G20-Proteste in Hamburg vor Gericht: „Schwarzer Block“ im Mittelpunkt

Waren G20-Gegner*innen am Rondenbarg Teil einer Demo oder gewaltbereite Stö­re­r*in­nen? Für den Ausgang des Prozesses ist das entscheidend.

Demonstranten des sogenannten Schwarzen Blocks protestieren bei der Demonstration "G20 Welcome to hell" gegen den G20-Gipfel.

So sieht er aus, der „Schwarze Block“, aber gehörten die Demonstrierenden am Rondenbarg, die vor Gericht stehen, wirklich dazu? Foto: Sebastian Willnow/dpa

HAMBURG taz | „Was ist eigentlich der Schwarze Block?“, ist das Erste, was die Richterin Sonja Boddin von dem Bremer Protestforscher Sebastian Haunss wissen will. Es ist der zwölfte Verhandlungstag im G20-Rondenbarg-Prozess und Haunss ist als Sachverständiger am Hamburger Landgericht geladen.

Haunss hat mit anderen Wis­sen­schaft­le­r*in­nen im Rahmen des groß angelegten Forschungsprojekts „Mapping #NoG20“ die Proteste gegen den G20-Gipfel im Juli 2017 in Hamburg analysiert.

Sebastian Haunss, Professor für Politikwissenschaft an der Uni Bremen

„Der Schwarze Block ist eine Demonstrationstaktik: Militanz ohne Militanz“

„Der Schwarze Block ist eine Demonstrationstaktik“, sagt der Wissenschaftler. Die Hauptfunktion sei die symbolische Kommunikation nach außen: Sie drücke die Radikalität des eigenen Handelns aus und signalisiere, man sei in der Lage, sich zu wehren – ohne dass es regelhaft dazu komme. „Militanz ohne Militanz“, sei eine passende Formel dafür, sagt Haunss.

Die Konfrontation mit der Polizei nähmen Teil­neh­me­r*in­nen in Kauf, suchten sie aber nicht, da sie dabei nur verlieren könnten. Für das Geschehen am 7. Juli 2017 am Rondenbarg halte er den Begriff „Schwarzer Block“ aber nicht für zutreffend.

Damals waren rund 200 Personen am frühen Morgen vom Protestcamp Richtung Innenstadt gestartet und in der Straße Rondenbarg in einem Hamburger Industriegebiet auf zwei Polizeieinheiten gestoßen. Innerhalb weniger Minuten zerlegten Einheiten aus Eutin und dem baden-württembergischen Blumberg die Demonstration. Das Ergebnis waren 14 schwer verletzte und 70 festgenommene Demonstrant*innen. Im Januar eröffnete das Gericht das Verfahren gegen sechs Angeklagte. Mittlerweile sind nur noch zwei übrig.

Zwei Angeklagte hatten einen Deal der Staatsanwaltschaft angenommen und sich grundsätzlich von Gewalt distanziert, sowie eine Geldstrafe von 300 beziehungsweise 600 Euro bezahlt. Für sie ist der Prozess damit zu Ende.

Gegenüber einer anderen Angeklagten wurde die Verhandlung aus persönlichen Gründen ausgesetzt und ihr Verfahren abgetrennt. Eine Person ist untergetaucht, auch ihr Verfahren wurde abgetrennt. Übrig sind zwei Angeklagte, die den Deal der Staatsanwaltschaft aus Überzeugung abgelehnt haben.

Nur noch ein Tatvorwurf übrig

Auch von den ursprünglichen Tatvorwürfen ist nur noch einer übrig: Landfriedensbruch. Bei Erhebung der Anklage im Januar hatte die Staatsanwaltschaft den Angeklagten zusätzlich noch tätlichen Angriff, versuchte gefährliche Körperverletzung, Bildung einer bewaffneten Gruppe und Sachbeschädigung vorgeworfen, ohne ihnen individuelle Taten zuzurechnen. Doch die Beweisaufnahme verläuft bislang schleppend.

Die meisten Zeugen können sich fast sieben Jahre nach den Geschehnissen kaum noch erinnern. Stein- und Böllerwürfe auf Po­li­zis­t*in­nen sind auf keinem der zahlreichen Beweisvideos dokumentiert. Von den Zeug*innen, die bislang ausgesagt haben, will nur einer – ein Polizist aus Eutin – solche Steinwürfe gesehen haben.

Die Frage, ob die G20-Gegner*innen am Rondenbarg Teil einer Demonstration waren oder eine Gruppe Stö­re­r*in­nen, die darauf zielte, Polizeikräfte zu binden und Schaden anzurichten, ist zentral für die Bewertung des Geschehens. Die Staatsanwaltschaft führt die einheitliche schwarze Kleidung und den Sachschaden – eine entglaste Bushaltestelle, auf die Straße gezerrte Mülleimer und Baumaterialien – als Belege für den kriminellen Charakter der Gruppe an.

Die Verteidigung argumentiert, die Gruppe sei Teil der sogenannten Finger-Taktik gewesen, nach der am betreffenden Morgen im Juli 2017 mehrere Gruppen an unterschiedlichen Treffpunkten in Richtung Hamburger Innenstadt gelaufen seien.

Die Fingertaktik wurde bei den Castor-Protesten entwickelt und zielt darauf, sich aufzuteilen, um Polizeiketten besser zu überwinden. Die Finger unterscheiden sich meist farblich anhand ihrer politischen Ausrichtung: lila für queerfeministisch, grün für klimabewegt, rot für kommunistisch. Und, wie Haunss sagt, im Falle der Rondenbarg-Gruppe, eben schwarz für anarchistisch oder autonom.

Mitgefangen – aber auch mitgehangen?

Für den Prozess ist diese Frage deshalb so relevant, weil die Gruppe damit als politische Demonstration vom Versammlungsrecht geschützt wäre. De­mons­tran­t*in­nen wegen Landfriedensbruchs zu bestrafen, obwohl sie selbst keine Gewalt verübt haben, ist nach bisheriger Rechtsauffassung nicht vorgesehen, eine Strafe nach dem „Mitgefangen-Mitgehangen-Prinzip“ ist seit der Liberalisierung des Versammlungsrechts in den 70er-Jahren eigentlich nicht möglich.

Für einen Protestzug wie den an der Elbchaussee, wo G20-Gegner*innen von der Polizei ungestört großen Sachschaden anrichteten, gilt das nicht, hatte eine andere Kammer im Jahr 2020 geurteilt. Die Teil­neh­me­r*in­nen hätten sich damals dem Schwarzen Block angeschlossen, um „psychische Beihilfe“ zu Gewalttaten zu leisten und Einzelnen zu ermöglichen, in der Masse unterzutauchen.

Am Rondenbarg seien die Vorzeichen ganz andere gewesen, sagt Haunss dem Gericht. Die Teil­neh­me­r*in­nen der verschiedenfarbigen Demo-Finger hätten sich hinter einem Aktionskonsens versammelt, der vorher veröffentlicht worden war und ein Kernelement der Fingertaktik darstelle.

Aktionskonsens schloss Eskalation aus

„Wir werden auf die Orte des Gipfel­treffens zuströmen und sie mit unseren Körpern und kreativ eingesetzten Materialien blockieren“, steht darin. „Von uns wird keine Eskalation ausgehen“, zitiert Haunss aus dem noch immer im Internet einsehbaren Aktionskonsens. Für ihn ist eindeutig: Die Gruppe am Rondenbarg war der schwarze Finger.

Der Vertreterin der Staatsanwaltschaft reicht das nicht. Hätte man nicht mit der Wahl der Farbe schwarz eine gewisse Gewaltbereitschaft ausgedrückt?, fragt die Vertreterin. Und stellt in den Raum: „Ob die Gruppe vielleicht Polizeikräfte binden wollte, um dem Schwarzen Block an der Elbchaussee Ungestörtheit zu ermöglichen?“ „Das halte ich für eine sehr wilde Theorie“, entgegnet Haunss. Allein aus der schwarzen Kleidung eine Gesinnung zur Gewaltbereitschaft abzuleiten, sei falsch.

Der Prozess vor dem Hamburger Landgericht wird wohl früher als ursprünglich geplant zu Ende gehen. Nach dem Ausscheiden der Mehrzahl der Angeklagten entschlackte die Richterin das Beweisprogramm und will schon im Juni statt im August zu einer Entscheidung kommen.

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