Klimaschutz als Menschenrecht: Seniorinnen siegen in Straßburg

Der Menschenrechtsgerichtshof gibt einer Gruppe älterer Frauen recht: Ihr Land tue zu wenig, um das Klima zu schützen. Das Urteil gilt als wegweisend.

Die Klimaseniorinnen gehen nach der Urteilsverkündung gut gelaunt die Treppe hinunter und winken

Großer Jubel: Die Klimaseniorinnen am Dienstag nach ihrem Erfolg vor dem Straßburger Gericht Foto: Jean-Christophe Bott/dpa

BERLIN taz | Es gilt als wegweisendes Urteil: Die Schweiz schützt ihre Bür­ge­r*in­nen zu wenig vor der Klimakrise. Sie müsste mehr tun, um den Anstieg der globalen Temperatur zu begrenzen – also für weniger Treibhausgasemissionen sorgen. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte am Dienstag in Straßburg entschieden.

Geklagt hatten die Klimaseniorinnen, eine Gruppe aus mehr als 2.000 Schweizerinnen, die durchschnittlich 73 Jahre alt sind. Sie hatten sich schon in der Schweiz durch die Instanzen geklagt – ohne Erfolg. Ihre Argumentation: Sie seien besonders von den Folgen der Klimakrise betroffen, wären zum Beispiel als ältere Frauen noch stärker als die Durchschnittsperson während Hitzewellen in Gefahr. Insgesamt gehen die Schweizer Behörden von 474 Hitzetoten im Sommer 2022 aus, neuere Daten liegen noch nicht vor. Auch in Deutschland starben in dem Jahr sehr viele Menschen durch Hitze, laut Robert-Koch-Institut gab es 4.500 Fälle.

Die Straßburger Rich­te­r*in­nen wiesen allerdings am Dienstag auch zwei weitere Klimaklagen gegen Regierungen ab: Sechs portugiesische Jugendliche hatten mehr als 30 europäische Staaten auf mehr Klimaschutz verklagt, darunter Deutschland. Und der ehemaliger französischer Bürgermeister des Küstenorts Grande-Synthe, Damien Carême, forderte für dessen Schutz mehr Engagement gegen die Erderhitzung von seiner Regierung.

Nur hatten die Por­tu­gie­s*in­nen noch gar nicht ihre heimischen Gerichte angefragt. Und Carême ist mittlerweile als EU-Abgeordneter in Brüssel wohnhaft, gilt also für das Straßburger Gericht nicht mehr als Opfer der Klimawandelfolgen in Grande-­Synthe. In beiden Fällen sprachen also formale Gründe gegen einen Erfolg vor dem Menschenrechtsgerichtshof.

„Ein Sieg für alle“

Die Enttäuschung bei den gescheiterten Klä­ge­r*in­nen ist groß. Zunächst hatte das Gericht dem portugiesischem Fall sogar besondere Priorität eingeräumt. „Ich hatte wirklich gehofft, dass wir vor Gericht gegen alle Länder gewinnen würden“, sagte die 19-jährige Klägerin Sofia Oliveira am Dienstag. „Ich bin natürlich sehr enttäuscht, dass das nicht passiert ist.“ Sie freut sich aber mit ihren Schweizer Mitstreiterinnen. „Am wichtigsten ist, dass das Gericht im Fall der Klimaseniorinnen deutlich gemacht hat, dass Regierungen ihre Emissionen stärker senken müssen, um Grundrechte zu schützen“, so die Portugiesin. „Also denke ich wirklich, dass ihr Sieg auch ein Sieg für uns ist. Und damit ein Sieg für alle.“

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte überwacht die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention, die der Europarat vereinbart hat. Dem gehören neben EU-Staaten auch andere Länder an, die auf dem europäischen Kontinent liegen. Insgesamt sind es 46. Russland wurde infolge des Kriegs gegen die Ukraine ausgeschlossen, der Menschenrechtsgerichtshof verhandelt allerdings weiter Fälle gegen Moskau.

Die Menschenrechtskonvention ist von 1950, stammt also aus einer Zeit, als über den Klimawandel noch nicht viel bekannt war. Entsprechend enthält sie dazu auch keine Richtlinien oder Vorschriften, auch nicht zu anderen ökologischen Krisen. Dennoch hat der Menschengerichtshof schon Staaten zum Erhalt einer „gesunden Umwelt“ verpflichtet, und zwar mit Verweis auf das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, das die Menschenrechtskonvention garantiert. Insofern galt es als ungewiss, wie die Rich­te­r*in­nen entscheiden würden.

Künftige Generationen besonders bedroht

Auch Kli­ma­for­sche­r*in­nen betonen, welche Einschränkungen die Klimakrise für Individuen und Gesellschaften bedeutet. „Hitzewellen, Dürren, Überschwemmungen und Waldbrände bedrohen schon heute Menschenleben“, sagte Johan Rockström, Chef des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, am Dienstag nach Verkündung der Entscheidung aus Straßburg. „Mit fortschreitendem Klimawandel nehmen diese Extremwetterereignisse zu.“

Künftige Generationen seien daher besonders vom Klimawandel bedroht. „Regierungen müssen dringend Maßnahmen ergreifen, um Emissionen zu mindern und schwer vermeidbare CO2-Emissionen durch Negativemissionen auszugleichen“, so der Wissenschaftler. „Je stärker wir das CO2-Budget für die 1,5 Grad überschreiten, desto mehr CO2 muss darüber hinaus durch gezielte Entnahmen abgebaut werden.“

Ex­per­t*in­nen sehen den Klageerfolg der Schweizerinnen, der Klimaschutz offiziell zur Menschenrechtsfrage macht, als bedeutsam an. Zum Beispiel die Juristin Catherine Higham von der London School of Economics: „Jetzt haben wir schwarz auf weiß, dass Regierungen beim Klimawandel eine Schutzpflicht für ihre Bevölkerung haben.“

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