Abstimmung in Brüssel: EU-Parlament stimmt für Asylreform

Lange war in der EU über die Reform gestritten worden. Jetzt sollen schnellere Asylverfahren an den Außengrenzen kommen. Und ein Solidaritätsmechanismus.

Mitglieder des Europäischen Parlaments nehmen an einer Reihe von Abstimmungen teil.

Jahrelang wurde über das europäische Asylrecht gestritten Foto: Geert Vanden Wijngaert/AP/dpa

BRÜSSEL taz | Der Weg zu einer massiven Verschärfung des europäischen Asylrechts ist frei. Das Europaparlament stimmte am Mittwoch Nachmittag in Brüssel für alle zehn Gesetzesvorschläge der so genannten GEAS-Reform. Sie soll die „irreguläre“ Migration in die EU begrenzen und dafür sorgen, dass Asylbewerber künftig schon an den Außengrenzen geprüft und abgeschoben werden können. Über die Reform war jahrelang heftig gestritten worden. Einigen EU-Staaten ging sie zu weit, anderen dagegen nicht weit genug. Auch Deutschland war zunächst dagegen. Doch im vergangenen Jahr lenkten Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) ein. „Es ist an Europa, jetzt Handlungsfähigkeit zu beweisen“, forderte Baerbock kurz vor dem Votum.

Die meisten Europaabgeordneten der deutschen Grünen haben am Mittwoch dennoch mit Nein gestimmt; nur zwei Gesetzestexte haben sie mitgetragen. Ihr migrationspolitischer Sprecher Eric Marquardt begründete die Ablehnung mit der Einschätzung, dass die Reform „nicht zu weniger Asylanträgen, sondern zu Chaos, Leid und mehr Sekundärmigration in Ländern wie Deutschland führen“ werde. Ähnlich argumentiert die Linke. Sie lehnt den „Migrations- und Asylpakt“ – so der offizielle Name – komplett ab. Das Asylrecht werde beerdigt, kritisierten Cornelia Ernst und andere deutsche Linken-Abgeordnete, die in einer symbolischen Aktion vor dem Parlament einen Kranz niederlegten. Später kam es auch im Parlament zu Protesten. So riefen Aktivisten: „This pact kills – vote no.“

Letztlich hat sich aber die europafreundliche große Koalition aus Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen durchgesetzt, die in Brüssel den Ton angibt. Ihr Argument: Dies sei die letzte Chance für eine Reform vor der Europawahl im Juni – und ein wichtiges Signal an die Wähler, dass die EU die Sorgen der Bürger verstanden habe und die Probleme in der Migrationspolitik löse. Allerdings wird die Reform erst in zwei Jahren in Kraft treten. Aktuelle Situationen kann sie daher nicht lösen. Auch den befürchteten Rechtsruck bei der Europawahl im Juni dürfte sie kaum stoppen. Vielmehr rückt die EU mit der Verschärfung des Asylrechts selbst nach rechts. Das bisher liberale Asylsystem wird repressiver, soziale und solidarische Elemente treten dahinter zurück.

Im Zentrum der Reform stehen die sogenannten Grenzverfahren an den EU-Außengrenzen. Migranten sollen künftig in Grenznähe festgehalten und von dort aus direkt abgeschoben werden können. Juristisch werden sie „als nicht in die EU eingereist“ betrachtet. Die Mitgliedsländer wollen zunächst 30.000 Plätze in Grenzlagern schaffen, nach vier Jahren sollen es 120.000 sein.

Familien mit Kindern sollen als letztes in die Lager kommen

Anders als von der Bundesregierung gefordert, werden auch Familien mit Kindern durch diese Grenzverfahren gehen müssen. Das EU-Parlament konnte aber immerhin durchsetzen, dass Familien mit Kindern als letzte in die neuen Flüchtlingslager kommen. Ihre Asylanträge sollen als erste bearbeitet werden, und sie sollen „geeignete Aufnahmebedingungen“ vorfinden.

Eine weitere Verschärfung bringt die sogenannte Krisenverordnung. Wenn besonders viele Menschen in die EU kommen, können ihre Rechte weiter eingeschränkt werden. Sie können dann sogar 18 statt normalerweise maximal zwölf Wochen festgehalten werden. Wenn die EU meint, dass die Migranten „instrumentalisiert“ werden – etwa von der Türkei oder Russland – müssen sie sofort ins Lager. Immerhin soll es Rechtsbeihilfe und Einspruchsmöglichkeiten geben. Die EU plant auch einen Solidaritätsmechanismus. Damit will sie jährlich mindestens 30.000 Migranten aus Italien oder Griechenland auf alle Staaten umverteilen. Wer keine Menschen aufnehmen will, kann sich mit einer „Kopfprämie“ von 20.000 Euro freikaufen. Ungarn und Polen lehnen jedoch sogar das ab.

Das Reformpaket muss nun noch von den 27 EU-Staaten bestätigt werden. Dies gilt jedoch lediglich als Formsache. Die Reform könnte also noch rechtzeitig vor der Europawahl verabschiedet werden. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach am Abend von einem „historischen, unverzichtbaren Schritt“.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.