Die Kunst der Woche: Eine Frage des Rückzugs

Zeit, etwas gegen Erschöpfung zu tun. Das dreitägige Kunstfestival „Retreat“ widmet sich Fragen von Prekarität, Erholung, Entkommen und Zusammenhalt.

Auf einem Tisch liegen bedruckte Steinbrocken. Einzelne Silben wie "ung", "Wä", "da", "ri", und "tät" sind zu darauf mit schwarzer Farbe gedruckt.

Solidarität als Rückzugsort mit Şifa Girinci Foto: Courtesy the artist

Um sich erholen zu können, muss man erst mal aktiv werden. So deutet es der Name der Aktionsgruppe Retreat, kurz AGR, die Lukas Fritze, Vince Paul Golly und Sophia Muriel gegründet haben, an. Da haben sie natürlich nicht unrecht, denn die Frage von Rückzugsort und Rückzugshierarchien, die sie nun für ein dreitägiges Festival angekündigt haben, ruft gleich mehrere Assoziationen hervor: Wer kann es sich auf dem neoliberalen Arbeitsmarkt überhaupt leisten, eine Pause zu machen? Wer wird sofort gefeuert oder verliert die Papiere, wer muss trotz Unterbezahlung immer weiter klotzen?

Und ist nicht ein Rückzugsort gerade dann überlebenswichtig, wenn sich der öffentliche Raum und die politische Ordnung non-stop bedrohlich auf das Leben auswirken? Verdrängen aus der Öffentlichkeit steht währenddessen ganz oben auf der neofaschistischen Agenda.

All diese Gedanken können sich ob des Themas „Retreat“ einstellen. Ein individualistischer Wellnessimpuls steht jedenfalls nicht hinter dem Festival, das vom 24.–26. Mai in der Nähe des S+U-Bhf Gesundbrunnen auf einer leeren Ladenfläche stattfindet. Neben Kaffeeklatsch, diversen von KSBM Records kuratierten DJ-Sets, Live-Painting von Bhima Griem und weiteren Performances steht eine Gruppenausstellung mit 24 künstlerischen Positionen im Zentrum des Festivals.

Retreat – Ein Kunstfestival über Rückzugsorte. 24. bis 26. Mai, Brunnenstr. 107; Eröffnung 24. 5., 17 Uhr; Programm 25.+26. 5., je ab 14 Uhr

Die Betrachtungsweisen in der Ausstellung versprechen, vielfältig zu werden: Da ist die Zigarette an Monja Gen­tschows gemaltem Pool, daneben die Sonnenbrille, nur ist das obligatorische Buch durch eine Zeitschrift ersetzt, die per Überschrift gerade mal einen „Kurzurlaub“ zulässt. Mag sein, dass auch die Freizeit eine Erfindung des Kapitalismus ist, aber Rückzug ist nicht immer gleich Eskapismus – und selbst wenn, muss das so schlimm sein?

Julia Eichler, die bei ihren Skulpturen oft architektonische Elemente wie Abdrucke von Mauerwerk einsetzt, bringt verlassene urbane Räume ins Spiel. Durch die Perspektive der Migration denkt Şifa Girinci Rückzugsorte als Praxis der Solidarität. Wie die Bausteine dazu aussehen, welche Kämpfe es braucht, um den Status Quo der (Selbst-)Ausbeutung am Arbeitsmarkt aufzubrechen – im künstlerischen Bereich und in all den anderen prekären Arbeitsfelden – das scheinen ihre Steinhaufen zu fragen, die Buchstabenfolgen tragen und ein Puzzle andeuten, das so einfach eben doch nicht zu lösen ist.

Philip Andrew Crawford wiederum wird sich mit der Doppelbedeutung „escape/entrapment“ beschäftigen – in einer Installation, die bestimmt so makaber und scharfsinnig wird, wie es Crawfords Art ist.

Es gibt genug Gründe, sich komplett zurückziehen zu wollen. Wenn wir aber zum Rückzug gezwungen werden, dann ist eine Aktionsgruppe vielleicht genau das Richtige, um uns an unser Recht auf geteilte Räume und gelebte Solidarität zu erinnern.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.