Sängerin Katharina Kollmann: „Als Künstlerin keine Aktivistin“

Am 12. April erscheint „Haus“, das neue Album von nichtseattle. Ein Gespräch über missglückte Dates, politischen Anspruch und Autonomie.

Porträt der Berliner Künstlerin Katharina Kollmann im blauen Shirt

Katharina Kollmann aka Nichtseattle Foto: Sascha Schlegel

ta­z: Katharina Kollmann, Ihr letztes Album unter dem Alias Nichtseattle, „Kommunisten­libido“, wurde in der öffentlichen Rezeption vielfach in Bezug auf politisch-subversive Implikationen diskutiert. Der Titel Ihres neuen Albums „Haus“ legt indes nahe, dass nun ein Rückzug ins Private folgt.

Katharina Kollmann, 1985 in Ostberlin geboren, spielte bereits als Teenagerin in verschiedenen Bands. 2019 veröffentlichte sie ihr Debütalbum „Nachwendekid“ in Eigenregie. Im Sound kombinierte sie schwermütige Grunge­gitarrenhooks mit folkigen Melodien und poetischen Texten. Das zweite Album, „Kommunistenlibido“ (2022), vom Berliner Indie-Label Staatsakt veröffentlicht, wurde von der Kritik hoch gelobt.

Katharina Kollmann: Die Trennung von Privatem und Politischem würde ich in meinen Songtexten nie so klar vornehmen. Den Rückzug ins Private sehe ich so auch nicht. Das würde ja einhergehen mit Themen wie Familiengründung, Hausbau, und darum geht es ja gerade gar nicht – sondern eher darum, sich auf einer tieferen, vielleicht auch gesellschaftlichen Ebene zu verbinden.

Gleich im Auftaktsong „Beluga“ singen Sie: „Der isst in Ruhe sein Quinoa / Seine Beete, spricht von Yoga / Hört nicht auf entspannt zu grinsen / Der und seine Bio-Beluga-Linsen.“ Was ist das für ein Mensch, den Sie da besingen?

Es geht um ein Treffen mit einem Typen im Rahmen eines missglückten Dates, bei dem es zwischenmenschlich nicht passt. Er ernährt sich gesund, fair und bio und ist davon angetrieben, immer alles richtig zu machen. Dabei merkt er gar nicht, dass er super egozentrisch handelt, weil er den ganzen Tag nur mit sich selbst beschäftigt ist. Er versucht, durch den Konsum der vermeintlich richtigen Waren links zu sein, was aber zum Scheitern verurteilt ist. Am Ende geht es bei Typen wie ihm viel um Außenwahrnehmung und Style.

Begegnen Ihnen im Alltag häufig Charaktere dieser Art?

Die Umschreibung im Songtext ist auf jeden Fall ein Stereotyp, daher darf man das nicht zu wörtlich nehmen. Ich war sehr wütend, als ich getextet habe, und es war auch dementsprechend befreiend, das zu Papier zu bringen. Aber vielleicht ist der Text auch ein bisschen unfair, so von oben herab. Ich nehme es schon so wahr, dass viele Leute nach ähnlichen Idealen streben wie der Typ im Text, und das ist ja auch prinzipiell cool. Nur sind damit eben viele Widersprüche verbunden. Was ich aber natürlich unterschlage, ist, dass man es ja tatsächlich auch nicht richtig machen kann.

Ich habe in dem Text auch eine politische Kritik an dieser Art von Charakter gelesen. Verstehen Sie sich eigentlich als politische Künstlerin?

Die Frage kann ich nicht gut beantworten, weil ich denke, dass ich eigentlich gar nicht unpolitisch sein kann. Ich glaube, dass wir alle eine politische Prägung haben, und dass das dementsprechend alles beeinflusst, was wir tun oder unterlassen. Insofern sind Ballermann-Schlager auf ihre Weise auch politisch, weil sie eine Haltung implizieren, die aber eben die gegenwärtigen Verhältnisse bejaht. Ich bin auf jeden Fall als Künstlerin keine Aktivistin, aber mir ist es schon wichtig, dass sich meine persönliche Haltung auch in meiner Musik widerspiegelt. Das ist auch der Grund, warum ich Musik mache: Um ein Ventil dafür zu finden, was ich empfinde und denke.

Parallel haben Sie das englischsprachige Projekt Lake Felix. Welchen Unterschied macht es für Sie, auf Deutsch oder Englisch zu singen?

Bei Lake Felix kann ich mich manchmal mehr in die Musik fallen lassen und dadurch besser vergessen, was ich gerade singe. Dadurch steht die Musik bei dem Projekt für mich im Vordergrund. Bei Nichtseattle ist sie auch wichtig, aber es ist schon so, dass der Songtext für mich viel präsenter ist, wenn ich auf Deutsch singe.

Am 12. April erscheint das neue Album „Haus“ (Staatsakt/Bertus/Zebralution). Ab 2. Mai geht Nichtseattle auf Tournee.

Tocotronic – an deren Song „Wir sind hier nicht in Seattle, Dirk“ der Name Ihres Projektes angelehnt ist und mit deren Sänger Dirk von Lowtzow Sie Ihren neuen Videoclip zum Song „Krümmel noch da“ gedreht haben – hatten auf beim Debütalbum den Song „Über Sex kann man nur auf Englisch singen“.

Genau, und ich glaube, damit ist auch gemeint, dass man sich hinter englischen Texten im Zweifel auch besser verstecken kann als deutsche Muttersprachlerin.

Kostet Sie es denn Überwindung, die mitunter intimen und verletzlichen Songs von Nichtseattle auf offener Bühne zu präsentieren?

Nein. Dadurch, dass das alles eine lyrische Form hat, fällt es mir tatsächlich nicht so schwer. Denn das, was ich präsentiere, bin ja nicht ich, sondern das ist dann das Kunstwerk. Aber klar, manchmal gibt es schon ein paar Zeilen, die ich auf konkrete Situationen zurückführen kann, sodass ich dann denke: Okay, krass, dass ich das jetzt so singe.

Im Waschzettel zum neuen Album „Haus“ werden mit PJ Harvey und Gerhard Schöne zwei sehr unterschiedliche, aber doch treffende Referenzen aufgeführt. Was verbindet Sie mit den beiden Künstler*innen?

PJ Harvey ist in den 1990er Jahren als Künstlerin berühmt geworden, wie sie es in der Radikalität damals sonst kaum gab. Durch ihre Haltung und ihr Frausein hatte Harvey für mich schon früh Vorbildcharakter. Den Liedermacher Gerhard Schöne habe ich durch meine Mutter schon in meiner Kindheit gehört. Seine Texte sind total unschuldig und unironisch, was ich ganz toll finde.

Gerhard Schöne gehört ja zur klassischen Liedermacher-Generation. Auch Sie werden oft als Liedermacherin bezeichnet. Fühlen Sie sich mit diesem Begriff wohl?

Ich weiß nicht so recht. Was mich an dem Begriff stört, ist, dass dabei mitunter die Rolle der Musik unterschätzt wird. Liedermacher werden oft mit viel Text und zusätzlich zwei, drei Grundakkorden auf der akustischen Gitarre verbunden. Das ist bei mir ja schon anders. Aber andererseits ist es ja schon so, dass der Text bei mir auch sehr wichtig ist. Insofern ist der Begriff okay.

Lie­der­ma­che­r*i­nnen sind in ihrem künstlerischen Ausdruck viel autonomer und freier als Künstler*innen, die sich in einer Band demokratisch verständigen müssen. Bei Ihnen scheint mir das ähnlich zu sein.

Ja, künstlerische Autonomie ist mir tatsächlich sehr wichtig. Das hängt auch damit zusammen, dass Songskizzen in meinem Kopf sehr schnell als fertige Songs mit komplexer Instrumentierung erscheinen. Dadurch habe ich oft den Drang, eine bestimmte Melodie auch genauso in den Song zu überführen. Manchmal nervt mich das aber auch selbst, dass ich davon nicht auch leichter mal loslassen kann. Aber ich merke halt schnell, dass ich unzufrieden werde, wenn ich meine Vision nicht verwirklichen kann.

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