Recherche-Theater in Lübeck: Ermittlungen zur Hafenstraße

Das Lübecker Theater bringt eine Recherche zum Brandanschlag auf eine Asylbewerber:innen-Unterkunft 1996 auf die Bühne.

Drei Schauspieler:innen auf der Bühne, das aufgeführte Stück heißt Hafenstraße.

Was ist in der Lübecker Hafenstraße im Januar 1996 wirklich passiert? Foto: Isabel Machado Rios

Es ist so ein Fall, der empören kann. Einer, der neu in die Stadt Kommende sich fragen lässt: Wo bin ich denn hier gelandet? Zehn Todesopfer forderte im Januar 1996 das Feuer in einer Unterkunft für Asyl­be­wer­be­r:in­nen in der Lübecker Hafenstraße, darunter sieben Kinder und Jugendliche. Dass der Brand gelegt worden war, war rasch Konsens. Umso umstrittener ist bis heute, wer das tat. Verurteilt wurde nie jemand, wirklich ermittelt nur gegen einen Bewohner des Hauses, den Libanesen Safwan E. Der aber wurde auch zwei Mal freigesprochen.

„Diese Leute sind immer noch auf freiem Fuß“, sagt nun Esperanca Bunga, eine der Hinterbliebenen, im Dokumentarstück „Hafenstraße“. „Diese Leute“, das waren vier noch in der Brandnacht festgenommene mecklenburgische Neonazis, bei denen angeblich keine hinreichenden Anhaltspunkte vorlagen – trotz frischer Spuren und eines Geständnisses.

So wie Bunga kommen in Helge Schmidts theatraler Recherche weitere damals Beteiligte als Videoeinspielung zu Wort:­ Saf­wan E.s Verteidigerin etwa, die Hamburger Anwältin Gabriele Heinecke, die davon spricht, wie einäugig seinerzeit ermittelt worden sei. Lübecks damaliger Bürgermeister Michael Bouteiller, dessen Tränen vor laufender Kamera um die Welt gingen. Oder Jana Schneider von „Hafenstraße ’96“, der örtlichen Initiative, die alljährlich das Gedenken organisiert, aber auch eine echte Aufklärung fordert.

Projizieren lässt Schmidt diese Sequenzen auf sieben rechteckige Jalousien, die von oben in den schwarzen Bühnenraum hängen; bei der Premiere war die kleinere Lübecker Spielstätte nun nicht ganz ausverkauft. Darunter hat das mit Bühne und Kostüm betraute Atelier Lanika ein nierenförmiges, flaches Wasserbecken platziert, rundherum ein paar Mikrofone auf Stativen. Vor der Bühne steht quer ein großer Schreibtisch, auf dem Jan Byl, Sonja Cariaso, Lilly Gropper, Sven Simon und Vincenz Türpe allerlei Materialien arrangieren, was wiederum eine Kamera einfängt.

Weitere Vorstellungen: 13. und 21. April, 9. und 24. Mai, Theater Lübeck, Kammerspiele.

Auf der Homepage des Theaters findt sich unter anderem ein Interview mit der lokalen Initiative „Hafenstraße '96“

Aus zeitgenössischer Berichterstattung, aktivistischen Flugblättern und behördlichen Schriftsätzen lesen sie etwa vor. Wir sehen aber auch das schriftliche Nein der Staatsanwaltschaft zum Auskunftsersuchen von Dramaturg Oliver Heldt – bezeichnenderweise nennt die Behörde darin gleich zwei Mal das falsche Datum der Brandlegung.

Die Initiative zum Stück kam vom Ensemble selbst. In jeder Spielzeit kommt eine Produktion auf diese Weise auf den Spielplan, das hat der 2022/23 nach Lübeck gekommene Schauspieldirektor Malte C. Lachmann eingeführt. Dieser Abend erhebt Anklage gegen die damals (nicht) Anklagenden; er macht die Perspektive von Opfern und Angehörigen stark und ihre Zweifel am für einzig wahr erklärten Tathergang; er fordert, die Sache neu aufzurollen, juristisch, aber auch politisch: So weisen die Dar­stel­le­r:in­nen auch auf eine laufende Online­petition hin, die einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss fordert.

Dass so etwas Gefahr läuft, einzig Gleichgesinnte in ihrer Rechtschaffenheit zu bestätigen, problematisiert er klugerweise selbst: Dass weder auf der Bühne noch in den Sitzreihen die echte gesellschaftliche Vielfalt abgebildet sei, sprechen die Spielenden an. Und stellen es am Ende frei, ob Applaus nun die angemessene Reaktion ist. Da könne man doch nicht Beifall klatschen, haben wir da schon Esperanca Bunga sagen sehen.

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