Autonomer Bürokratieabbau in Unternehmen: Wut, Verwirrung, Unverständnis

Der bürokratische Aufwand für Unternehmen steigt. Die fangen wegen hoher Belastung an, Vorschriften einfach nicht mehr umzusetzen, zeigt eine Studie.

Ein Meer von Dokumenten aus der eine Hand ragt, die Papiere in der Hand hält

Überbordende Bürokratie kann zu Wut, Verwirrung und Ohnmachtsgefühlen führen Foto: Erwin Wodicka/Zoonar/imago

BERLIN taz | Bei diesem Thema scheinen sich alle Parteien erst einmal einig, von den Grünen bis zur FDP: Das „Bürokratiemonster“ muss gezähmt werden, sonst droht der „Bürokratie-Burnout“. Unter den vielen Berichtspflichten, den Papierbergen und den Verwaltungsaufgaben leiden Bürger*innen, Unternehmen und Mitarbeitende in Behörden gleichermaßen.

Aber verstehen darunter immer noch alle das Gleiche, wenn es darum geht, Bürokratie abzubauen? Immerhin gehen die meisten Gesetze mit Bürokratieaufwand einher – manchmal mit mehr, manchmal mit weniger. Aber meistens haben Gesetze einen Grund.

Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) überprüft für die Bundesregierung alle Gesetze und Verordnungen auf ihren „Erfüllungsaufwand“ und auf die Menge der Dokumentations- und Informationspflichten, die durch ein Gesetz hinzukommen.

Im Jahresbericht des Rats ergibt sich ein deutliches Bild: Der Erfüllungsaufwand steigt besonders für Unternehmen. Die großen Bürokratiebrocken sind dabei das Gebäude-Energie-Gesetz und der Mindestlohn, die die Unternehmen Geld kosten. Steigende Lohnkosten, notwendige Sanierungen an Gebäuden: All das müssen Unternehmen umsetzen und all das fällt als „Erfüllungsaufwand“ unter Bürokratie. Diese Bürokratie kostet sie insgesamt 65 Milliarden Euro pro Jahr.

Immer mehr Informationspflichten

Laut Statistischem Bundesamt kommen dazu immer mehr Informationspflichten: Um rund 16 Prozent seien diese seit 2022 gestiegen. Von Informationspflichten spricht das Amt, wenn aufgrund bundesrechtlicher Regelungen Daten oder sonstige Informationen beschafft, übermittelt oder verfügbar gehalten werden müssen. Dabei geht es beispielsweise um Meldepflichten, Anträge oder Anzeigen. Laut dem Mittelstandsbeauftragten der SPD, Esra Limbacher, sind das „in vielen Fällen insbesondere Dokumentations- und Berichtspflichten, die an der Realität kleinerer Betriebe vorbeigehen.“ Auch die werden mehr, allerdings sind sie kaum bezifferbar.

Um dem Dickicht der Regulierungen Herr zu werden, müssten bestehende Regelungen wie die Bürokratiebremse ausgebaut werden, sagt Lutz Goebel, Vorsitzender des Normenkontrollrates: Nach der darin enthaltenen „One in, one out“-Regel muss für jede dazukommende Norm eine andere abgeschafft werden. Diese solle man auf EU-Gesetze ausdehnen.

Autonomer Bürokratieabbau

Besonders große Bürokratiemonster sind das Gebäude-Energie-Gesetz und der Mindestlohn

Wenn Unternehmen über die Bürokratie klagen, meinen sie aber noch mehr: „Die überwiegende Mehrheit der Unternehmen fasst den Bürokratie-Begriff weiter als die Politik“, sagt Annette Hicks vom Institut für Mittelstandsforschung (IfM) der taz. Ein Großteil der Unternehmen zähle auch „halböffentliche Vorgaben von Selbstverwaltungsorganisationen der Wirtschaft, Normungsinstituten oder Berufsgenossenschaften sowie Vorgaben von Kunden bzw. Lieferanten dazu“.

Das löse Ohnmachtsgefühle aus, Wut, Verwirrung, Unverständnis. Laut einer Studie des IfM wiegen diese noch schwerer als der Zeit- und Kostenaufwand. „Dies führt dazu, dass gut jede Vierte bzw. jeder Vierte bei unserer Befragung angab, inzwischen einzelne Vorschriften bewusst nicht mehr umzusetzen“, beschreibt Icks den „autonomen Bürokratieabbau“.

Auch die FDP betreibt autonomen Bürokratieabbau im Namen der Unternehmen, etwa bei der geplanten EU-Lieferketten-Richtlinie. Europäische Unternehmen ab 500 Beschäftigten sollten zur Sorge um Arbeitsbedingungen in ihren Zulieferfabriken verpflichtet werden. Nachdem in Verhandlungen alles geklärt zu sein schien, blockierte die FDP das Gesetz und rechtfertigte ihre Verhinderungspolitik mit „zu viel Bürokratie“. Vom Amt genervte Bür­ge­r*in­nen entlastet das allerdings nicht.

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