Anklage wegen Israel-Unterstützung: Staatsräson um welchen Preis?

Nicaraguas Klage gegen Deutschland wegen Israel-Unterstützung ist haltlos. Aber die Bundesregierung muss sich zwischen zwei Dingen entscheiden.

Deutsche und israelische Flaggen wehen vor dem Flugzeug in Tel Aviv, aus dem Annalena Baerbock steigt

Die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock bei ihrer Ankunft in Israel ende März 2024 Foto: Christoph Soeder/dpa

Ja, Deutschland misst mit zweierlei Maß. Israel wird anders bewertet als andere Staaten. Das ist auch in Ordnung, ja sogar eine politische und moralische Verpflichtung für die Täternation des Holocausts. Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel führte dafür 2008 die Formulierung ein, Israels Sicherheit sei Teil der deutschen Staatsräson. Das klang irgendwie gut, schien einfach Deutschlands besondere Verantwortung herauszustellen und ansonsten vor allem: nichts Konkretes zu bedeuten.

Aber Staatsräson, ein zum Glück aus der Mode gekommener Begriff, bezeichnet ja übergeordnete Gründe, aus denen ein Staat geltendes Recht brechen kann. Das klingt dann nicht mehr so gut. Und es bedeutet etwas.

Um die Besonderheit des deutschen Verhältnisses zu Israel weiß alle Welt, und kaum jemand nimmt es Deutschland übel, an das Handeln der israelischen Regierung besondere Maßstäbe anzulegen. Nur dass Deutschland trotz „Staatsräson“ immer so tut, als sei das überhaupt nicht der Fall, als gelte das Völkerrecht selbstverständlich für alle gleichermaßen und als unterlägen deutsche Waffenlieferungen an Israel den gleichen Kriterien, kostet in seiner intellektuellen Unredlichkeit massiv Glaubwürdigkeit.

Die Klage ist der Versuch der Ortega-Murillo-Diktatur, sich als „mutiger“ Palästinenser-Fürsprecher im Globalen Süden ein Standing zu verschaffen.

Die Klage gegen Deutschland, die Nicaragua jetzt in Den Haag vor dem Internationalen Gerichtshof vorgebracht hat, ist zwar vollkommen haltlos. Es geht erkennbar nicht um die Zi­vi­lis­t*in­nen in Gaza, sondern um den Versuch der Ortega-Murillo-Diktatur, sich als „mutiger“ Palästinenser-Fürsprecher im Globalen Süden ein Standing zu verschaffen.

Trotzdem ist die Klage ein Symptom dafür, wie isoliert Deutschland und die USA inzwischen sind. Gerade weil sie Israels stärkste Verbündete und wichtigste Waffenlieferanten sind, schaut die Welt genau hin, ob sie ihren Einfluss auf die Regierung in Jerusalem auch tatsächlich nutzen. Und bislang sieht die Welt da – nichts.

Glaubwürdigkeit oder Staatsräson?

Deutschland muss sich entscheiden: Ist es möglich, einen Weg der bedingungslosen Solidarität mit Israel zu finden, der trotzdem nicht automatisch die Hinnahme jedweden Vorgehens einer in Teilen rechtsextremen und zutiefst rassistischen israelischen Regierung bedeutet? Das hieße, die Hilfe zu konditionieren.

Oder will Deutschland tatsächlich die „Staatsräson“ als einen aus übergeordneten Gründen vertretbaren Rechtsbruch definieren? Das hieße, die Glaubwürdigkeit beim internationalen Eintreten für eine „regelbasierte Weltordnung“ restlos zu verspielen.

Die USA stehen im Übrigen vor dem gleichen Dilemma – bloß dass es dort nur um eine Präsidentschaftswahl geht, während in Deutschland die richtige Lehre aus der Vergangenheit verhandelt wird.

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Jahrgang 1965, seit 1994 in der taz-Auslandsredaktion. Spezialgebiete USA, Lateinamerika, Menschenrechte. 2000 bis 2012 Mitglied im Vorstand der taz-Genossenschaft, seit Juli 2023 im Moderationsteam des taz-Podcasts Bundestalk. In seiner Freizeit aktiv bei www.geschichte-hat-zukunft.org

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