Kriminalität in Berlin: Letzte Generation frisiert Statistik

Die Polizei verzeichnete 2023 einen starken Anstieg „linksextremer Delikte“. Das liegt vor allem am Umgang mit den Aktionen der Klimabewegung.

Zwei in Handschellen gefesselte und mit orangener Farbe beschmierte Hände auf Asphalt

Handschellen, Farbe, Asphalt: Festnahme einer Aktivistin nach einer Aktion der Letzten Generation am Kanzleramt im Herbst 2023 Foto: Florian Boillot

BERLIN taz | Iris Spranger zündete erst mal eine Nebelkerze: Berlins Innensenatorin tischte der versammelten Landespresse am Mittwochmorgen unerwartet hohe Zahlen zur Kriminalität auf – um anschließend zu erklären, das sei die Statistik von 2002. Der Trick ging schief, die Verwirrung war groß. Die SPD-Politikerin wollte nur sagen, dass Berlin statistisch gesehen sicherer geworden ist.

„Zahlen schönzureden ist nicht meine Art“, beteuerte Spranger noch und stellte dann gemeinsam mit Polizeipräsidentin Barbara Slowik die Kriminalstatistik für 2023 vor. Demnach hat die Polizei im vergangenen Jahr rund 536.000 Straftaten registriert, was einen leichten Anstieg um 3,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr bedeutet. Die Aufklärungsquote lag bei 45,5 Prozent. 2022 hatte Berlin mit einer ähnlichen niedrigen Rate im Vergleich zwischen den Bundesländern den letzten Platz belegt.

Wie gezählt wird Die Polizeiliche Kriminalstatistik erfasst nur jene Straftaten, die die Polizei innerhalb eines Jahres registriert und bearbeitet hat. Die Zahlen bilden somit nur das sogenannte Hellfeld ab – und sagen auch nichts darüber aus, ob sich der Tatverdacht bewahrheitet hat und es zu einer Verurteilung gekommen ist.

Was daraus folgt Die Zahlen sind mit Vorsicht zu genießen. Taten wie Morde, Überfälle sowie Einbrüche werden in der Regel angezeigt und deshalb erfasst. Bei häuslicher Gewalt oder Belästigungen ist das Dunkelfeld hingegen groß. Bei Delikten wie Drogenkriminalität schwanken die Fallzahlen je nach Umfang der Kontrollen. (taz)

Sorge bereitet Senatorin und Polizeichefin vor allem die Zunahme der sogenannten Rohheitsdelikte. Insbesondere die Zahl der Körperverletzungen lag mit rund 48.000 deutlich über dem Schnitt der vergangenen zehn Jahre. Auf der Suche nach einer Erklärung wurde Spranger recht allgemein und verwies auf Faktoren wie Armut und ein „dynamisches Migrationsgeschehen“.

Weitere Schwerpunkte der Auswertung liegen auf häuslicher Gewalt sowie Jugendkriminalität. Demnach wurden 2023 in Berlin rund 19.000 Personen Opfer von Gewalttaten in Partnerschaft und Familien – der höchste Wert der vergangenen zehn Jahre.

Opposition kritisiert Kürzungen bei Sozialprojekten

Darüber hinaus wuchs vor allem bei Gewalttaten der Anteil von Jugendlichen und Kindern unter den Verdächtigten deutlich. Angesichts der Zahlen pocht die Opposition auf bessere Prävention. „Ich hoffe die Koalition sieht ein, dass die durch das Haushaltschaos gefährdete soziale Infrastruktur einen wesentlichen Baustein für die Sicherheit in der Stadt darstellt“, kommentiert der Innenexperte der Grünen, Vasili Franco.

Auch bei der politisch motivierten Kriminalität in Berlin verzeichnete die Polizei einen deutlichen Anstieg um rund ein Viertel auf 6.420 Fälle. Ein Großteil – mehr als ein Drittel – entfällt wie in den Vorjahren auf rechtsextreme Straftaten, darunter 123 Gewaltdelikte.

Nahostkonflikt und Klimaproteste

Spranger richtete das Augenmerk jedoch auf die „noch nie dagewesene Resonanz auf die Ereignisse im Nahen Osten“. Die erfassten antisemitischen Delikte stiegen um 512 Fälle auf 892; die meisten davon wurden nach dem 7. Oktober registriert und außerdem der Kategorie „Israelbezug“ zugeordnet. Darunter waren 58 judenfeindliche Gewalttaten.

Recht überraschend sind laut Statistik die linksextremen Delikte entgegen einem jahrelangen Abwärtstrend um fast 20 Prozent in die Höhe geschossen. Das liegt vor allem an einer merkwürdigen Zählweise der Polizei, die die Straßenblockaden und weiteren Aktionen der Letzten Generation fast vollständig als „linksextrem“ einstuft: Mehr als 600 der 1.100 linksextremen Fälle hatten „Klima- und Umweltbezug“.

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