Serie über Alieninvasion: Die Physik macht, was sie will

In der Serie „3 Body Problem“ steht die Physik Kopf. Sehenswert, obwohl es keine werkgetreue Umsetzung des Bestsellers „Die drei Sonnen“ ist.

Eine Frau steht in einem Feld, hinter ihr arbeitende Menschen

Zine Tseng spielt die hier noch junge Wissen­schaftlerin Ye Wenjie Foto: Netflix

Als der Physiker Saul Durand (­Jovan Adepo) bei seiner Arbeit am Teilchenbeschleuniger in Oxford widersinnige Daten misst, sagt er frustriert: „Die Physik der gesamten letzten 60 Jahre ist falsch. Die Wissenschaft ist hin.“ Plötzlich begehen auch noch eine ganze Reihe Wissenschaftler Selbstmord, und einige Tage später fängt der nächtliche Sternenhimmel weltweit sichtbar an zu blinken wie eine Lichtshow.

Die Physik macht in der Netflix-Serie „3 Body Problem“, der Adaption des Romans „Die drei Sonnen“ (2007) des chinesischen Autors Cixin Liu, von einem Tag auf den anderen, was sie will. Was ist da los? Auggie Salazar (Elza González), Expertin für Nanotechnologie, steht kurz vor einem wissenschaftlichen Durchbruch und sieht plötzlich einen Countdown vor ihren Augen flimmern. Sie wird bedroht, ihre Forschungen zu beenden, sonst müsse sie sterben. Bald gibt es immer mehr Hinweise, dass eine außerirdische Spezies hinter diesen kaum fassbaren Phänomen steckt.

„3 Body Problem“

1. Staffel, 8 Folgen

Netflix

Cixin Lius 2.000 Seiten lange Romantrilogie dürfte das weltweit meistgelesene Science-Fiction-Werk der vergangenen Jahre sein. Im Unterschied zu Klassikern des Genres der Alien­invasionen – von H. G. Wells „Krieg der Welten“ (1898) bis zu Roland Emmerichs „Independence Day“ (1996) – verzichtet „3 Body Problem“ auf platte Action und erzählt von einer Invasion, die wegen der großen Entfernung erst in 400 Jahren droht.

Invasion in 400 Jahren

Bis dahin sind die hoch technologisierten Außerirdischen, die in der achtteiligen Serie gar nicht zu sehen sind, auf der Erde in Form elfdimensionaler Quantencomputer in der Größe eines Protons anwesend. Das erlaubt ihnen, Sinneswahrnehmungen zu verändern und alles abzuhören, was die Menschen tun, um eine Gegenwehr aufzubauen. Auch wenn die Serie in Grundzügen Cixin Lius Bestseller entspricht, entfernt sich die Umsetzung dieses mit 200 Millionen Dollar Produktionskosten bisher teuersten Serienprojekts von Netflix weit von der Vorlage.

Während das Buch fast nur in China spielt, sind große Teile der Serienhandlung in London angesiedelt. Die Netflix-Adaption beginnt zwar auch in China während der Kulturrevolution, setzt sich fort in der Inneren Mongolei. Dort arbeitet die dissidente Wissenschaftlerin Ye Wenjie (Rosalind Chao) in einer Abhörstation, beantwortet Signale aus dem All und ermöglicht die Invasion so überhaupt erst.

Aber die in der Gegenwart angesiedelte Handlung stellt eine Gruppe hipper Londoner Physiker inklusive mittelständischer Alltagssorgen und romantischer Verirrungen in den Mittelpunkt und nicht den Hobbyfotografen und Professor für Nanowissenschaften aus Peking wie im Buch.

Die Serienmacher David Benioff und D. B. Weiss, die jahrelang die Skripts für die HBO-Erfolgsserie „Game of Thrones“ schrieben, verzichten in der filmischen Adaption auf diverse Aspekte des Romans und packen in die erste Staffel auch Versatzstücke aus Teil zwei und drei der Trilogie, was aber für den Verlauf der Serie inhaltlich durchaus Sinn macht. Wer eine werktreue Umsetzung erwartet, dürfte aber enttäuscht sein.

Science-Fiction fürs Massenpublikum

Deutlich näher am Buch bleibt die 30 Episoden umfassende und ebenfalls aufwendig produzierte chinesische Serie „Three-Body“, die 2023 erschien. Die kann man mittlerweile kostenfrei (Youtube) mit englischen Untertiteln streamen. „Three-Body“ zeigt deutlicher, dass Cixin Lius Roman über weite Strecken auch Züge eines Krimis trägt und eine sozialkritische Aufarbeitung von Zeitgeschichte bietet, wobei das China der 1960er Jahre dem heutigen modernen gegenübersteht.

Auch wenn in der chinesischen Adaption deutlich mehr und mitunter lebendiger über Physik diskutiert wird, schafft es die Netflix-Serie, die komplexe, mitunter regelrecht wissenschaftsdidaktische Geschichte dramaturgisch geschickt umzusetzen. Es geht um Entfernungen im Weltraum, um Lichtgeschwindigkeit. Und um das titelgebende „Dreikörperproblem“: ein physikalisches Rätsel über die Vorhersehbarkeit von Bahnverläufen und Gravitationskräften dreier aufeinander wirkender Körper.

Auch die Geschichte ihres instabilen Planeten, die die Aliens durch ein eigens hergestelltes Computerspiel erklären, wird bildmächtig inszeniert; ebenso der Kampf der einzelnen Frak­tio­nen auf der Erde, von fundamentalistischen Alienunterstützern gegen transnationale staatliche Stellen.

Die zeitgenössische Science-Fiction-Literatur schafft es selten ins Kino oder in den Stream, weil nach wie vor hauptsächlich schon in die Jahre gekommene und erprobte Stoffe verfilmt werden, wie „Dune“ und „Blade Runner 2049“ zeigen. Insofern sollte man froh sein, dass es auch mal einer der unzähligen neuen Romane schafft, im Zuge des nach wie vor großen Science-Fiction-Hypes für ein Massenpublikum verfilmt zu werden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.