Wahlkampfstart in Europa: Von der Leyen nimmt's nicht so genau

In Brüssel ist der Europawahlkampf eröffnet. Kommissionschefin von der Leyen setzt auf eine zweite Amtszeit. Doch es gibt bereits mächtig Ärger.

Ursula von der Leyen während einer Pressekonferenz

In Brüssel hat der Wahlkampf begonnen, auch für Ursula von der Leyen Foto: Johanna Geron/reuters

BRÜSSEL taz | In Brüssel hat der Europawahlkampf mit einem Paukenschlag begonnen. Zwei Personalentscheidungen, die die deutsche EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) mit Blick auf die Wahl im Juni getroffen hat, sorgen für Streit. Entscheidung Nummer eins: Ein Parteifreund von der Leyens, der CDU-Politiker Markus Pieper, wurde zum Beauftragten für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) ernannt. Dagegen begehren gleich vier EU-Kommissare auf.

Entscheidung Nummer zwei: Von der Leyens Kabinettschef Björn Seibert soll ihren Wahlkampf leiten und dafür in die Parteizentrale der EVP wechseln. Das ist jedoch nur schwer mit den Neutralitätsregeln der EU zu vereinbaren. Darin heißt es, dass Kommissare, die am Europawahlkampf teilnehmen, „keine personellen oder materiellen Ressourcen der Kommission für Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Wahlkampf in Anspruch nehmen“ dürfen.

Deshalb werde Seibert für die Zeit des Wahlkampfs von seiner Tätigkeit in der EU-Kommission beurlaubt, kündigte Behördensprecher Eric Mamer an. Bis zur Wahl werde er das Kommissionsgebäude nicht mehr betreten, man halte sich an die internen „guidelines“. Von außen sieht die Sache allerdings anders aus. Denn Seibert, über dessen Tisch alle wichtigen Dossiers seiner Chefin gehen – vom Green Deal bis zu den Russland-Sanktionen – dürfte sein Wissen und seine Kontakte nicht vergessen, wenn er für die EVP arbeitet.

Zudem will Seibert sofort nach der Wahl in sein altes Amt zurückkehren. Die Entscheidung, ob von der Leyen eine zweite Amtszeit erhält, fällt jedoch erst danach. Die Trennung von Amt und Wahlkampf wird unscharf, der Stempel der EVP – und der dort tonangebenden CDU – hinterlässt Spuren. Die Grünen sehen das mit Sorge. „Die Regeln sind eindeutig: In den Wahlkampf von Frau von der Leyen dürfen keine EU-Ressourcen fließen. Also auch kein Personal“, sagte der auf Ethik-Fragen spezialisierte grüne Europaabgeordnete Daniel Freund. „Es ist absolut richtig, dass ihr Team jetzt in den unbezahlten Wahlkampf-Urlaub geht.“

Selbst im eigenen Hause herrschen Zweifel

Doch genau daran gibt es Zweifel. Selbst wenn Seibert nun eine Brandmauer einzieht, von der Leyen will auch im Wahlkampf ihren Job als Kommissionschefin weiterführen. Dass sie dabei sehr selbstbewusst – Kritiker sprechen von Selbstherrlichkeit – vorgeht, zeigt der zweite Streitfall. In Anspielung an das „Pfizergate“, die bis heute nicht aufgeklärte Affäre um milliardenschwere Impfstoff-Bestellungen beim US-Konzern Pfizer, wurde er „Piepergate“ getauft.

Es geht um die Frage, ob von der Leyen den früheren EU-Abgeordneten Pieper zu Recht zum KMU-Beauftragten ernannt hat. Zwei Gegenkandidatinnen wären genauso qualifiziert gewesen, heißt es in Brüssel, zudem habe es Druck aus der CDU in Nordrhein-Westfalen gegeben. Von der Leyen bestreitet das.

Doch selbst im eigenen Hause glauben ihr nicht mehr alle. Die vier EU-Kommissare Thierry Breton, Nicolas Schmit, Paolo Gentiloni sowie der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell haben sich von der Nominierung distanziert. Das Kollegium müsse „gemeinsam über eine Antwort auf die Vorwürfe und über Auswirkungen auf die nächsten Schritte im Einstellungsverfahren beraten“, fordern sie.

Auch die Grünen machen Druck: Sie wollen das Verfahren neu aufrollen. Am Dienstagabend könnte es im Europaparlament zum Showdown kommen. Dann wollen die Grünen den Streit im Plenum ansprechen. Der Wahlkampf ist also eröffnet. Und von der Leyen ist bereits zu Beginn in die Defensive geraten.

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