NRW-Ostermärsche in Gronau gestartet: Militärische Nutzung möglich

Friedensbewegte demonstrierten vor Deutschlands einziger Urananreicherungsanlage: Ihr Vorwurf: Diese sichere den „Status einer stillen Atommacht“.

Demonstrationszug mit Attrappen von Atommüll-Fässern

Atomkraftgegner ziehen am Karfreitag 2022 vom Bahnhof durch die Innenstadt Gronaus Foto: David Inderlied/dpa

GRONAU taz | Vor Deutschlands einziger Urananreicherungsanlage im münsterländischen Gronau wird der russische Regimegegner Wladimir Sliwjak schnell sehr deutlich: Entgegen eigener Ankündigungen mache deren Betreiberfirma Urenco zumindest indirekt weiter Geschäfte mit Russland. Hier im äußersten Westen der Bundesrepublik werde im Auftrag des staatlich dominierten französischen Stromversorgers Électricité de France (EDF) auch zwei Jahre nach Wladimir Putins Überfall auf die Ukraine Uran aus Russland angereichert und für den Einsatz in Atomkraftwerken vorbereitet – und damit Devisen in Moskaus Kriegskasse gespült. „Das ist blutiges Geld“, ruft Sliwjak auf Englisch.

Jeder Euro, den Russland am Export von Uran, das auch in Gronau angereichert werde, verdient, diene der Finanzierung von Putins Angriffskrieg auf die Ukraine und koste damit Menschenleben, ist der Russe überzeugt: „Das muss aufhören“, fordert er. „Es ist eine Schande.“

Wladimir Sliwjak redet beim ersten Ostermarsch des Jahres in Nordrhein-Westfalen. Schon seit den achtziger Jahren ziehen Atom­kraft­geg­ne­r:in­nen immer am Karfreitag vom Bahnhof Gronau zur Urananreicherungsanlage (UAA). Nach der Atomkatastrophe von Fukushima protestierten hier etwa 15.000 Menschen gegen die zivile und militärische Nutzung der Atomenergie – am Karfreitag redet der russische Putin-Gegner dagegen nur vor etwa 100 Menschen.

Dabei ist Sliwjak nicht irgendwer: Der Umweltschützer ist Träger des Alternativen Nobelpreises, wird wegen seines Protests in Russland von Putins Regime verfolgt und lebt deshalb seit Jahren in Deutschland im Exil. Auch der Ort des Protests macht Sinn: Hier, in einem unscheinbaren Gewerbegebiet zwischen Gebrauchtwagenhändlern, dem TÜV und dem Zentrallager der regionalen Supermarktkette Klaas & Kock (K+K), beginnt der deutsche Teil der Kette der Uranverarbeitung, die in Zwischenlagern wie im benachbarten Ahaus und in der verzweifelten Endlagersuche gipfelt.

Atomcluster im Dreiländereck

Dabei ist die Gronauer Anlage nur ein Teil eines ganzen Atomclusters, das hier im Dreiländereck zwischen den Niederlanden, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen besteht: Nur rund 45 Kilometer weiter im niederländischen Almelo betreibt der trinationale Urenco-Konzern, dessen deutsche Anteile die Energiekonzerne RWE und E.ON halten, wie auch im britischen Capenhurst eine Urananreicherungsanlage. Und im etwa 55 Kilometer entfernten niedersächsischen Lingen steht eine Brennelementefabrik, in der angereichertes Uran für den Einsatz in Atomkraftwerken weiterverarbeitet wird – und wo der staatliche russische Atomkonzern Rosatom sogar direkt einsteigen will.

Trotz des deutschen Atomausstiegs verfügen die Anlagen in Lingen und Gronau über eine unbefristete Betriebsgenehmigung. Über den Grund rätseln nicht nur Atom­kraft­geg­ne­r:in­nen seit Jahren. Fest steht, dass mit den Zentrifugen der Urenco auch atomwaffenfähiges Material hergestellt werden kann. Zum Einsatz kommt die Technik nicht nur in der immer wieder bekämpften iranischen Urananreicherungsanlage Natans: Der 2021 gestorbene Vater des pakistanischen Atomwaffenprogramms, Abdul Kadir Khan, arbeitete Anfang der siebziger Jahre in Almelo – und hat nicht nur Pakistan, sondern offenbar auch Nordkorea mit seinem dort erworbenen Wissen in den Kreis der Atommächte katapultiert.

„Wer über die Zentrifungentechnik verfügt, kann sie grundsätzlich für die Versorgung von Atomkraftwerken, aber auch für die Produktion von Atomwaffen nutzen“, heißt es deshalb im Aufruf zum Gronauer Ostermarsch. Die Bundesrepublik sichere sich mit dem Betrieb der UAA Gronau „den Status einer stillen Atommacht“. Jegliche Urananreicherung müsse international verboten und geächtet werden, fordern die Friedensbewegten deshalb.

Doch der Urenco-Konzern arbeite stattdessen aktuell an der Produktion von höher angereicherten Uran, dass beschönigend „High Assay Low Enriched Uranium“ (HALEU) genannt werde, kritisieren Atomkraftgegner:innen. Im britischen Capenhurst solle HALEU mit einem Anreicherungsgrad von bis zu 20 Prozent produziert werden. Genutzt werden könnte das in sogenannten Modulreaktoren (small nuclear reactors, smr) etwa in Atom-U-Booten – zivile Atomkraftwerke arbeiten dagegen mit Brennstoff eines Anreicherungsgrades von 3 bis 5 Prozent.

Keine klaren Auskünfte von Urenco

Trotzdem wird Urencos HALEU-Projekt von der Regierung des Vereinigten Königreichs, die gerade angekündigt hat, massiv in die britische U-Boot-Flotte investieren zu wollen, mit 9,5 Millionen Pfund unterstützt. „Wir sind extrem beunruhigt, dass die Urenco-Töchter Enrichment Technology Company (ETC) in Jülich und Urenco Technology & Development (UTD) in Gronau in Pläne verwickelt werden könnten, sich auch an militärischen Uran-Projekten zu beteiligen“, sagt dazu Udo Buchholz, Sprecher im Gronauer Arbeitskreis Umwelt und Vorstand beim Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz. „Wir fordern von der NRW-Landesregierung, aber natürlich auch von der Bundesregierung klare Auskünfte und ein Veto.“

Doch klare Auskünfte gibt es auch von der Betreiberin der Gronauer Urananreicherungsanlage, der Urenco Deutschland GmbH, nicht. HALEU sei „von Interesse für die Urenco“, heißt es in einer schriftlichen Antwort auf eine taz-Anfrage lediglich. Auch in einem Telefonat will sich UAA-Sprecher Chris Breuer nicht festlegen, welche Rolle Mit­ar­bei­te­r:in­nen der ETC in Jülich und der UTD in Gronau bei der offenbar auch militärisch nutzbaren HALEU-Technik spielen. Er spreche schließlich nicht für die gesamte Urenco-Gruppe und ihre Tochterunternehmen, sondern nur für die Urenco Deutschland GmbH, sagt Breuer – dabei firmiert der Sitz der UTD laut Urencos eigener Homepage unter derselben Adresse wie die UAA in der Gronauer Röntgenstraße 4.

Auch zum Vorwurf, in Gronau werde über den Umweg der Anlieferungen durch EDF weiter russisches Uran angereichert, will die Betreiberfirma der UAA schriftlich keine klare Stellung beziehen. Zwar habe Urenco den direkten „Vertrag mit unserem Lieferanten in Russland“ schon „Ende Februar 2022 gekündigt, alle Lieferungen in beide Richtungen gestoppt und den Austausch über weitere Projekte und Zusammenarbeit sofort beendet“. Allerdings: Ob Kunden wie EDF auch heute noch russisches Uran in Gronau anliefern, lässt die Urenco Deutschland GmbH bewusst offen. „Zu konkreten Kundenverträgen oder Transporten können wir, auch zur Wahrung der Firmen- und Betriebsgeheimnisse, keine Angaben machen“, schreibt Sprecher Breuer.

In dem Telefonat mit der taz räumt er aber ein: Die Urenco Deutschland prüft überhaupt nicht, woher das von ihr in Gronau verarbeitete Uran stammt. Innerhalb des Konzerns werde das anzureichernde Uran je nach freien Produktionskapazitäten umverteilt, erklärt der Sprecher. Damit scheint klar, dass auch in Gronau russisches Uran verarbeitet werden wird – schließlich hat die niederländische Atomaufsicht schon im Februar sechs Transporte von aus Russland stammendem Uran an Urencos Anlage in Almelo genehmigt. „Russisches Uran in Gronauer Anlage“ titelten deshalb die lokalen Westfälischen Nachrichten.

„Urenco ist eigentlich ein Rüstungskonzern“, sagt die Versammlungsleiterin des Gronauer Ostermarschs, Martha Pfeiffer. „Unsere Demonstration folgt dem Kampf der Ostermarschbewegung gegen die atomare Bedrohung“, argumentiert die Ärztin. Putin sei ein „übler Diktator“, Krieg immer ein Verbrechen, erklärt Pfeiffer. „Als Pazifistin will ich, dass Krieg und Gewalt in der Ukraine, aber auch in Israel und Palästina beendet werden.“ Aktuell habe sie Angst vor einer nicht enden wollenden Eskalationsspirale: „Manchmal fürchte ich, dass wir kurz vor dem dritten Weltkrieg stehen.“

Ähnlich dürften das auch die Teil­neh­me­r:in­nen der rund 100 weiteren Ostermärsche sehen, die an diesem Wochenende überall in Deutschland demonstrieren. Einer der größten dürfte in NRW der Ostermarsch Rhein-Ruhr sein: Der hat am Samstag in Köln und Duisburg begonnen und führt am Ostersonntag und am Ostermontag über Essen, Gelsenkirchen und Bochum nach Dortmund.

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