Jelinek in den Kammerspielen München: Die Reichen baden, der Planet ächzt

Elfriede Jelineks neues Stück „Asche“, inszeniert von Falk Richter, stimmt zur Totenmesse für die Menschheit und einen persönlichen Gefährten an.

Eine Frau sitzt in einer Holzbox, daneben Caspar David Friedrichs Gemälde "Mann im Nebelmeer"

Romantische Verklärung der Natur und ihre Zerstörung: Das Verhältnis lotet „Asche“ aus Foto: Maurice Korbel

Plastik, wohin man schaut. Ein ganzer Ozean aus Kunststoffflaschen liegt vor uns, ausgebreitet zwischen Campingstühlen und Strandequipment. Gewiss, „was Neues hätte dem Meer auch gut gefallen“, aber wo der Mensch sich nicht ändert, kann man da erwarten, dass es zumindest diese miesepetrige Natur tut? Auf ihre Weise hat sie sich in Elfriede Jelineks neuem Stück „Asche“, nun uraufgeführt an den Münchner Kammerspielen, durchaus gewandelt, nämlich hin zu einem postapokalyptischen Raum.

Mittlerweile herrscht sengende Hitze, mal stürmt es auf der Bühne, mal steigt über einem riesigen Lavasteinmassiv eine Rauchsäule (Bühne: Katrin Hoffmann) empor. Und damit selbst die letzten Verdrängungskünstler den Weckruf des Planeten vernehmen, stolpert ein um Luft ringender Darsteller (Thomas Schmauser) im Kostüm eines dampfenden Globus durch die Endzeitszenerie. Nichts­desto­trotz sonnen sich hier manche, genauer: die Reichen, die es sich leisten können, zu den noch halbwegs bewohnbaren Flecken der Erde zu reisen.

Wie so oft verfugt die Nobelpreisträgerin Jelinek auch in dieser sarkastischen Weltabrechnung wild die Diskurse. Der Klimawandel erweist sich als das Fanal eines Sorglos-Kapitalismus sowie eines ungebremsten (insbesondere männlich betriebenen) Fortschritts. Letzterer scheint am Ende dieses strikt auf die Katastrophe zulaufenden Abends sogar beinah die Menschheit zu über­leben. Denn als das Parkett entvölkert wirkt, spricht kurzzeitig allein ein projizierter KI-Avatar. Dahinter sah man auf einer großen Leinwand zuvor Videos von biblischen Plagen oder Palastruinen untergegangener Kulturen.

Nun, würde sich dieser Abend allein in die Riege der zahlreichen Klimadystopien der vergangenen Jahre einordnen, ließe sich gewiss über sein Surplus streiten. Doch der Text verspricht, obgleich er nicht zu den stärksten der 1946 geborenen Schriftstellerin gehört, noch mehr. Insbesondere weil er das kollektive Untergangsschicksal mit dem Schmerz des individuellen Abschieds engführt. Falk Richters Regie zeugt dabei von reichlich Fingerspitzengefühl. Zwischen den passenden Bilderfluten in den grotesken, gesellschaftskritischen Szenen bremst er die Dynamik der ausufernden Klagesuaden mehrfach aus, um Raum zu schaffen, für die leisen und melancholischen Momente darin.

Ins Leere sendende Satellitenschüssel

Dann begegnen wir mitunter einer an Jelinek angelehnte Frau (Ulrike Willenbacher), die den für sie letzten, geliebten Gefährten verloren hat. Neben einer ins Leere sendenden Satellitenschüssel hebt besonders eine Szene ihre Einsamkeit hervor: So setzt sich die lebensmüde Protagonistin wie zum eigenen Begräbnis in eine Holzkiste, in der zuvor das Gemälde „Der Wanderer über dem Nebelmeer“ von Caspar David Friedrich auf die Bühne transportiert wurde.

Dieser Augenblick mag zunächst nebensächlich erscheinen und ist doch ein Schlüssel für die gesamte Inszenierung, die permanent mit Anspielungen auf die Romantik arbeitet. Schleifenartig vernehmen wir beispielsweise die gesungenen Verse „Ich bin ausgegangen in stiller Nacht / Wohl über die dunkle Heide. / Hat mir niemand Ade gesagt“ aus Gustav Mahlers „Lieder eines fahrenden Gesellen“.

Dass in ihnen auch das Todessymbol des Lindenbaums aus dem für Jelinek prägenden Gedichtzyklus „Die Winterreise“ von Wilhelm Müller vorkommt, eröffnet eine gewisse Sehnsuchtsperspektive in diesem oft zynischen Werk –­­ zum einen nach dem eigenen Verdämmern, das die Schauspielerin in der Kiste und damit in der Romantik als solcher zu finden hofft, zum anderen in einer zu Beginn des 19. Jahrhunderts idyllischen Landschaftsdichtung.

Ist jene Verklärung der Natur nunmehr ursächlich für ihre heutige, blinde Zerstörung? Oder versteht sie sich stattdessen als Mahnung zu mehr Umweltbewusstsein? Diese Ambivalenz löst die Aufführung zum Glück nicht auf. Übrigens genauso wenig wie die Schriftstellerin selbst.

Jelineks Seeleninneres

Früh wurde ihr durch ihre Mutter als „Inquisition und Erschießungskommando“ (in: „Die Klavierspielerin“) das romantische Musikrepertoire förmlich eingeprügelt, in ihren stets politischen Dramen geben die Referenzen auf diese Epoche hingegen immer wieder Einblicke in Jelineks Seeleninneres, allen voran ihre Entfremdung von der spätmodernen Welt.

Auch deswegen erscheint es nur folgerichtig, den Text auf mehrere Dar­stel­le­r:in­nen zu verteilen. Sie drehen ihre Kreise, verfangen sich in Wortspielen und Widersprüchen, sie klagen und belügen sich selbst. Vor allem über diese eine Wahrheit: „Alles ist verbrannt. Alles ist Asche.“ Was bleibt, ist einzig ein kompositorisch höchst verdichtetes Requiem, trostlos und berührend.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.