Campact-Chef Christoph Bautz: „Festivalcharakter verleihen“

Das Kampagnennetzwerk Campact will den Protesten gegen rechts neuen Schwung verleihen. Geschäftsführer Christoph Bautz darüber, wie das gelingen soll.

Protest gegen den Landesparteitag der AfD in Südheide - ein blaues Schild ragt aus der Menge: No No AfD

Protest gegen den Landesparteitag der AfD in Niedersachsen am 20.04.2024 Foto: Georg Wendt/dpa

taz: Herr Bautz, was hilft gegen rechts?

Christoph Bautz: Auf die Straße zu gehen hilft, das haben wir Anfang des Jahres sehr deutlich gesehen. Hunderttausende haben nach der Correctiv-Recherche klargemacht, dass sie nicht wollen, dass die AfD immer mächtiger wird. Sie wollen unsere Demokratie verteidigen – und das hat sich gelohnt. Die AfD ist in den Umfragen ganz schön eingebrochen.

Mittlerweile sind die Demos gegen die AfD von der Bildfläche verschwunden. Was ist aus ihnen geworden?

Das war eine riesige Protestwelle, die von unten entstanden ist und sich in der Fläche ausgebreitet hat, ein richtiges Bewegungs-Momentum. In der Spitze hatten wir einen Rekord von 317 Demos gegen Rechtsextremismus an einem Wochenende. Diese Welle ist im Moment abgeebbt.

51, Biologe und Politikwissenschaftler. Nach dem Studium baute er die Geschäftsstelle von Attac Deutschland mit auf. Er ist Mitinitiator der Kampagnenorganisation Campact, deren Geschäftsführer er seit 2004 ist

Warum ist keine nachhaltige Bewegung daraus gewachsen?

Es ist klar, dass man nicht über einen langen Zeitraum jeden Tag demonstrieren kann. Aber ich denke schon, dass bei vielen was in Bewegung gekommen ist und wir nachhaltige Erfolge erzielt haben. Zum Beispiel, dass die Desiderius-Erasmus-Stiftung der AfD keine Finanzmittel der öffentlichen Hand bekommt. Oder dass das rechte Compact-Magazin bei sämtlichen Bahnhofskiosken ausgelistet wurde.

Gibt es, abgesehen von diesen punktuellen Erfolgen, einen Stimmungsumschwung gegen die AfD?

Ich glaube ja. Ich war am vergangenen Wochenende in dem kleinen niedersächsischen Dorf Unterlüß, beim Protest gegen den Landesparteitag der AfD. Da waren 3.000 Menschen auf der Straße! Da hatte ich schon das Gefühl, die Welle geht weiter. Zentral dafür ist, dass wir uns als geeinte De­mo­kra­t*in­nen den Rechtsextremen entgegenstellen und die Proteste nicht mit anderen Themen überladen, damit sie in der Breite der Bevölkerung anschlussfähig bleiben.

Allerdings wird der Protest auf diese Art inhaltlich unscharf. Ein strategischer Fehler?

Wir müssen klar formulieren, was wir von der Regierung wollen. Es muss geprüft werden, ob die AfD verboten werden soll, zumindest in den Bundesländern, wo sie vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft wird. Natürlich appellieren wir auch an die Ampel, keine Politik zu betreiben, die den sozialen Zusammenhalt im Land kaputt spart. Wir müssen in die öffentliche Infrastruktur und die Daseinsvorsorge investieren. Dann finden die Leute auch Halt in der Politik und haben das Gefühl, der Staat tut was für sie.

Haben die Demos die Ampel denn klar genug adressiert?

Der Rückgang der Zustimmung zur AfD zeigt, dass die Strategie richtig war. Aber natürlich müssen wir uns auf eine jahrelange Auseinandersetzung einstellen. Und wir müssen uns kritisch fragen: Was haben wir als progressive Linke falsch gemacht?

Was würden Sie antworten?

Vielleicht haben wir zu wenig Verständnis aufgebracht für das, was die Leute im Alltag beschäftigt. Wir reden oft sehr abstrakt über die sozialökologische Transformation. Im entscheidenden Moment, etwa als das Heizungsgesetz kam, hatten wir nicht die richtigen Botschaften parat. Man hätte vermitteln müssen: „Niemand kommt in eure Keller und reißt die Gas- und Ölheizung raus – wenn eine Heizung kaputtgeht und kein Geld da ist, gibt es 70 Prozent Förderung für die Wärmepumpe! Niemand lässt euch im Regen stehen.“

Soll es jetzt die Aufgabe der linken Bewegung sein, die Regierungspolitik zu erklären?

Es geht darum, empathisch zu sein und zu kommunizieren, dass wir angesichts der Klimakrise die ganze Gesellschaft umbauen müssen, aber dabei niemanden zurücklassen. Vielleicht braucht es auch wieder eine linke Identitätserzählung. Was ist das für ein „Wir“, das uns als progressive Linke ausmacht? Ich glaube, da waren wir zu schlecht. Klimapolitisch sind wir total in die Defensive geraten. Joe Biden hat es viel besser gemacht. Mit dem Inflation Reduction Act gibt es in den USA viel Unterstützung für das riesige Klimaschutz-Investitionsprogramm.

Zur Europawahl und den Kommunalwahlen im Juni wollen Sie den Schwung der Bewegung gegen rechts wieder entfachen. Wie?

Es braucht einen neuen Anlass, und den gibt es mit den Wahlen. Für die AfD ist diese Europawahl enorm wichtig. Sie will das europäische Einigungsprojekt zerstören und damit die historische Antwort auf den Faschismus und auf viele Jahrhunderte der Kriege. Die AfD möchte ein Europa der nationalen Egoismen errichten. Da müssen wir gegenhalten. Wir wollen, dass jeder Demokrat und jede Demokratin auf die Straßen geht, seine Mit­bür­ge­r*in­nen aufrüttelt, und dann an die Wahlurnen geht.

Meinen Sie nicht, dass die Menschen, die auf eine Demo gehen, ohnehin wählen gehen?

Ja, klar. Die Menschen, die auf die Demos kommen, sollen als Mul­ti­pli­ka­to­r*in­nen in ihren Bekanntenkreis hinein wirken. Wir haben drei Wäh­le­r*in­nen­grup­pen identifiziert, an die wir uns besonders richten. Die einen sind die „Stay at home-Democrats“, also Menschen, die überlegen, den 9. Juni lieber am Baggersee zu verbringen. Die denken, so wichtig sei das doch nicht, und nehmen sich vor, bei der Bundestagswahl wieder hinzugehen. Denen wollen wir klarmachen: Nein, diese Wahl ist total wichtig!

Wer sind die anderen Gruppen?

Die zweiten sind die „Switcher“, also Leute, die das letzte Mal noch demokratisch gewählt haben und diesmal überlegen, AfD zu wählen. Denen ist nicht klar, wie rechtsradikal die gesamte Partei mittlerweile ist. Die dritte Gruppe sind die Erstwähler*innen, von denen es ja dieses Mal besonders viele gibt, weil das Mindestalter auf 16 herabgesetzt wurde. Das sind sieben Jahrgänge, die sich kaum noch bei klassischen Medien informieren, sondern nur noch auf TikTok, Instagram und Youtube.

Wie wollen Sie die erreichen?

Wir wollen den Demos Festivalcharakter verleihen, indem sich nicht Redebeitrag an Redebeitrag reiht, sondern viele Künst­le­r*in­nen auf den Bühnen stehen. Die richten sich dann ja auch an ihre Social Media-Follower und die wiederum verbreiten die Botschaft weiter.

Sie haben TikTok-Stars für die Demos engagiert?

Wir sind gerade in den Absprachen, es melden sich auch viele Künst­le­r*in­nen von sich aus und fragen, was sie tun können. Wir alle haben TikTok viel zu lange der AfD überlassen. Die gesamte progressive Linke hat TikTok verschlafen. Jetzt müssen wir vor der Europawahl, und auch mit Perspektive auf die Bundestagswahl, TikTok zurückerobern. Das ist nicht einfach, weil der Algorithmus dort Alarmismus und Lügen belohnt, wir aber bei den Fakten bleiben wollen. Aber wir müssen zusehen, dass wir dort Widerspruch organisieren und den Rechtsextremen eigene Inhalte entgegensetzen.

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