Vom SPD-Landesparteitag in Brandenburg: Von Falkensee zum Sieg über die AfD

Brandenburgs SPD setzt wieder auf Dietmar Woidke. Eine Umfrage zur Wahl im September macht der Partei Hoffnung. Doch es kriselt in der Kenia-Koalition.

Brandenburg, Falkensee: Dietmar Woidke (SPD), Ministerpräsident von Brandenburg, bekommt während des Landesparteitages der Brandenburger SPD nach seiner Rede den minutenlangen Applaus der Landesversammlung. Rechts neben ihm steht Matthias Platzeck, Brandenburger Ministerpräsident von 2002 bis 2013

Nach seiner Rede beim Landesparteitag der Brandenburger SPD bekommt Dietmar Woidke (Mitte) minutenlangen Applaus Foto: dpa/Soeren Stache

FALKENSEE taz | Hier soll die große Wende also starten. Falkensee, am nordwestlichen Rand Berlins liegend, soll der Ort sein, auf den die SPD mal zurückgucken will, wenn sie bei der Landtagswahl im September tatsächlich einen AfD-Sieg verhindert hat. Ausgerechnet Falkensee, wo die Grünen im Gemeindeparlament stärkste Kraft sind und die SPD nur drittstärkste.

„Wir stellen hier die Weichen für das, was in den kommenden Jahren und Jahrzehnten in diesem Land geschehen wird“, sagt in der örtlichen Stadthalle der Mann, der dabei den entscheidenden Job hat. Dietmar Woidke, seit über 10 Jahren Ministerpräsident, soll wie schon 2019 als SPD-Spitzenkandidat den AfD-Vorsprung einholen und den Wahlsieg sichern.

Die rund 130 Delegierten des SPD-Landesparteitags in Falkensee haben außer ihren Kandidaten auch ihr Programm für die Landtagswahl am 22. September beschlossen. Das sieht unter anderem mehr Polizisten vor – dazu soll deren Stellenzahl von 8.500 auf 9.000 wachsen. Die Fördermittel für Krankenhäuser will die Partei von derzeit 110 auf 200 Millionen jährlich erhöhen. Ziel ist, „eine breite stationäre medizinische Versorgung sicherzustellen“. Ein weiteres Vorhaben: Nachdem zum 1. August die Kita ab 3 Jahren beitragsfrei sein soll, strebt die Partei das auch für Krippe und Hort an. Knapp über 5.800 Mitglieder hat die SPD im rund 2,6 Millionen Einwohner zählenden Brandenburg. Im anderthalbmal so großen Berlin gibt es rund 18.000 und damit mehr als dreimal so viele SPDler. (sta)

Zum Landesparteitag haben die Sozialdemokraten ihre Delegierten in die Stadthalle geladen, von der jährlich der grenzüberschreitende „Lauf der Sympathie“ ins nur knapp 10 Kilometer entfernte Spandau startet. 97 Prozent von ihnen werden wenig später für Woidke als Spitzenkandidat stimmen, so viel wie noch bei keiner seiner Nominierungen. Überhaupt wird es sehr harmonisch werden in den nächsten Stunden: Kein Gezerre um Kandidaturen auf der Landesliste, keine aufreibenden Diskussionen über das zur Abstimmung stehende Wahlprogramm.

Wobei die SPD gar nicht von einem Wahlprogramm spricht. Was sie da beschließt, ist für sie schlicht „unser Regierungsprogramm“. Man steht schließlich seit 1990 an der Spitze des Bundeslands, und auch an diesem Tag ist nicht nur von Woidke zu hören, die SPD sei „die Brandenburg-Partei“.

Gutes Timing des Parteitags

162 Tage liegen noch zwischen diesen Worten und der Wahl am 22. September. Nur 57 sind es noch bis zum 9. Juni, wenn in Brandenburg nicht nur wie bundesweit die Europawahl, sondern auch die Kommunalwahl ansteht. Das Timing des Parteitags ist dabei gut. In der Woche zuvor ist eine Umfrage für den RBB erschienen, bei der die lange weit enteilte AfD wieder in Reichweite scheint.

Mitte September hatte dasselbe Umfrageinstitut für die SPD nur 18 Prozent gemessen, für die AfD aber 32. Nun steht es 22 zu 26 Prozent. Ungefähr so viel lag die von nicht wenigen als durchweg rechtsextrem angesehene Partei zwischenzeitlich auch im Landtagswahlkampf 2019 vor der SPD, bis Woidke quasi im Alleingang das Verhältnis umdrehte.

Die Grünen bringen solche Umfragewerte in ein Dilemma. Sosehr auch sie einen AfD-Wahlsieg verhindern wollen: Wenn sich die Haltung verbreitet, dass nur eine Stimme für die SPD dabei helfen kann, wird darunter das grüne Wahlergebnis leiden. Das war schon 2019 so, als die Grünen eine Woche vor der Wahl noch auf 15 Prozent kamen, aber am Wahltag auf 10,7 abrutschten.

Nach der jüngsten Umfrage könnten die Grünen, derzeit bei 8 Prozent, theoretisch weiter wie seit 2019 in Deutschlands zweiter Kenia-Koalition regieren – erstmals hatten sich SPD, CDU und Grünen 2016 in Sachsen-Anhalt zusammengetan. Das würde allerdings gegenwärtig allein mangels Alternativen passieren. Schon im Januar hatte Woidke gesagt, die Koalition sei nicht als Liebes-, sondern als „Notheirat“ entstanden. Inzwischen aber hat sich die CDU von den Grünen distanziert, während die selbst sich von SPD-Chef Woidke brüskiert fühlen: Der stimmte jüngst im Bundesrat entgegen vorige Absprachen gegen eine Cannabis-Legalisierung.

„Großer Vertrauensverlust“

Laut Grünen-Fraktionschef Benjamin Raschke ist dadurch „ein großer Vertrauensverlust entstanden“, der auch Sondierungen und Koalitionsgespräche nach der Landtagswahl im September belasten könnte. Seine Partei tritt bei der Wahl mit einem neuen Gesicht als Spitzenkandidatin an. Antje Töpfer, erst seit Ende 2022 Verbraucherschutz-Staatssekretärin, gilt als fachlich kompetent, aber weithin unbekannt. Bei den Grünen heißt es dazu: Das sei kein Problem, weil man wegen der Inhalte, nicht der Personen wegen gewählt werde.

In der Falkenseer Stadthalle klingt – vielleicht beflügelt durch die verbesserten Umfragewerte – mehrfach eine Art „Pfeifen im Walde“ durch. „Das Gute setzt sich am Ende durch“, folgert ein örtlicher Landtagskandidat, nachdem er zuvor an Theodor Fontane und sein im selben Landkreis verortetes Gedicht vom Herrn von Ribbeck und seinen Birnen erinnert hat. Und Woidke sagt über sich und die SPD: „Wir sind die politische Kraft, vor denen die Rechtsextremen zittern, vor denen sie regelrecht Angst haben.“

Dietmar Woidke, SPD, Brandenburgs Ministerpräsiedent

„Wir sind die politische Kraft, vor denen die Rechtsextremen zittern, vor denen sie regelrecht Angst haben.“

Da wünschte man sich für einen Faktencheck doch für einen Moment 60 Kilometer weiter südlich nach Jüterbog, wo parallel wie schon am vorigen Wochenende die AfD zum Landesparteitag zusammensitzt. Was der Kollege von der Deutschen Presse-Agentur von dort schreibt, klingt nicht von Angst vor Woidke erfüllt. „Wir sind willens, ihn zu jagen und seine SPD zu jagen und die ganzen Altparteien zu jagen“, wird Spitzenkandidat Hans-Christoph Berndt zitiert, den der Verfassungsschutz für rechtsextrem hält.

Wie die AfD bei der Landtagswahl abschneidet, wird absehbar auch stark davon abhängen, ob das Bündnis Sahra Wagenknecht sich rechtzeitig organisiert. In der erwähnten Umfrage kommt es auf 10 Prozent, obwohl es bislang weder Landesverband, Parteispitze, Programm oder Kandidaten gibt. Für den 25. Mai immerhin ist die Gründung eines brandenburgischen Landesverbands angekündigt.

In Falkensee, der Grünen-Hochburg, in der auch deren bisheriges Aushängeschild zu Hause ist, Sozialministerin Ursula Nonnemacher, gibt es an diesem Samstag immerhin noch ideelle Unterstützung für die SPD. Stephan Weil, Ministerpräsident des – wenn auch nur auf knapp 30 Kilometern – benachbarten Niedersachsen, ist wie schon vor der Wahl 2019 Gastredner. Er drückt die Daumen, bietet Unterstützung an – und hat dafür auch eine Parole mitgebracht: „Weil würde Woidke wählen.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.