Behördenumgang mit Roma: Stabiles Stigma

Sich gegen mögliche Diskriminierung auf dem Amt zu wehren, ist nicht immer leicht, beklagt der Sozialarbeiter Timur Beygo.

In einem geöffneten Aktenkoffer sieht man die Titelseite der internen Arbeitshilfe der Jobcenter, die 2019 geleakt wurde.

Die Bundesagentur für Arbeit hat offensichtlich ein Problem mit Antiziganismus Foto: Sarah Eick/Amaro Foro

BERLIN taz | Roma und Sozialbetrug ist eines der Lieblingsthemen der Boulevardmedien. Bei Verdachtsfällen wird, wie im vergangenen August in Duisburg-Friemersheim, genüsslich über „Mega-Razzien“ gegen „Clans“ mit „Luxus-Autos in der Tiefgarage“ berichtet und Po­li­ti­ke­r:in­nen für „Knallhart-Ansagen“ das Mikro hingehalten. Konkrete Zahlen gibt es keine, aber das so immer weiter befeuerte Stigma ist überaus stabil – und hat Folgen.

Im Sommer 2020 etwa verschickte die Bundesagentur für Arbeit (BA) an ihre Beschäftigten eine interne Handreichung zur „Bekämpfung von bandenmäßigem Leistungsmissbrauch im spezifischen Zusammenhang mit der EU-Freizügigkeit“. Auf 20 Seiten werden darin Praktiken beschrieben, mit denen EU-Ausländer:innen sich rechtswidrig deutsche Sozialleistungen erschleichen – etwa vorgetäuschte Arbeits- oder Mietverhältnisse oder falsche Angaben zum Lohn.

Das Wort „Roma“ kam darin nicht vor, in der Ursprungsfassung war allerdings von den Herkunftsländern Bulgarien und Rumänien die Rede. Nach Protesten wurden die Länder entfernt. Doch es blieb klar, um wen es geht.

Die BA verwies zwar darauf, dass die An­trag­stel­le­r:in­nen „in vielen Fällen selbst Opfer (sind), sie werden von Banden ausgenutzt, die sich die materielle Not vieler Betroffener in ihren Herkunftsländern zunutze machen und sie vielfach mit falschen Versprechungen nach Deutschland locken.“ Und so weise die BA ihre Sach­be­ar­bei­te­r:in­nen „ausdrücklich darauf hin“, dass „EU-Bürger nicht unter Generalverdacht stehen, Leistungsmissbrauch zu begehen“, und die überwiegende Mehrheit einen rechtmäßigen Anspruch“ habe. Doch die Handreichung hatte gleichwohl Wirkung.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) befragte Ende 2020 rund 400 Beratungsstellen, fast die Hälfte berichtete von Fällen, in denen EU-Bürger:innen „bereits in der Eingangszone von Jobcentern abgewiesen worden sind und somit keinen Antrag auf ‚Hartz IV‘“ stellen konnten. Über 40 Prozent der befragten Beratungsstellen hätten angegeben, dass die Jobcenter „rechtswidrig aufgrund fehlender Sprachkenntnisse die Entgegennahme von Anträgen abgelehnt haben“.

Die Erkenntnisse seien „alarmierend“, sagte damals der BAGFW-Vize Jens Schubert. „Es darf nicht sein, dass Bürgerinnen und Bürger der EU daran gehindert werden, ihnen nach dem Gesetz und dem EU-Recht zustehende Leistungen zu beantragen.“

Abweisende und diskriminierende Praxis

Man nehme „eine stark zunehmende restriktive und abweisende, z. T. auch diskriminierende Praxis der Jobcenter gegenüber Uni­ons­bür­ge­r*in­nen wahr“, hieß es in einem Protestbrief von elf Beratungsstellen an das Bundessozialministerium vom November 2020. Und auf eine Rundmail an die Paritätischen Beratungsstellen in diesem Frühjahr bekam die taz in diese Richtung weisende Zuschriften.

Ein Leistungsanspruch entsteht, wenn EU-Bürger:innen in Deutschland eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufnehmen. Reicht der Lohn daraus nicht zum Leben, können sie aufstockende Leistungen („Hartz IV“) beantragen.

Doch diesen durchzusetzen und sich gegen mögliche Diskriminierung auf dem Amt zu wehren, ist nicht immer leicht. „Die Behörden sagen ja nicht ‚Du bist Roma und kriegst nichts‘“, sagt der Sozialarbeiter Timur Beygo, Leiter der Sozialen Beratungsstelle des Förderverein Roma e.V. in Frankfurt am Main.

Beygo berät vor allem Roma aus Rumänien, die in Deutschland häufig im Reinigungs- und Baugewerbe arbeiten. Ein Teil sei nicht alphabetisiert – was viel mit der Ausgrenzung im Herkunftsland zu tun habe. „Da ist der Zugang zur Schule oft äußerst schwierig“, sagt Beygo. Hierzulande würden sie von Arbeitgebern teils ausgenutzt. Arbeitsbedingungen seien oft prekär, Gehälter häufig so niedrig, dass Anspruch auf ergänzende Leistungen bestehe.

Doch dazu forderten Jobcenter bisweilen Dokumente, die Arbeitgeber den An­trag­stel­le­r:in­nen vorenthielten. „Wenn die das mit mir machen würden, würde ich einfach zur Personalabteilung gehen“, sagt Beygo. „Wenn man aber kein Deutsch kann, kann man sich da viel schlechter durchsetzen.“ So vergehe oft viel Zeit, bis Geld fließe. Ersparnisse, um diese Zeit zu überbrücken, gebe es oft nicht, Verschuldung sei teils die Folge. „Eine vorläufige Bewilligung wie bei deutschen Familien – das wird bei Roma nur sehr selten gemacht, es muss meist alles komplett vorliegen“, sagt Beygo.

Unabhängig von der Einkommenshöhe haben EU-Arbeitnehmer:innen einen Anspruch auf Kindergeld. Doch welche Dokumente Aus­län­de­r:in­nen dazu vorlegen müssen, werde teils sehr unterschiedlich gehandhabt. „Die Ämter können nach Ermessen zusätzliche Dokumente fordern, etwa eine Schulbescheinigung, die für Roma in Rumänien nur sehr schwer zu beschaffen ist.“ Teils müssten diese dafür Bestechungsgelder zahlen.

Schwierige Wohnsituation

Wer seine Arbeit verliert oder kündigt, verliert sechs Monate später auch seinen Anspruch auf deutsche Sozialleistungen. Das ändert sich erst nach fünf Jahren Aufenthalt in Deutschland. Doch diesen könnten Roma teils nicht nachweisen – und landeten in der Obdachlosigkeit. „Von dort ist es dann sehr schwer, wieder eine Beschäftigung zu finden – auch, weil das Leben auf der Straße stark an der Gesundheit zehrt“, sagt Beygo.

Überhaupt sei die Wohnsituation ein großes Problem. In Hessen etwa verpflichtet das Sicherheits- und Ordnungsgesetz die Kommunen, obdachlosen Roma eine Unterkunft zuzuweisen, sofern ein Sozialleistungsanspruch besteht. Viele würden mit Asylsuchenden in Sammelunterkünften untergebracht – und dort lange bleiben.

Zwar können sie nach einem Jahr einen Antrag auf eine Sozialwohnung stellen. „Aber es gibt kaum große Wohnungen in Frankfurt“, sagt Beygo. „Als 7-köpfige Familie hast Du fast keine Chance, da rauszukommen.“ So würden seine Kli­en­t:in­nen im Schnitt fünf bis sechs Jahre in den Sammelunterkünften bleiben. „Dort kriegen Familien dann drei Zimmer zugewiesen, ohne private Duschen oder Kochgelegenheiten, das kann sehr belastend sein.“

Die Ämter seien nur selten bereit, für Integrationsmaßnahmen, etwa Alphabetisierungskurse zu zahlen, klagt Beygo. Eine Ausnahme sei das BAMF, das auf Antrag die Teilnahme an Integrationskursen bewillige. „Aber da fehlt es oft an Plätzen.“ Zu anderen Kursen sagten die Sach­be­ar­bei­te­r:in­nen oft: „Das lohnt sich nicht, die sind ja eh bald wieder weg“ oder „Die haben doch 'nen Job, das reicht doch“. So lasse man das Potential der Menschen brach liegen. „Man investiert nicht in ihre Entwicklung und Chancen.“

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