Ossis und Wessis: Wer hat zu „Kling Klang“ getanzt?

Nach 1989 kam eben nicht „zusammen, was zusammengehört“, sondern es entstanden zwei unterschiedliche West- und Ost-Prägungen. Das wirkt bis heute nach.

Die Band Keimzeit bei einem Konzert.

Die Band Keimzeit bei einem Konzert 1993 Foto: Heinrich/Brigani Art/imago

Auf einer Buchmesseveranstaltung in Leipzig machte ich den „Kling Klang“-Test. „Wer von Ihnen hat schon zu 'Kling Klang“ getanzt?“ Vereinzelte Hände gingen hoch. „Und wer weiß nicht, was ‚Kling Klang‘ ist?“ 80 Prozent der Leute oder mehr. Damit war klar: fast nur Wessis im Publikum. Die Idee hatte ich von meinem Gesprächsgast Jessy Wellmer. Die „Tagesthemen“-Moderatorin beschreibt in ihrem Ost-West-Buch „Die neue Entfremdung“, wie auf einer ARD-Betriebsfeier „Kling Klang“ läuft. Nur zwei Frauen tanzen, und sie weiß sofort: Ah, Ossis.

Kling Klang“ ist der berühmteste Song der Band Keimzeit aus Bad Belzig. Obwohl erst 1993 erschienen, gehört er für Wellmer, geboren 1979 in Güstrow, DDR, zur individuellen und kollektiven Kultur. Aber eben nur in Ostbiografien.

Da ist – Moral von der Geschichte – noch etwas Übersehenes neben der gern gebrauchten Version, dass die Bundesrepublik die DDR mies abgewickelt und die Leute dort abgedrängt, erniedrigt und in Unsicherheit gestürzt habe. Und auch etwas neben meiner bevorzugten Sicht, dass eine ökonomisch dysfunktionale Wandlitzer Unterdrückungsoligarchie durch liberale Demokratie, Freiheit, Marktwirtschaft und einen ordentlichen Sozialstaat ersetzt wurde.

Es kam nicht zusammen, was zusammengehörte, sondern was emotional, kulturell und intellektuell in verschiedenen Welten gelebt hatte, wie die Schriftstellerin Ines Geipel im Kursbuch 211 ausgeführt hat. Der Missing Link im häufig misslingenden Gespräch zwischen Ost- und Westbiografien sei eben nicht das Materielle, sondern das Ausblenden der kulturellen und emotionalen Verschiedenheit, die aus der unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Verfasstheit folgte, sagt Geipel.

Sensibilität und Bewusstsein

Während wir Westdeutsche als Konsequenz aus der gescheiterten Weltherrschaft Germaniens kulturell geschult sind auf persönliches Glück in einem jovialen Wohlfühlstaat, hätten DDR-Leute im Kontext von Mangel, Eingesperrtsein und Staatsbrutalität gelebt und sich gleichzeitig als Siegende der Weltgeschichte fühlen müssen.

Geipel sagt weiter, dass viele Leute in der DDR den (Sowjet-)Russen eben nicht toll fanden, sondern scheiße. Den Westen dagegen durchaus geil. Westler dagegen wurden seit Willy Brandt vor allem von der SPD darauf getrimmt, Russen okay zu finden, weil unser Plan ja war, maximale Geschäfte im Auftrag von Weltfrieden und Wohlstand zu machen.

Seit Putins Angriff auf die Ukraine hat sich das umgedreht. Es gibt eine politisch-kulturelle Bewegung, angeführt von Vizekanzler Robert Habeck, die Kollateralschäden unseres schönen Lebens (Klima, Verteidigung, Demokratie) zu sehen und unter Einbezug diverser Zielkonflikte zur Stärkung des freien Westens politisch zu bearbeiten. Es gibt die unentschlossene Augen-halb-auf-halb zu-Kultur, die die Ex-Volksparteien bevorzugen, und es gibt die – stärker im Osten verbreitete – Putin-Kollaboration, die aus der Ablehnung des Westens folgt.

Wer arbeitet an der Zukunft?

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Das ist die große Frage hinter Putin, Trump, EU-Ablehnung, AfD und überhaupt: Wer sieht sich als Opfer des liberaldemokratischen Westens, und wer arbeitet mit an dessen Zukunft? Es geht nicht mehr darum, aus welchem Teil Deutschlands jemand kommt, sondern ob und in welchem Maß er bereit ist, für die Bundesrepublik einzutreten.

Dafür braucht es auch eine politische Sensibilität und ein Bewusstsein für die fundamental unterschiedlichen kulturell-emotionalen Prägungen (die häufig über die Eltern auch auf Jüngere übergegangen sind). Eine volle Tanzfläche bei „Kling Klang“ wird es nicht reißen, aber es wäre ein Anfang, eine Geste des kulturell-biografischen Respekts, die du und ich uns echt abringen sollten.

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Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried

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