Kommerzialisierung der Technoszene: TikTok im Tresor

Die Kommerzialisierung der Technoszene setzt die Branche massiv unter Druck. Auch der Unesco-Status wird diese Entwicklung nicht aufhalten können.

Feiernde im Tresor

Früher war mehr Lametta: Die letzte Party im alten Tresor an der Leipziger Straße im Jahr 2005 Foto: Max Schröder/Ullstein Bild

BERLIN taz | Dröhnende Bässe, exzessiver Drogenkonsum und eine euphorische Aufbruchstimmung prägten die Technoszene in den 90er Jahren. Kreative Köpfe kämpften sich durch ein Labyrinth des Leerstands und des rechtsfreien Raums, um Kultoasen wie das Tacheles und den Tresor zu schaffen. Mehr als 30 Jahre später wird die Szene zunehmend von Kommerzialisierung, Influencer-Raver*innen und -DJs beherrscht. Die einst analogen Synthesizer sind durch hochpreisiges DJ-Equipment ersetzt worden, besetzter Leerstand durch gigantische Veranstaltungshallen, die guten alten Amphetamine durch „Woke Coke“, vermeintlich ethisch hergestelltes Kokain.

Seit diesem Jahr gilt die Berliner Technokultur als immaterielles Unesco-Weltkulturerbe. Es handele sich hierbei „um einen gelebten Gegenentwurf zu klassischen Praktiken des Musikhörens“, so die Begründung der deutschen Unesco-Kommission. Doch wie viel hat die Szene noch mit Subkultur und einem „gelebten Gegenentwurf“ zu tun?

„Kommerzialisierung einer Branche heißt: Es fließt mehr Geld. Mehr Geld heißt: mehr Chancen. Und mehr Chancen heißt für mich: mehr Möglichkeiten, meinen Traum zu leben“, sagt Jonas Barner*. „Ich find's super.“ Der 27-Jährige ist Mitbegründer eines großen Berliner Techno-Labels, dem auf Instagram rund 55.000 Menschen folgen. Das Label, 2020 gestartet, veranstaltet Partys erst ab mindestens 1.000 Gästen und exportiert seine Parteireihen nach Paris, Madrid, Shanghai und Tokio.

„Unser Sound ist grooviger sexy Berghain-Techno“, sagt Barner. Da dieser der „authentische, ursprüngliche Old-School-Techno“ aber nicht kommerziell sei, habe er ein weiteres Label gegründet, womit er nun wiederum „die großen Hallen füllen“ könne. Er hat auch eine Booking-Agentur mit 20 Künstler*innen, die bei ihm unter Vertrag sind, darunter Berliner Szene-DJs. Das Ziel: „Hauptsache, groß. Wir wollen viele Tickets verkaufen, nur große Veranstaltungen und riesige Produktionen machen.“ Und sicher, dadurch riskiere man, dass die Partys an Exklusivität verlieren.

Kritik an TikTok-Raver*innen

Bei einigen Be­su­che­r*in­nen stößt das auf Kritik. „Es hat großartig angefangen, aber mittlerweile ist es zu einer Tiktok-Rave-Partyreihe geworden“, schreibt ein Nutzer im Internet-Forum reddit. Tiktok-Raver*innen sind der Inbegriff der Kommerzialisierung der Szene. Influencer*innen, die zu Techno tanzen, sich dabei filmen lassen und ihr Geld damit verdienen, dass sie die Filmchen dann bei Tiktok hochladen.

Vor allem ältere DJs und solche, die in den sozialen Medien nicht präsent sein wollten, kritisieren die Kommerzialisierung. An Barner perlt das ab. „Ich beschwere mich nicht darüber, sondern akzeptiere, dass die Industrie heutzutage so ist.“ Als Promoter müsse er so viele Tickets wie möglich verkaufen. Also buche er – unabhängig vom musikalischen Talent – den DJ mit den meisten Follower*innen. Barner sagt: „Ob ich das mag oder nicht, ich muss mitspielen, um mein Leben davon finanzieren zu können.“ Auch Clubs wie der Tresor in Mitte müssten mittlerweile „jeden reinlassen“, um ihre Fixkosten zu decken. Der Tresor sei auch nicht mehr „cool“, aber es sei ein funktionierendes Business, Menschen könnten davon leben. „Also warum kritisieren, wenn es dir gut geht?“

Klar ist, dass durch die Kommerzialisierung der Zugang zu einer vermeintlichen Subkultur zu einem Privileg wird. „Die gestiegenen Getränke- und Eintrittspreise machen mir mit am meisten Sorgen“, sagt etwa Lutz Leichsenring zur taz. Er ist Vorstandsmitglied der Clubcommission. Und tatsächlich tragen Preisanstiege bei DJ-Gagen und Bookinggebühren, Energie- und Mietkosten zu immer höheren Clubeintritten bei. Häufig zahlt man für einen Clubeintritt an einem Abend mehr als 20 Euro.

Kommerzialisierung bringt Vor- und Nachteile mit sich

„Die Kommerzialisierung ist aber nicht schwarz-weiß zu betrachten“, sagt Leichsenring. Einige Clubs wie das Ritter Butzke in Kreuzberg könnten dadurch ihre Mit­ar­bei­te­r*in­nen überdurchschnittlich gut bezahlen. Aber, so Leichsenring: „Natürlich wäre es mir lieber, wenn sie weniger Verpflichtungen und Abhängigkeiten hätten.“

Das Problem: Die generelle Entwicklung setzt Clubs unter Druck, ihre Preise zu erhöhen oder kommerziellere Maßnahmen zu ergreifen, als sie eigentlich möchten. Und einige sagen: Bevor wir das mitmachen, schließen wir lieber. „Dadurch fallen immer mehr experimentierfreudige Spaces weg“, sagt David vom queerfeministischen Kollektiv Euphoriot.

Ende vergangenen Jahres schloss der linksalternative Traditionsclub Mensch Meier an der Storkower Straße in Prenzlauer Berg, weil er seinen Gästen die gestiegenen Preise nicht zumuten wollte. Auch das Kulturhaus Kili am Lichtenberger Wiesenweg, ein nach eigenen Angaben „unkommerzieller Technoclub“, schloss im Dezember nach 10 Jahren. Wegen des kaum bezahlbaren Mietmarktes seien sie nach Marburg gezogen, erzählt Inhaber Bashir der taz.

Auch Label-Gründer Jonas Barner und David vom Kollektiv Euphoriot erzählen von bekannten Club­be­sit­ze­r*in­nen und Veranstalter*innen, die sich immer wieder selbst verschuldeten. „Genau darin liegt das Problem: Clubs müssen Miete, DJs und Personal zahlen“, sagt David. „Es kann keine unkommerziellen Clubs geben.“

Unesco-Weltkulturerbestatus soll die Kommerzalisierung aufhalten

Der Kommerzialisierung der Szene einen Riegel vorschieben – genau dazu könnte der Status der Technokultur als Unesco-Weltkulturerbe beitragen. Das glaubt jedenfalls Rave the Planet, die Initiative des Loveparade-Gründers Dr. Motte, die sich für die Aufnahme in die Weltkulturerbe-Liste eingesetzt hat. Neben gesellschaftlicher Anerkennung erhofft sich Rave the Planet von dem Status, dass Hürden und Auflagen bei der Neueröffnung und Erhaltung von Clubs gesenkt werden. Auch könnte der Zugang zu staatlichen Subventionen und gemeinnützigen Förderungen einfacher werden. Da mehrere Kulturorte wegen Gentrifizierung sowieso, aber auch dem geplanten Weiterbau der Stadtautobahn A100 über Treptow hinaus gefährdet sind könnte, so eine weitere Hoffnung, die Erhebung zu einem Schutzgut den Kulturschaffenden ein neues Standing in der Diskussion mit dem Land Berlin und den Behörden geben.

Doch aus der Szene kam auch Kritik an dem Antrag. Einige bemängelten, dass Techno nicht in Berlin, sondern in Detroit erfunden wurde und es an Wertschätzung für die Schwarzen Pio­nie­r*in­nen fehle. Zudem wurde kritisiert, dass der Status die Kommerzialisierung und Institutionalisierung einer Subkultur weiter vorantreibe. Denn Techno sollte ursprünglich ein Gegenentwurf zu dem sein, was Institutionen als kulturell erstrebenswert betrachten. In einem Interview mit der Techno-Zeitschrift Groove rechtfertigte sich Dr. Motte: Die Kommerzialisierung werde durch Gentrifizierungsprozesse, die Inflation und Tiktok angetrieben. Der Unesco-Status hingegen biete eine Form der Anerkennung an, um die Kultur in ihrer ursprünglichen Form weiterbestehen zu lassen.

Lutz Leichsenring von der Clubcommission hält den Unesco-Status für ein „stumpfes Schwert“. Es werde weder die Kommerzialisierung aufhalten, noch werde es sie verhindern: „Die Reputation, die man dadurch erhält, wird bei Fördergeldanträgen oder Gesetzesforderungen nicht schädlich sein, es wird aber keine direkten Auswirkungen haben.“ Auch David gibt sich ambivalent: „Aus Underground-Perspektive ist der erste Impuls natürlich Skepsis. Aber vielleicht wird dadurch das Clubsterben wenigstens ein bisschen aufgehalten und es entstehen Räume für alternativeres Clubleben.“

Ebendiese möchte David zusammen mit seinem Kollektiv schaffen. Sie veranstalten Raves auf Spendenbasis, Solipartys für Spendenzwecke und sogenannte Freetek-Events, also Festivals ohne Werbung und Sponsoren, die sich durch Spendengruppen und Barverkäufe finanzieren. „Wir wollen nicht so weit verbreiteten Genres und unbekannten, vor allem Flinta-, Queer- und PoC-DJs eine Bühne geben“, sagt er. Die Musik, die sie spielen, sei nischig: Gabber, Hardcore-Techno, Acidtek, Frenchcore oder Breakcore. „Leisten können wir uns das nur, weil wir das nicht hauptberuflich machen.“ Seit vergangenem Jahr ist das Kollektiv auch mit einem Wagen auf der Fuckparade vertreten, einer unkommerziellen Parade, die 1997 als Gegenentwurf zur Loveparade ins Leben gerufen wurde.

Forderungen nach mehr Unterstützung für die Szene

„Musik braucht unkommerzielle Räume“, sagt David. Daher fordert er mehr Unterstützung und ein „Ende der Repressionen“ der Freepartys und Raves. „Bei der Fuckparade hagelt es immer Anzeigen wegen Lärmbelästigungen, es gibt zu hohe Auflagen und Polizeipräsenz, Raves werden geräumt, sobald die Polizei von ihnen erfährt, und Zwischennutzungen unterbunden“, sagt er.

Lutz Leichsenring fordert zudem eine Neueinstufung von Clubs als Kultur-, nicht – wie bislang – als Vergnügungsstätten. Denn dadurch würden sie nicht als besonders schützenswert vor der Verdrängung angesehen. Zudem fordert er mehr staatliche Unterstützung. Doch auch das sei „nicht so einfach“, denn die brachten wiederum Abhängigkeiten mit sich.

Wenn Kommerzialisierungsdruck, Abhängigkeiten und Verpflichtungen die Szene bestimmen, liegt die Frage auf der Hand, ob Techno überhaupt noch Subkultur ist. „Darauf gibt es keine Antwort“, sagt Leichsenring. Nur eines steht für ihn fest: „Die Zeiten sind nicht mehr so wie in den 90ern.“

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