Personalmangel in Schulen und Pflege: Bevor die Leute umkippen

Der Fachkräftemangel belastet verbliebene Arbeitskräfte umso mehr. Tariflich festgelegte Personalschlüssel könnten eine Lösung sein.

Bild von einer Demo. Im Zentrum ist ein Protestschild: Keine Klassen Große Klasse

Lehrreich: Päd­ago­g*in­nen in Berlin streiken im Februar 2023 für kleinere Klassen Foto: picture alliance/dpa | Paul Zinken

Kita-Kollaps, Pflegenotstand, Leh­rer:in­nen­man­gel – die Dauerkrisen im Sozialbereich sind vielfältig, die Ursachen sind ähnlich: Der Fachkräftemangel ist mittlerweile so groß, das die Beschäftigten Mühe haben, einem Mindestauftrag an Bildung, Betreuung und Pflege in ihren Jobs gerecht zu werden.

Die Krankenstände werden immer höher, Beschäftigte brennen aus oder kehren dem Beruf vollends den Rücken zu. Wie umgehen mit der ständigen zermürbenden Personallücke – damit die verbliebenen Arbeitskräfte nicht krank werden? Diese Frage rückt zunehmend in den Fokus der Gewerkschaften.

Ganze 14.500 Vollzeitstellen waren im September 2023 bundesweit an deutschen Schulen unbesetzt. Eine Zahl, die sich nach Kultusministerkonferenzangaben bis 2035 auf 68.000 Vollzeitstellen erhöhen soll. Um den Pflegebereich steht es noch schlimmer: Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi rechnet mit einem Personalbedarf von 300.000 zusätzlichen Stellen bis 2030.

„Natürlich müssen die Arbeitsplätze attraktiver werden. Das hat auch sehr viel mit der starken Arbeitsbelastung zu tun“, sagt Ulf Rödde, Pressesprecher der Bildungsgewerkschaft GEW.

Den Personalbedarf erhöhen? Das löst bei Ar­beitge­be­r:in­nen und Politik Abwehrreflexe aus

Während es auf Bundesebene noch bei unverbindlichen Appellen bleibt, streikt die Bildungsgewerkschaft in Berlin seit 2021 regelmäßig für bessere Arbeitsbedingungen durch kleinere Klassen. Doch bislang blockte der Berliner Senat alle Verhandlungsangebote ab und plant im Gegenteil noch, die Klassen zu vergrößern.

Den Fachkräftemangel durch Maßnahmen zu lösen, die am Ende den Personalbedarf erhöhen, das löst bei Ar­beitsge­be­r:in­nen und Politik starke Abwehrreflexe aus. Doch die Gewerkschaften sind sicher, dass sich nur so genügend Nachwuchs für die sozialen Berufe gewinnen lässt. So brechen in der Pflege durchschnittlich 30 Prozent der Auszubildenden vorzeitig ab – einer der branchenweit höchsten Werte.

Umso erfreulicher ist es, dass es Verdi für den Pflegebereich immer öfter gelingt, bessere Arbeitsbedingungen durch Tarifverträge zu erstreiten. In sogenannten Entlastungstarifverträgen (TVE) werden feste Personalschlüssel festgelegt. Werden diese unterschritten, steht den Beschäftigten ein Ausgleich in Form von Freischichten zu.

26 Vereinbarungen bundesweit in Krankenhäusern

Die Beschäftigten der landeseigenen Berliner Kliniken Charité und Vivantes machten 2021 den Anfang, als sie nach 50 Tagen Streik der Geschäftsführung einen Entlastungstarifvertrag abrangen, der bundesweit Schule machte. 2022 folgten sechs Unikliniken in Nordrhein-Westfalen; 2023 die privat geführten Unikliniken in Gießen und Marburg. Bundesweit gibt es mittlerweile 26 solcher Vereinbarungen, zuletzt am Jüdischen Krankenhaus in Berlin-Mitte.

Dass sich Entlastungstarifverträge auszahlen, zeigt das Beispiel Charité. Seit der Einführung kann das Universitätsklinikum einen deutlichen Zuwachs an Be­wer­be­r:in­nen verzeichnen.

Das Erfolgsrezept Entlastungstarifvertrag will Verdi jetzt auch auf den Kita-Bereich ausweiten. In Berlin forderte die Gewerkschaft den Senat auf, über einen „Tarifvertrag pädagogische Qualität und Entlastung“ zu verhandeln. Kern der Forderungen ist, wie an den Kliniken, ein besserer Personalschlüssel.

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