Ausstellung über Sexarbeit: Die Huren melden sich zu Wort

In der Ausstellung „With Legs wide Open“ im Schwulen Museum in Berlin erzählen Sex­ar­bei­te­r*in­nen selbst ihre Geschichte – und eigenen sie sich an.

Die Garderobe mit Kleidung von Sex­ar­bei­te­r*in­nen aus dem Mittelalter ist nur einer von zehn Ausstellungsräumen Foto: Marie Frank

BERLIN taz | Ausstellungen über Sexarbeit gibt es viele. Doch nur selten stammen sie auch von Sex­ar­bei­te­r*in­nen selbst. Das ändert sich jetzt: Seit diesem Dienstag haben Huren, wie sich die Mitglieder des kuratierenden Sexarbeiter*innen-Kollektivs selbstbewusst nennen, das Schwule Museum in Schöneberg zu einem Museum der Sexarbeit umgewandelt.

„Es ist Hurengeschichte von Huren, also von uns, nicht über uns“, sagt Isaak Rion stolz. Rion trägt ein schwarzes Netzhemd unter einer lilafarbenen Trainingsjacke, Goldkettchen und eine Käppi. Gemeinsam mit Ernestine Pastorello und Rori Dior führt Rion durch die Ausstellung „With Legs wide Open – Ein Hurenritt durch die Geschichte“, die am Dienstag um 19 Uhr Vernissage feiert.

Und es ist tatsächlich ein Ritt, wenn auch kein linear-historischer und aus einer erfrischend anderen Perspektive. Denn statt die Verfolgung von Sexarbeit und damit die Täterperspektive in den Vordergrund zu stellen, wollen sich Isaak Rion und die Kol­le­g*in­nen ihre Geschichte aneignen und neu erzählen.

Es geht um eine queere und dekoloniale Geschichtsschreibung statt einer polizeilichen, sagt Rion. Schließlich seien die Communities von Sex­ar­bei­te­r*in­nen und queeren Menschen, aber auch ihre Kämpfe schon immer eng verbunden. Und das nicht nur in Berlin.

Eine sinnliche Erzählung

Diese Kämpfe und Realitäten werden in zehn verschiedenen Räumen auf sehr unterschiedliche Weise erzählt: Es ist Geschichte zum lesen, hören, anfassen und auch riechen. So kann man in der „Garderobe“ Kleidung von Sex­ar­bei­te­r*in­nen aus dem Mittelalter bestaunen, im „Arzneimittelkabinett“ an Beifuß – was abtreibend wirken soll – oder krampflösendem Wermut riechen und sich in der „Abteilung für horizontale Arbeit“ auf ein riesiges, rotes herzförmiges Bett legen und sich über die Geschichte hinter den umliegenden Sex-Utensilien informieren.

So spaßig geht es jedoch nicht in allen Räumen zu, wobei sich auch die dunklen Kapitel der Hurengeschichte mit Humor angeeignet werden. Wie in der „Abstellkammer der Bürokratie“, wo es um Vorschriften und Gesetze geht, die Sexarbeitenden das Leben schwer machen. Hier ist etwa ein „Hurenpass“ zu sehen, wie Sex­ar­bei­te­r*in­nen den Ausweis nennen, den sie nach ihrer Anmeldung als Prostituierte jederzeit bei sich tragen müssen, wenn sie nicht Strafen von bis zu 1.000 Euro riskieren wollen. Dazu gibt es unbequeme Stühle und Akten, das soll den Amtscharakter hervorheben, erklärt Rion augenzwinkernd.

Der Hurenpass ist nur eines von vielen Beispielen, wie der Staat vorgibt, Prostituierte zu schützen, ohne sie einzubeziehen – und damit oft das Gegenteil erreicht. Das lässt sich auch in der „Gesundheitsabteilung“ erleben. „Sexarbeiter*innen durften nicht mitreden, welcher Schutz für sie am besten funktioniert. Dabei haben sie am meisten Ahnung von sexuell übertragbaren Krankheiten – weil sie es müssen“, sagt Ernestine Pastorello, die, ebenso wie die Ausstellungstexte, auf deutsch und englisch kommuniziert.

Zwischen Verfolgung und Instrumentalisierung

Richtig düster wird es schließlich in der Abteilung über Kolonialismus und im „Vernichtungsdezernat“. Hier werden die persönlichen Geschichten von Prostituierten im Nationalsozialismus erzählt, vom Konzentrationslager bis zu Wehrmachtsbordellen. Geschichten, die meist unsichtbar sind. „Vielen Opfern war es nach dem Krieg nicht möglich, über ihr Leid zu sprechen, weil sie weitere Verfolgung fürchten mussten“, sagt Isaak Rion. Ein Denkmal für verfolgte Sexarbeitende im NS gibt es bis heute nicht – ebensowenig wie für die als „asozial“ Verfolgten.

Ganz am Schluss, im Raum über aktuelle Kämpfe und Forderungen, führt die Ausstellung überraschenderweise in eine Kapelle – wenn auch eine bunte, deren Verzierungen mit Heiligenfiguren nicht viel gemein haben. Dennoch, warum ausgerechnet eine Kapelle, die Kirche ist ja nun nicht gerade eine Verbündete von Sexarbeiter*innen?

„Auch das ist als Aneignung zu verstehen“, erklärt Rion. Hier könnten die Be­su­che­r*in­nen das Erlebte verarbeiten und eigene Geschichten aufschreiben und in die aufgestellte Box werfen. Denn die Geschichten der Sexarbeit in Berlin sind mit dieser Ausstellung noch lange nicht auserzählt.

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