Wisente auf einer grünen Wiese

Gehen sich auch mal gerne aus dem Weg: Wisente in Wittgenstein Foto: Dieter Menne/dpa

Wisente in Nordrhein-Westfalen:Eine Herde hinter Gittern

Letzte Eskalation eines langen Streits: Der Umweltverband BUND will den Kreis Siegen-Wittgenstein verklagen. Er hat freie Wisente eingesperrt.

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4.4.2024, 19:49  Uhr

Naturschützer wollen eine eingesperrte Wisent-Herde in Nordrhein-Westfalen befreien. Dafür will der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) NRW vor dem Verwaltungsgericht Arnsberg gegen den Kreis Siegen-Wittgenstein klagen, damit dieser 40 Wildrinder aus einem Gatter wieder in die Freiheit entlässt – und zwar schnell. Ihr Argument vor Gericht: Die Wisente sind nach der Europäischen FFH-Richtlinie eine streng geschützte Art. Sie dürfen demnach nicht eingefangen und festgehalten werden.

Eile sieht der BUND geboten, weil in dem rund 24 Hektar großen Gehege sechs fortpflanzungsfähige Bullen zusammen mit Kühen und Kälbern lebten, sagt Holger Sticht, Landesvorsitzender des Bund NRW. Das seien viel zu viele Tiere auf zu engem Raum. „24 Hektar mag viel klingen – ein Fußballplatz hat etwa 0,7 Hektar“, rechnet Sticht. Doch in der Natur blieben Wisentbullen immer nur phasenweise bei der Herde. Der unnatürliche Zustand im zu kleinen Gatter könnte zu gefährlichen Revierkämpfen führen, befürchtet Sticht.

Die Klage ist die neueste Wendung in einem jahrelangen Streit um die bis zu 900 Kilogramm schweren Tiere, die seit 2013 im Rothaargebirge umherstreifen. Begonnen hatte alles mit einem Freisetzungsversuch von acht Wisenten, die der inzwischen verstorbene Waldbesitzer Richard zu Sayn-Wittgenstein in seinem riesigen Forst im Südosten Nordrhein-Westfalens unternommen hatte. Ein Trägerverein sollte das Projekt managen. Von Anfang an hatte es viele Gegner, vor allem unter den Waldbesitzern in Wittgenstein und im angrenzenden Sauerland.

Sie sahen die rindenfressenden Wildrinder als Schädlinge ihrer Forstbetriebe und überzogen den Trägerverein mit Klagen. Mal gewann die eine Seite, mal die andere, am Ende allerdings verfügten die Gerichte: Der Trägerverein muss für Schäden haften, die die Wisente an den Eichen und Buchen der Waldbauern verursachen. Das wollte und konnte der Verein nicht tragen. Er stieg aus dem Projekt aus, erklärte die Wisentherde für herrenlos und beantragte schließlich Insolvenz.

Fördern Wisente die Biodiversität?

Während sich Verwaltungen, Forstbesitzer und Naturschützer stritten, gediehen die Tiere in der Freiheit und vermehrten sich. Aus acht wurden im Laufe der Jahre 40, die auf alten Wanderrouten von Wildtieren durch das Rothaargebirge und benachbarte Gebiete streiften. Ein Runder Tisch sollte im vergangenen Jahr schließlich Frieden bringen.

Nach einem Dreivierteljahr Gesprächsrunden empfahl das Gremium im Herbst zahlreiche Maßnahmen: Die Zahl der Tiere sollte reduziert werden, zudem sollten mehrere Tiere mit Sendern versehen, die Herde von Rangern betreut und wissenschaftlich erforscht werden. Es gibt nämlich zahlreiche offene Fragen zu den Wisenten: Welchen Einfluss haben die Wildrinder auf das Ökosystem Wald? Vermehren sie die Biodiversität? Und vor allem: Wie breit ist ihre genetische Basis? Gibt es Inzucht?

Der einst in Europa weit verbreitete Wisent war Anfang des 20. Jahrhunderts nämlich beinahe ausgestorben. Die Art konnte nur mit zwölf in Zoos lebenden Tieren erhalten werden. Inzwischen sorgt ein europaweites Erhaltungszuchtprogramm dafür, dass sich die schmale genetische Basis der Tiere verbreitet. 7.200 Wisente gibt es derzeit wieder, sorgfältig verzeichnet in einem Zuchtbuch. Für den Erhalt der Tiere ist ein vielfältiges Erbgut eine wichtige Voraussetzung.

Auch die Zukunft der Wittgensteiner Wisente hängt von ihrer Genetik ab. „Tierparks oder Freilandprojekte werden genau wissen wollen, wie der Genpool der Herde aussieht“, sagt Moritz Klose, Geschäftsführer der NABU-Naturschutzstiftung International. Er meint, die Wisente seien zu stark von Inzucht betroffen und eigneten sich nicht für Zuchtprogramme. Andere Projekte würden sie deshalb nicht haben wollen. Es habe von Anfang an Probleme beim Management der Herde und des Projektes gegeben. „Aber nun sind die Tiere da“, sagt Klose, „jetzt werden alle Beteiligten eine gute Lösung finden müssen.“

Die Umweltverbände vor Ort hatten das Wisent-Projekt des örtlichen Fürsten zunächst als Marotte eines adeligen Jagdliebhabers betrachtet, im Laufe der Zeit aber Interesse daran gefunden. Im Zuge des klimabedingten notwendigen Waldumbaus sei es ein interessantes Experiment, welche Rolle große Grasfresser im Wald der Zukunft spielen könnten, argumentieren sie. Zudem sei „die erfolgreiche Wiederansiedlung des Wisents in Zeiten der sich zuspitzenden Biodiversitätskrise ein Meilenstein für die Restauration unserer Ökosysteme“, sagt Bund-Landeschef Sticht.

Naturschützer fordern Krischer zum Handeln auf

Der BUND hält es für einen Rechtsverstoß, dass der Kreis die Wisente in dem Gatter gefangen und eingesperrt hat, da es sich bei den Tieren um eine „streng geschützte Art handelt, keine Ausnahme von den Verboten vorliegt und mangels Vorliegen der Voraussetzungen auch nicht erteilt werden darf“.

Besonders enttäuscht zeigt sich Sticht vom Landesumweltminister Oliver Krischer. Beobachter des Projektes, die namentlich nicht genannt werden wollen, kritisieren, der Grünen-Politiker interessiere sich zu wenig für das Artenschutzprojekt. Krischer ducke sich weg. Zuletzt finanzierte das Landesumweltministerium mit 400.000 Euro aus dem Naturschutzhaushalt das Gatter, in das die Wisente nun eingesperrt sind.

Dabei habe NRW im Laufe der Jahre nicht nur drei Millionen Euro in das Freisetzungsprojekt investiert, um es jetzt auf diese Art zu beenden, sagt Sticht. Das damals CDU-geführte Umweltministerium des Landes hatte die Herde noch 2019 als frei lebende Population einer streng geschützten Art an das Bundesumweltministerium gemeldet. Seitdem gilt die Herde als geschützt nach dem EU-Naturschutzrecht. Diese Meldung könnte die rechtliche Grundlage dafür sein, die Wisente wieder freizulassen.

Fragen zur Zukunft der Wisente in NRW beantwortet Krischer nicht. Sticht sieht ihn gleichwohl in der Verantwortung: Der Minister sei „zweifelsfrei für den Schutz der wilden Wisentpopulation verantwortlich und könnte hier nach fast zwei Jahren Ambitionslosigkeit endlich einmal liefern“, so Sticht.

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