Streit über Kindergrundsicherung: Grüne verteidigen Paus' Pläne

Tausende neue Stellen hat die Ministerin für die Einführung der Familienleistung angemeldet – bei SPD und FDP stößt das auf Kritik. Grüne kontern.

Lisa Paus sitzt alleine im Bundestag , hinter und vor ihr, leere blaue Stühle

Will „von der Holschuld der Bürger zur Bringschuld des Staates kommen“: Familienministerin Lisa Paus (Grüne) Foto: Thomas Trutschel/imago

BERLIN taz | Die Grünen pochen darauf, die Kindergrundsicherung schnell einzuführen – trotz Kritik der Koalitionspartner an den bisherigen Plänen, die eine neue Behördenstruktur und Tausende neue Verwaltungsstellen vorsehen. „Als ich gehört habe, dass 5.000 Stellen geplant sind, war ich etwas verwundert“, hatte SPD-Chef Lars Klingbeil vergangene Woche dem Redaktionsnetzwerk Deutschland gesagt. FDP-Vizefraktionschefin Gyde Jensen sagte dem Portal „Table.Media“ nun, niemand brauche eine neue Behörde mit so vielen Stellen. Es werde schwer, weiter seriös über das Projekt zu verhandeln.

Die Grünen dagegen verweisen auf Vereinbarungen innerhalb der Ampel. „Im Koalitions­vertrag haben sich alle drei ­Parteien darauf verständigt, dass wir die vielen verschie­denen Familienleistungen in der Kindergrundsicherung bündeln und Kinderarmut so tatsächlich bekämpfen. Das ­Kabinett hat im Gesetzesentwurf ­gemeinsam festgelegt, dass dafür der neue Familienservice unter dem Dach der Bundesagentur für Arbeit zuständig sein soll“, sagte Stephanie ­Aeffner, die das Thema für die Fraktion im Bundestag ver­handelt, am Dienstag der taz.

Der vom Kabinett beschlossene Gesetzentwurf, federführend erstellt von der grünen Familienministerin Lisa Paus, liegt dem Bundestag seit September vor. Sichtbare Fortschritte in den Beratungen gab es seitdem kaum. Der Entwurf sieht vor, Leistungen wie das Kindergeld, das Bürgergeld für Kinder und den Kinderzuschlag für geringverdienende Eltern zu bündeln. Als zentrale Stelle soll dafür der neue Familienservice zuständig sein. Hervorgehen würde er aus den bestehenden Familienkassen, die heute schon das Kindergeld auszahlen.

Der ursprüngliche Gedanke dahinter: weniger Bürokratie und mehr Durchblick für die Betroffenen. Tatsächlich könnte der vorliegende Entwurf die Verfahren allerdings verkomplizieren, statt sie zu vereinfachen, warnten Ex­per­t*in­nen in einer ersten Bundestagsanhörung im November. Bisher müssten sich Eltern bedürftiger Kinder nur an das Jobcenter wenden, künftig an mehrere Behörden, hieß es dort etwa.

Der Grünen-Abgeordneten Aeffner zufolge haben die Ampelfraktionen nach der Anhörung die beteiligten Ministerien um eine Prüfung gebeten: Könnten Kinder, deren Eltern Bürgergeld beziehen, weiterhin von den Jobcentern betreut werden? Alle beteiligten Häuser – auch SPD- und FDP-geführte – hätten dagegen verfassungsrechtliche Bedenken angemeldet. Die schon vom Kabinett geplante Bündelung für alle Kinder beim Familienservice sei die logische Konsequenz. „Nachdem die Antworten der verschiedenen Ministerien vorliegen, gehe ich davon aus, dass wir die Kindergrundsicherung noch vor der Sommerpause im Bundestag und Bundesrat beschließen werden“, so Aeffner weiter.

Es geht auch um parteipolitische Profilierung

Auch den geplanten Stellenzuwachs verteidigen die Grünen. Die Mit­ar­bei­te­r*in­nen im Familienservice sollen laut dem Gesetzesentwurf automatisch prüfen, ob einer Familie neben dem Sockelbetrag der Kindergrundsicherung weitere Leistungen zustehen. Dadurch würden künftig auch Familien erreicht, die eigentlich schon heute leistungsberechtigt sind, aber aus Unkenntnis oder Überforderung keine Anträge stellen. Und mehr Leis­tungs­emp­fän­ge­r*in­nen bringen eben auch einen höheren Verwaltungsaufwand mit sich.

„Mit den 5.000 Stellen wollen wir von der Holschuld der Bürger zur Bringschuld des Staates kommen“, sagte Familienministerin Paus am Wochenende der Rhein-Zeitung. Die Abgeordnete Aeffner verweist darauf, dass der Personalbedarf von der Bundesagentur für Arbeit selbst so beziffert wurde. „Einer Behörde wie der BA würde ich in solchen Fragen vertrauen. Es ist nicht so, dass wir Grüne diese Zahl gewürfelt hätten“, sagte sie.

Dass sich ihre Partei für die Pläne zur Kindergrundsicherung rechtfertigen muss, ist nicht neu. Schon während der Beratungen im Kabinett wurden die ursprünglichen Modelle abgesteckt. Für das Projekt steht weit weniger Geld bereit als von Paus zunächst gefordert. Zudem werden doch nicht sämtliche Leistungen in der Kindergrundsicherung gebündelt. Vor allem die SPD wirft der Familienministerin auch immer wieder handwerkliche Mängel am Gesetzentwurf vor.

Neben dem Streit um die Sache geht es in der Debatte auch um parteipolitische Profilierung: Viele Grüne hoffen, dass ihrer Partei durch einen Erfolg bei der Kindergrundsicherung mehr sozialpolitische Kompetenz zugeschrieben würde. Die SPD dagegen fürchtet die Konkurrenz der Ökopartei bei ihrem Kernthema – und die FDP möchte in den kommenden Wahlkämpfen nicht mit einem Ausbau des Sozialstaats verbunden werden.

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