Eine Reise mit Risiken: Sauerbananen im Land der Vulkane

Ecuador war wegen der Drogenmafia weltweit in den Schlagzeilen. Kann man dort noch hinreisen, noch dazu mit kleinen Kindern?

Eine Frau liegt auf einer Aussichtsplattform und blickt über eine Landschaft

Aussicht vom Mirador Indichuris auf den Rio Pastaza Foto: Gereon Asmuth

Dann sind sie weg, die Berge. Gerade haben sie sich noch aufgetürmt auf beiden Seiten des Rio Pastaza, an dem wir im Bus entlangfahren. Bis zu 5.000 Meter hohe Gipfel rechts und links des Tales. Doch plötzlich räkelt sich der Fluss, streckt seine Arme aus, beginnt zu mäandern in der sich nun öffnenden Weite des Regenwaldes, die sich ab hier bis zur Tausende Kilometer entfernten Mündung des Amazonas am Atlantik erstreckt. Was für ein Anblick!

Und die Kinder? Der Große liegt neben mir in der letzten Reihe unseres rappelvollen Überlandbusses. Der Kleine schläft auch, den Kopf auf dem Schoß seiner Mutter, die neben mir sitzt. Ein Moment der Ruhe. Für uns Eltern vor allem. Auch das ist viel wert bei so einer Reise. Mehr als ich gedacht habe. Fast so schön wie der Blick auf die vorbeiziehende Landschaft.

Zwei Monate lang wollen wir durch Ecuador reisen. Das Land erkunden, in dem meine Frau länger gelebt hat. Die Chance nutzen, bevor der Große im Sommer in die Schule kommt. Doch die Fragen, die uns in den Wochen vor dem Abflug gestellt wurden, waren immer wieder: Geht das überhaupt? Mit zwei Kindern im Kitaalter? Und gerade jetzt?

Mitte Januar war Ecuador weltweit in den Nachrichten. Der junge Präsident Daniel Noboa hatte den Kampf gegen die seit Jahren mächtiger gewordene Drogenmafia angekündigt. Die stürmte daraufhin ein TV-Studio in der Hafenstadt Guayaquil und zeigte mit gezogenen Waffen live im Fernsehen ihre Stärke. Aufstände in den Gefängnissen wurden angezettelt, bei denen das Wachpersonal mehrere Menschen tötete. Noboa sprach vom „Krieg gegen die Mafia“.

Überraschende Leere

Wir hatten mit Freun­d:in­nen im Land telefoniert und schließlich entschieden: Wir schauen es uns vor Ort an. Wenn es uns zu unsicher wird, ziehen wir in eins der Nachbarländer.

Vor Ort stellt sich schnell heraus, dass das Land ruhig ist. Sehr ruhig. Die Hauptstadt Quito überraschend leer. Außer uns sind Anfang Februar praktisch keine anderen Tou­ris­t:in­nen zu sehen. Selbst in der sonst so quirligen Altstadt sind die Straßen leer. Der Präsidentenpalast an der zentralen Plaza der Altstadt ist von Absperrgittern umgeben, hinter denen ein paar Soldaten stehen. Aber solche Schutzmaßnahmen sind in anderen Ländern auch üblich. Man denke nur an die Gitter rund um den Reichstag in Berlin.

Ungewöhnlich ist nur, dass die meisten Ladenbesitzer schon gegen 18 Uhr, kurz vor dem hier am Äquator rasend schnellen Einbruch der Dunkelheit, die Rollos runterlassen. Es gilt eine nächtliche Ausgangssperre ab 22 Uhr. Aber so lange hält sich offenbar eh kaum jemand draußen auf. Wir schon mal gar nicht. Wir reisen ja mit Kindern.

Richtig hart trifft der Ausfall des Tourismus die ärmeren Schichten. Für viele Ecua­do­ria­ne­r:in­nen ist der Handel auf den Straßen überlebenswichtig. Sie bieten das wenige, was sie haben, aus Kisten oder Lastenfahrrädern, Bauchläden oder einfach aus der Hand den Pas­san­t:in­nen an. Aber wenn es die geldbringenden Tou­ris­t:in­nen nicht gibt?

Corona-Nachwirkungen

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„Schon die Pandemie war schlimm für Ecuador“, erzählt eine Freundin meiner Frau. Corona hatte Ecuador weltweit in die Schlagzeilen gebracht. In Guayaquil, der größten Stadt des Landes, wurden damals die Toten auf die Straßen gelegt.

Nun ist der Tourismus erneut nahezu komplett eingebrochen. Im Nebelwald von Mindo sind wir in dem aus Bambus gebauten Hostal die einzigen Gäste, ebenso oben an der fantastischen Lagune Quilotoa, die auf fast 4.000 Metern Höhe im riesigen Krater eines erloschenen Vulkans liegt.

Der Besitzer des Hostals Café Tiana in Latacunga südlich von Quito stöhnt. Gerade seien mal wieder 20 Gäste im Haus, sagt er. Das sei früher das Minimum gewesen. Jetzt ist es ein glücklicher Ausreißer nach oben. Der Chef nutzt die viele Zeit, um mal wieder seine beeindruckende Sammlung von Bergschuhen zu sortieren. Die bietet er seinen Gästen für Wanderungen auf den 5.900 Meter hohen Vulkan Cotopaxi an, dessen Silhouette mitsamt der Rauchwolke über dem Gipfel man bei gutem Wetter vom Dach des Hostals sehen kann. Nur kommt gerade fast niemand. Noch, sagt der Inhaber, könne er vom Betrieb des Hostals leben, aber er habe Personal entlassen müssen.

Erinnert sich noch jemand an die Berichte über die Reisenden, die sich getraut hatten, während der Coronazeit nach Venedig zu fahren? Und die ansonsten komplett überlaufene Stadt leer und ruhig vorfanden?

So geht es uns jetzt in Ecuador. Wir buchen den Tagestrip auf den Cotopaxi. Nicht auf den Gipfel, nur die Tour für Anfänger. Die soll auch mit Kindern gehen. Man wird über eine extrem rumpelige Piste gefahren, vorbei an Wildpferden, die in der Hochebene grasen, bis auf 4.500 Meter Höhe. Von dort kann man in Serpentinen noch mal 300 Meter höher kraxeln bis zum Refugio, einem Gasthaus unter den Ausläufern der Gletscherzungen. Nebelige Wolken begleiten uns beim Aufstieg.

Zur Attraktion werden

Früher, erzählt unser Guide, habe er diese Tour bis zu siebenmal pro Woche gemacht, meist mit größeren Gruppen, nicht nur mit einer vierköpfigen Familie. Jetzt sind wir seine ersten Kunden seit einer Woche. Längst sind die Bergtouren für ihn nur noch ein Job neben anderen.

Die Luft ist dünn, die Jungs weigern sich, hier oben auch nur einen Meter zu laufen. Der Fünfjährige lässt sich nach einigem Zureden erweichen und versucht es immerhin an meiner Hand. Der Dreijährige streikt. Hartnäckig. Bis unser Guide ihn mit einem Lächeln auf seine Schultern hebt und den Berg raufträgt.

Überhaupt, die Kinder. Sie rauben uns, das darf man nicht verschweigen, den letzten Nerv. Zwei Monate Reisen wird öfter als gedacht zur Herausforderung. Weil die Erwachsenen lieber zum Wasserfall wandern wollen, als schon wieder auf dem Spielplatz zu rutschen. Weil die Jungs nicht schon wieder durch eine Altstadt schlendern wollen, sondern lieber auf den Treppen des Hostals toben. Weil die heiße Schokolade aus dem hier geernteten Kakao einfach zu schokoladig schmeckt.

Aber die Kinder öffnen uns auch Türen, sie sind Anlass für Gespräche mit wildfremden Menschen, die uns zeigen, wie reizvoll das Unbekannte auch für die Ecua­do­ria­ne­r:in­nen ist. Wir staunen über die Freundlichkeit der Menschen, die Gipfel der Anden, die Flüsse im Regenwald und die Riesenschildkröten an der Küste. Sie staunen über die nicht ganz so dunkle Haarfarbe unserer Jungen, die sie schnell mal mit dem Handy fotografieren müssen. Wir ge­hören zu den ganz wenigen Gringos, die trotz der ­schwierigen Lage durchs Land reisen, und werden selbst zur Attraktion.

Ambivalenz bleibt

Die Jungs wiederum entwickeln hier und da sogar eine eigene Sprache für das Erlebte. Was so zitronig schmeckt wie die gelben Granadillas mit ihren glibberigen Kernen, heißt bei ihnen nur noch „Sauerbanane“.

Und es ist großartig, wenn man merkt, dass die Beschäftigung mit Land und Leuten auch bei ihnen Spuren hinterlässt. Etwa wenn der Kleine sich die Landkarte genau anschaut und nach dem Gang aufs Klo stolz verkündet: „Mama, ich hab die Galapagosinseln gekackt.“

Nach den zwei Monaten ist man geneigt, uneingeschränkt von diesem Land am Äquator zu schwärmen. Dann liest man die Meldung, dass bei einer Schießerei an einem der von uns gemiedenen Küstenorte fünf Tou­ris­t:in­nen ums Leben kamen. Und es bleibt ambivalent.

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