Italienischer und deutscher Fahrstil: Die Romantik des Autofahrens

Im Berliner Exil überfällt die Autorin die Sehnsucht nach Rom. Besonders vermisst sie Italien, wenn sie auf dem Fahrersitz eines Autos sitzt.

Sehr viele Autos stauen sich auf einer Straße in Rom.

Abendlicher Berufsverkehr auf der Piazza Venezia in Rom Foto: Oleksii Sergieiev/imago

Seitdem ich mich seit einigen Wochen in einem selbstgewählten Berliner Exil befinde, dessen Grund mir einst vernünftig, mittlerweile allerdings schleierhaft erscheint, überkommt mich in den absurdesten Momenten eine akute Rom-Sehnsucht.

Wenn zum Beispiel am Sonntag ein Nachbar auf die Straße runterschreit, „Das ist kein Parkplatz, das ist eine Einfahrt! Das kostet sie jetzt 30 Euro! Das wissen sie schon, oder?“, nur weil ein armer Typ seinen Wagen fünf Minuten lang in der Einfahrt geparkt hat, aus der sowieso keiner wollte.

Dann denke ich voller Liebe an all die Leute, die samstags und sonntags vor dem Café in meinem Viertel in zweiter Reihe parken und nur dann zu ihrem Auto hechten, wenn jemand durch lautes Hupen manifestiert, dass er oder sie eingeparkt ist und gerne wieder losmöchte. Ganz freundlich, ohne großes Theater, ohne sich gleich mit Anzeigen oder ähnlich miesepetrigen Ausrufen zu drohen.

Überhaupt hat diese Sehnsucht ungewöhnlich oft mit Autos zu tun. Als ich vor einigen Wochen zum ersten Mal seit Langem mit einem Leihwagen durch Berlin fuhr, kam ich am Ende der Strecke vollkommen entnervt an und raunte meinem Gegenüber zur Begrüßung erst einmal ein etwas harsches „Deutsche können wirklich nicht Auto fahren“ entgegen.

Der vermeintlich wilde italienische Fahrstil

Das war nicht nett, der arme Mann konnte ja wirklich nichts dafür, trotzdem bleibe ich bei der Meinung: Wo man gemeinhin, sowohl in Deutschland als auch in Frankreich (und wahrscheinlich auch anderswo) behauptet, „die Italiener“ (wer auch immer das sein mag) hätten einen besonders wilden, anarchischen Fahrstil und es sei absolut mutig, wenn nicht gar lebensmüde, sich auf einer italienischen Straße auf den Fahrersitz zu hocken, bin ich mittlerweile vom Gegenteil überzeugt.

Sie beweisen am Steuer eine ähnliche Flexibilität wie im Alltag. Sicher, wer sich blind an Regeln halten will, klar eingezeichnete Fahrspuren braucht, weil er sich nicht selbst vorstellen kann, wo sie denn ungefähr verlaufen könnten, vorhat, stur auf seinem Recht zu beharren, weil es ja nun mal das Recht ist und man dem Recht folgt, sollte sich lieber nicht ans Steuer setzen. Zumindest nicht südlich der Toskana.

Es könnte in der Tat blöd ausgehen. Wer allerdings gewillt ist, sich in Aufmerksamkeit für seine Umwelt zu üben und zu lernen, spontan zu reagieren, wer Lust hat, nicht für sich allein, sondern mit den anderen Verkehrsteilnehmern zusammen zu fahren, wie in einem Tanz, bei dem man nicht einfach steif die erlernten Schritte nachmacht, sondern nachspürt, was die Partner tun, auf ihre Bewegungen reagiert, weitere initiiert, sich eingliedert und ausschweift, einfach dem Fluss folgt, wird merken, wie viel amüsanter Autofahren sein kann. Wie viel organischer.

Nun bin ich eigentlich gar kein besonderer Autofan, ich besitze keines und möchte auch keines besitzen. Trotzdem dachte ich neulich schon wieder an das Fahren in Rom.

Sie malend, er schreibend

Ich las in einem Buch eines Freundes, dem sehr schönen „Eine Frau und ein Mann“, einer Kollaboration zwischen dem Autor Niklas Maak und der Illustratorin Leanne Shapton. Es folgt einem einfachen Prinzip: Sie fahren in Amerika und Europa berühmte Filmsequenzen nach, in denen eine Frau und ein Mann in einem Auto sitzen, und halten ihre Erlebnisse, Eindrücke, beim Fahren aufgekommenen Assoziationen und Geschichten fest. Sie malend, er schreibend.

Sie fahren durch Manhattan wie in „Annie Hall“, in die Normandie wie in „Un homme et une femme“, durch Montana wie in „The Shining“. Und: Von Rom nach Neapel wie in Rossellinis „Viaggio in Italia“. Wer diesen Teil liest und ein bisschen Herz hat, will sofort alles stehen und liegen lassen und gen Süden reisen, will die Fenster runterkurbeln, zu den Pinien und den rot leuchtenden Ruinen aufschauen, den Papageien lauschen und die staubig weiche Luft einatmen.

Denn das Buch folgt, wenn man so will, einem ähnlichen Prinzip wie die Straßen der italienischen Hauptstadt. Es sagt, dass Autofahren keine egoistische, ängstlich fantasielose Regeln befolgende Aktivität ist, sondern, wenn schon nicht umweltfreundlich, dann doch zumindest romantisch, poetisch, sinnlich sein kann. Ich glaube, es wird Zeit, wieder nach Rom aufzubrechen.

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