Journalismus im Ukrainekrieg: 40 Kilometer von der Front entfernt

Im Saporischschja arbeiten Jour­na­lis­ten unter erschwerten Bedingungen weiter. Auch die eigene Regierung will mehr Einfluss auf die Medien nehmen.

Ein junge hält einen Ast wie mit eine Panzerfaust und wird von einer Journalistin fotografiert.

Im Frontdorf Prymorske wird ein Ast zur Panzerfaust, Saporisch­schja, März 2024 Foto: Dmytro Smolienko/Ukrinform/imago

SAPORISCHSCHJA taz | Direkt im Zentrum der südost­ukrainischen Stadt Saporischschja auf dem Sobornij-Prospekt befindet sich das Büro des „Zentrums der journalistischen Solidarität“. Hier treffen sich einheimische Journalisten zu Veranstaltungen, Fortbildungen, Trainings und Erste-Hilfe-Kursen. „Gerade hier, 40 km von der Front entfernt, ist es wichtig, dass wir Journalisten uns gegenseitig unterstützen“, erklärt Valentina Manschura, Verantwortliche Sekretärin der ukrainischen Journalistengewerkschaft NSZU und damit neben Natalja Kusmenko eine von zwei Koordinatorinnen des Zen­trums, der taz.

„Wer sein Haus, seine Angehörigen verloren hat, seinen Mann vermisst, ist schwer traumatisiert. Und diesen Journalisten muss man helfen. Psychologisch aber auch fachlich. Das heißt, wir helfen ihnen, ihre Arbeit, die sie sehr ausfüllt, nicht zu verlieren.“ 800 Journalisten sind im Gebiet Saporischschja Mitglied in der landesweit tätigen Journalistengewerkschaft, unter deren Dach das Zentrum der journalistischen Solidarität arbeitet.

Wer im Gebiet Saporischschja als Journalist arbeitet, braucht nicht nur Telefon, Kamera und Laptop. Er oder sie braucht auch Schutzwesten, Helme und ein Erste-Hilfe-Set. Bekommen können in- und ausländische Journalisten das alles im Zentrum der journalistischen Solidarität. Auch die Fortbildungsveranstaltungen richten sich an Journalisten, die im Krieg arbeiten müssen. So habe man Kurse zu verschiedenen diesbezüglichen Themen: wie Informationen sammeln an der Front, wie mit traumatisierten Personen sprechen, welche Vorschriften es zu beachten gilt.

Schutzwesten, Helme, Erste-Hilfe-Sets

Wer im Gebiet Saporischschja arbeitet, hat andere Bedingungen als es Journalisten in Kyjiw erleben. Denn hier haben alle Journalisten schon mehrfach in Helm und Schutzweste gearbeitet. Aber auch, wer mal gerade nicht an der Front ist, hat im Zentrum immer einen freien Arbeitsplatz, mit Internet, Scanner und Computer. Das Zen­trum hat eigens eine Internet-Satellitenverbindung und ist somit 24 Stunden täglich online. Hier kann man immer einen Gesprächspartner finden, der kompetent Fragen beantwortet, mit dem man seine Erfahrungen austauschen, über seine Probleme sprechen kann.

70 Prozent des Gebietes Saporischschja sind besetzt. Auch dort leben noch Journalisten. Viele haben es aber geschafft zu fliehen. Und für sie ist nach ihrer Flucht das Zentrum die erste Anlaufstelle. Hier hilft man ihnen, eine Unterkunft und Arbeit zu finden. Niemand soll gezwungen sein, den Journalistenberuf aus finanziellen Gründen aufzugeben, meint Manschura. Aber auch mit etwa 50 Journalisten, die in den besetzten Gebieten geblieben sind, habe man Kontakt. Für diese sei es wichtig zu sehen, dass sie nicht vergessen sind.

Gleichzeitig könne man mit ihnen über konspirative Kanäle durchaus zusammenarbeiten. Und von ihnen, so Manschura, erhalte man Informationen aus erster Hand über das Leben vor Ort. Und das erleichtere das Recherchieren. 30 Journalisten, die aus den besetzten Gebieten geflohen sind, habe man helfen können. Einige Dutzend Journalistinnen haben das Gebiet Saporischschja verlassen, leben nun in verschiedenen Ländern Europas. „Und deswegen“, so Manschura, „haben wir in allen europäischen Ländern Korrespondenten.“

Und noch in einer weiteren Hinsicht hat der Verlust von siebzig Prozent der Gebiete Auswirkungen auf die journalistische Arbeit. In diesen Gebieten waren Leser, zahlende Leser. Und so habe man nicht nur diese, sondern auch viele Anzeigenkunden verloren. In der Folge konnten nur noch zwei Printmedien im Gebiet Saporischschja überleben. „Das ist besonders tragisch in Gebieten, in denen es keinen Strom, also auch kein Internet gibt“, so Manschura. Und dabei seien gerade dort die Menschen begierig auf Zeitungen, auch auf alte Zeitungen.

70 Prozent besetzt

Die Journalisten des Zentrums journalistischer Solidarität verstehen sich als zuverlässige Patrioten der Ukraine. Gleichwohl gibt es Situationen, in denen sie die Regierung oder auch die lokalen Machthaber vor Ort kritisch sehen. So zum Beispiel kritisierten sie, genauso wie die nationale Journalistengewerkschaft, das am 31. März 2023 in Kraft getretene Mediengesetz, das die Tätigkeit der Medien neu reguliert.

Auf seiner Facebook-Seite warf der Vorsitzende der Journalistengewerkschaft, Sergiy Tomilenko, dem Gesetzentwurf „Instrumente von Zensur“ und eine Bedrohung der Informationsfreiheit vor. Es begrenzt zwar den Einfluss der Oligarchen auf die Medien. Gleichzeitig räumt es Präsident Selenskyj viel Macht über die Medien ein, ist es doch sein Umfeld, dass über die Zusammensetzung der Medienaufsichtsbehörde – des Nationalen Rates für Fernsehen und Rundfunk, entscheidet. So kann der Präsident vier von acht Mitgliedern dieses Rates ernennen. Vier weitere bestimmt das Parlament. In diesem verfügt die Präsidentenpartei Diener des Volkes über die Mehrheit.

Manschura ist jedoch zuversichtlich: „Wir haben gegen die Unfreiheit unter dem früheren Präsidenten Viktor Janu­kowitsch gekämpft. Und genau deswegen sind wir auch nicht damit einverstanden, dass die aktuellen Machthaber die Freiheit des Wortes einschränken.“ Gleichwohl habe man gute Kontakte zu Abgeordneten, die für die Mediengesetzgebung verantwortlich seien. Und so hoffe man, über diese Kontakte eine Verbesserung des aktuellen Mediengesetzes erreichen zu können.

Bedrohung der Informationsfreiheit

Einfach sei die Solidaritätsarbeit nicht, so Manschura. Und man sei auch auf Hilfe und Zusammenarbeit von außen angewiesen. So sei man Kollegen aus Norwegen und der Unesco sehr dankbar für ihre Kooperation in den letzten Jahren. Auch die Zusammenarbeit mit der journalistischen Fakultät der Universität von Saporischschja habe sich als sehr effektiv erwiesen. Viele Dozenten von der Universität führen Fortbildungskurse im Zentrum der journalistischen Solidarität durch. Und das sei ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Auch die Dozenten erfahren bei diesen Kursen vieles von der praktischen Arbeit der im Krieg arbeitenden Journalisten.

„Wir brauchen den Kontakt und die Zusammenarbeit mit Journalisten anderer Länder. Zum einen, weil wir nicht wollen, dass wir und der Krieg in der Ukraine so langsam in Vergessenheit geraten. Wir wollen in dieser Zusammenarbeit mehr auf unsere Situation aufmerksam machen. Und gleichzeitig hoffen wir auf Unterstützung beim Ausbau unserer technischen Möglichkeiten. Wir brauchen mehr Technik, mehr Schutzausrüstung wie Helme und Schutzwesten, Unterstützung auch bei den laufenden Kosten wie Miete und den kommunalen Gebühren. Aber auch Medikamente, Kleidung und andere überlebenswichtige Dinge für unsere Kollegen. Vom Staat bekommen wir jedenfalls keine wirkliche Unterstützung“, so die Vertreterin der Journalisten von Saporischschja.

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