuchende in den Sammelunterkünften nicht einfach, das Geld sicher zu verwahren.

Reguläre Konten mit normaler Karte wären besser

Auch Ellen Könneker vom Flüchtlingsrat stimmt zu, dass so die Sicherheit für Asylsuchende erheblich erhöht werde. „Dazu braucht es aber keine speziellen Bezahlkarten, sondern reguläre Konten mit entsprechenden Zahlungskarten“, sagt sie. Doch das erscheint momentan in weiter Ferne.

Nicht nur die Thüringer Politik diskutiert derzeit vor den Kommunal- und Landtagswahlen Restriktionen für Geflüchtete. Neben der Bezahlkarte ist auch die Arbeitspflicht für Geflüchtete ein bundesweit populäres Thema. „Brandgefährlich“, findet Könneker, dabei blieben tatsächliche Probleme außen vor: Arbeitsverbote, menschenwürdige Unterbringung, mangelnde Sprachkurse.

Aber wie findet nun Ahmed M., der Asylbewerber in Greiz, die Bezahlkarte? Er legt Toast und Hähnchen kurz ab und zieht sein Smartphone aus der Tasche. Um die Sprachbarriere zu umgehen, spricht er schnell hinein, eine App übersetzt für ihn. Die Karte funktioniere, er habe bisher alles bekommen. Ahmed M. zuckt mit den Schultern. Dann spricht er noch mal ins Handy und lächelt: „Die Hälfte habe ich bar bekommen“, übersetzt die App. Das reicht ihm offenbar.

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