Ärztin über Abtreibungsparagrafen: „Müssen jetzt viel Druck machen“

Die Empfehlungen der Kommission zu Abtreibungen seien historisch, sagt Alicia Baier von den Doctors for Choice. Die Ampel müsse die Chance nun nutzen.

Frauen stehen mit Plakaten, die für die Abschaffung des 3 218 werben auf einer Demonstration

Wie lange noch? Demonstration am 2.6.1973 in Bonn gegen den Abtreibungsparagrafen 218 Foto: Klaus Rose/picture alliance

taz: Frau Baier, die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung empfiehlt, Schwangerschaftsabbrüche mindestens in den ersten drei Monaten zu legalisieren. Wie finden Sie das?

Alicia Baier: Das ist ein historischer Moment. Die Empfehlungen der Kommission geben der Politik die einmalige Chance, eine neue Regelung zu finden, die ungewollt Schwangere endlich gut medizinisch versorgt – statt ihnen wie bisher zu schaden. Die Kommission sagt ganz klar, dass die aktuelle Rechtslage in Deutschland verfassungs- und menschenrechtlich nicht haltbar ist.

32, ist Ärztin und Mitbegründerin des Vereins Doctors for Choice Germany.

Haben Sie auch Kritik?

Bei vielen wichtigen Themen wird die Kommission weniger konkret. Da zeigt sie vor allem Handlungsspielräume auf; etwa bei der Pflichtberatung oder bei Abbrüchen nach den ersten drei Monaten. Natürlich hätten wir uns da entschiedenere Positionen gewünscht. Aber die Kommission diskutiert die Themen durch – und zeigt die Nachteile etwa der Beratungspflicht deutlich auf. Es liegt nun an der Politik, eine gute Regelung im Einklang mit den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation zu finden.

Was würde eine umfassende Umsetzung der Empfehlungen bedeuten?

Es würde bedeuten, dass wir Menschen- und Frauenrechte in Deutschland endlich achten. Nicht umsonst wurde die Bundesrepublik für ihre restriktive Rechtslage von der UN-Frauenrechtskonvention gerügt. Eine weitreichende Umsetzung würde Abbrüche endlich als das anerkennen, was sie sind: als wichtige medizinische Leistung statt als Straftat. Und es würde eine gute und gerechte Versorgung möglich, nicht zuletzt, indem der Eingriff Kassenleistung wird.

Das Thema ist enorm umstritten. Befürchten Sie eine gesellschaftliche Kontroverse?

Die wird es sicher geben. Aber die Zeit dafür ist gekommen: Die gesellschaftliche Haltung zum Schwangerschaftsabbruch hat sich in den vergangenen Jahren geändert. Die Mehrheit befürwortet eine Legalisierung, wie Umfragen gezeigt haben. Eine Legalisierung würde zwar nicht von heute auf morgen die Stigmatisierung von Abbrüchen beenden – aber sie wäre eine notwendige Bedingung dafür.

Die Union pocht darauf, dass eine Legalisierung gegen die Urteile des Bundesverfassungsgericht verstoßen würde – und droht schon jetzt mit einer Klage.

Die aktuelle Regelung ist hochproblematisch. Deshalb wurde diese Kommission beauftragt. Sie war interdisziplinär zusammengesetzt, darunter mehrere Juristinnen. Die sagen jetzt nicht nur, dass eine Legalisierung möglich ist. Sie sagen, diese ist dringend geboten. Selbst viele liberale Kräfte haben sich lange Jahre aus Sorge vor dem Bundesverfassungsgericht nicht an den sogenannten Kompromiss zum Schwangerschaftsabbruch getraut. Jetzt sehen wir es schwarz auf weiß: Es gibt keinen Grund, Abtreibungen weiter zu kriminalisieren.

SPD und Grüne hatten die Streichung des Abtreibungsverbots in ihren Wahlprogrammen. Was erwarten Sie von der Ampel?

Ich erwarte, dass die Ampel sich dieser Empfehlungen ohne Ver­zögerung annimmt und die Chance ergreift, die aufgezeigten Spielräume umfassend auszunutzen.

Sind Sie zuversichtlich?

Ich habe Sorge, dass das Thema mit Blick auf den beginnenden Wahlkampf verschleppt wird. Das wäre fatal: Gerade jetzt haben wir eine liberale Regierung, die einer Legalisierung in der Mehrheit positiv gegenübersteht. Das kann in der nächsten Legislatur ganz anders aussehen. Aber die Empfehlungen der Kommission sind nicht bindend. Genau deswegen müssen wir jetzt öffentlich viel Druck machen. Dieser Zeitpunkt muss unbedingt genutzt werden.

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