Auf Fußball- und Schlachtfeldern: Falsche, richtige Entscheidungen

Statt nur „Falsch!“ oder „Genau!“ zu brüllen bräuchte es die Einsicht, dass ehrlicherweise niemand weiß, wie die verfluchten Kriege enden sollen.

Trainer Christian Streich zeigt mit seinem Arm brüllend nach Links auf dem Fußballfeld

Freiburgs Trainer Christian Streich 58 hört zum Saisonende nach 29 Jahren beim SC Freiburg auf Foto: Joeran Steinsiek/imago

In dieser Woche habe ich viele falsche Entscheidungen getroffen. Die schlimmste eindeutig am Montag, als ich beim ersten Saisonspiel des taz Panter FC gegen RTL zu lange herumtändelte und mir den Ball abluchsen ließ, was zum ersten Gegentor des Jahres und am Ende zu einem 2:3 führte.

Cheftrainer Pascal „Xavi“ Beucker war zwar kurz traurig, reagierte aber milde. Denn alles hat sein Gutes. Irgendjemand musste ja verhindern, dass die deutlich verstärkten und verjüngten Panter so rücksichtslos wie Bayer Leverkusen mit einem Start-Ziel-Sieg ohne Niederlage zur Meisterschaft durchmarschieren. Das wäre doch unhöflich. Schließlich geht es in der Medienliga um den Spaß am Spiel und nicht um wichtige Staatsziele wie im richtigen Fußball. Wir müssen weder das Selbstbewusstsein der Nation durch einen EM-Titel aufrichten noch den von Robert Habeck geforderten „Standortpatriotismus“ pflegen, indem wir für immer Adidas tragen. Jako tut’s auch.

Fast noch mehr als mein Assist zum Gegentor ärgert mich deshalb, dass ich nicht intensiver dafür kämpfte, am Dienstag Christian Streich mit einem Titelbild zu ehren und als nächsten Bundestrainer vorzuschlagen.

Die scheidende Legende und moralische Instanz des SC Freiburg hätte es auf jeden Fall verdient gehabt, konnte sich aber nicht gegen den „Wahl“-Sieger Wladimir Putin und die traditionelle Distanz der taz zum Profisport durchsetzen. Dabei hat Streich mit seinen symbadischen Statements vor Millionenpublikum auf Fußballpressekonferenzen wahrscheinlich mehr gegen die AfD bewirkt als unsere Appelle an die schon Überzeugten.

Außerdem wäre es gerade in diesen Krisenzeiten wichtig, die Hoffnungsträger wie Streich heller zu beleuchten als die immer gleichen apokalyptischen Reiter wie Putin, Trump, Hamas und Netanjahu, die nur Leid und Ratlosigkeit auslösen. Es sei denn, man schlägt sich klar auf eine Seite, glaubt an deren Sieg und hört sich die Argumente der anderen gar nicht mehr an, wie es viele zunehmend tun.

Ich beneide alle, die stets genau zu wissen meinen, was in den Kriegen im Nahen und ganz nahen Osten jetzt unbedingt zu tun ist. Die ohne Zweifel immer noch mehr Waffen liefern wollen, wie Agnes Strack-Zimmermann, die dafür von ihrer FDP auf den Europawahlplakaten literaturgeschichtsvergessen als „Oma Courage“ gefeiert wird, obwohl die Brecht’sche Mutter eine skrupellose Kriegsprofiteurin war. Aber auch jene, die den Frontverlauf in der Ukraine „einfrieren“ wollen wie SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, ohne zu erklären, warum die Ukraine Putins Raubzüge akzeptieren sollte.

Aber eigentlich würde ich mir wünschen, dass auf die Äußerungen der anderen nicht immer nur ein „Falsch!“ oder „Genau!“ erschallen würde, sondern die Einsicht, dass ehrlicherweise niemand weiß, wie die verfluchten Kriege mit möglichst wenig weiteren Opfern beendet werden können. Ganz und gar nicht beneide ich deshalb jene, die entscheiden müssen. Taurus oder nicht Taurus? Wer ganz sicher sagen kann, ob seine Lieferung zur Niederlage Putins, zur totalen Eskalation oder zu nichts Entscheidendem führen würde, hätte sofort einen Stammplatz bei Markus Lanz.

Aber leider, ach, hatten dessen Stammgäste in der Flüchtlingskrise (Robin Alexander) und in der Corona­krise (Karl Lauterbach) auch längst nicht immer Recht. Wie auch. Manches von dem, was damals richtig schien, scheint heute falsch. Und das Meiste ist bis heute weiterhin umstritten.

So wie das neue pinke Deutschlandtrikot, das ich mir angesichts des anschwellenden, tendenziell homophoben Shitstorms in einem spontanen Akt der Entscheidungsfreudigkeit bestellt habe. Es kam überraschend schnell, XL passte, es ist zwar made in Vietnam, aber noch von Adidas, also patriotisch!

Nur meine naive Hoffnung, dass ich damit auch gleich zehn Jahre jünger aussehen könnte, wurde von meinen jüngeren Mit­be­woh­ne­r*in­nen umgehend zerstoben. „Vergiss es“, wurde mir kühl beschieden. „Dafür musst du schon ins Fitnessstudio gehen.“ Nun ja, ich zögere die Entscheidung noch hinaus.

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