+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++: Rücktrittsdrohung und Protest in Israel

Minister Benny Gantz setzt ein Ultimatum für einen Gaza-Nachkriegsplan. In Tel Aviv singt ESC-Teilnehmerin Eden Golan bei einer Demo gegen Premier Netanjahu.

Menschen sitzen auf einer Straße unter einem Protestbanner. Andere Menschen stehen daneben, zwei Frauen sprechen durch ein Megafon

Straßenblockade bei Protesten gegen die Regierung Netanjahu am Sonntag in Jerusalem Foto: Ilan Rosenberg/reuters

Militäreinsatz in Rafah wird fortgesetzt

Israel hat auch am Wochenende den umstrittenen Militäreinsatz in Rafah im Süden des Gazastreifens fortgesetzt. Der israelische Armeesender meldete am Sonntag, die Truppen hätten mehrere Schmugglertunnel im Grenzgebiet zwischen dem Gazastreifen und Ägypten gefunden. Außerdem seien Tunnel entdeckt worden, die von Terroristen der Hamas am 7. Oktober vergangenen Jahres – dem Tag des Massakers an mehr als 1200 Menschen in Israel – genutzt worden seien. Einige der Tunnel seien bereits zerstört worden.

Seit Beginn des Militäreinsatzes in Rafah vor rund zwei Wochen haben nach Angaben des UN-Palästinenserhilfswerks UNRWA rund 800.000 Menschen die Stadt verlassen. Erneut sei fast die Hälfte der Bevölkerung von Rafah auf der Straße, beklagte UNRWA-Chef Philippe Lazzarini, am Samstagabend auf der Plattform X. Lazzarini betonte, es gebe für Zivilisten keinen sicheren Ort im Gazastreifen.

In Rafah will die israelische Führung nach eigenen Angaben die letzten dort vermuteten Bataillone der Hamas zerschlagen. Verbündete wie die USA haben Israel wegen der vielen Binnenflüchtlinge wiederholt vor einem großangelegten Angriff auf die Stadt an der Grenze zu Ägypten gewarnt. Israels Führung hält jedoch an ihren Angriffsplänen für Rafah fest.

Der Armeesender berichtete, israelische Repräsentanten wollten die Zahl der bereits aus Rafah geflüchteten Palästinenser dem Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, präsentieren. Sullivan wollte sich am Sonntag in Israel mit Regierungschef Netanjahu, Verteidigungsminister Joav Galant und anderen Regierungsbeamten zusammentreffen, um über den Vorstoß des israelischen Militärs in Rafah sowie über Nachkriegspläne für den abgeriegelten Gazastreifen zu sprechen. (dpa)

Zwei israelische Soldaten getötet

Bei den Kämpfen mit militanten Palästinensern im südlichen Gazastreifen sind zwei israelische Soldaten getötet worden. Das teilt das israelische Militär mit. Die israelischen Streitkräfte konzentrieren derzeit ihre Offensive auf den Süden des Küstengebiets in der Region um die Stadt Rafah an der Grenze zu Ägypten. Dort sollen sich nach Militärangaben die verbliebenen Einheiten der radikal-islamischen Palästinenser-Organisation Hamas verschanzt haben. (rtr)

Netanjahu weist Forderungen von Gantz als „leere Worte“ zurück

Der dem israelischen Kriegskabinett angehörende Minister Benny Gantz hat eine Frist für die Vorlage eines Nachkriegsplans für den Gazastreifen gesetzt und mit seinem Rücktritt gedroht. In einer Fernsehansprache am Samstag sagte Gantz, das Kriegskabinett müsse „bis zum 8. Juni einen Aktionsplan formulieren und verabschieden, der zur Umsetzung sechs strategischer Ziele von nationaler Bedeutung führt“.

Werde der Nachkriegsplan nicht innerhalb der Frist vorgelegt, sei seine Partei zum Rücktritt gezwungen, sagte Gantz in der Ansprache, in der er sich direkt an Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wendete. Zu den sechs Zielen gehörten die Entmachtung der radikalislamischen Palästinenserorganisation Hamas, die Sicherstellung der israelischen Kontrolle über das Palästinensergebiet und die Rückkehr der israelischen Geiseln aus dem Gazastreifen.

Zudem solle eine „amerikanische, europäische, arabische und palästinensische Verwaltung geschaffen werden, die zivile Angelegenheiten im Gazastreifen regelt und die Grundlage für eine künftige Alternative schafft, die nicht Hamas oder (Mahmud) Abbas ist“, sagte Gantz mit Verweis auf den Präsidenten der Palästinenserbehörde.

Netanjahu wies die Forderungen von Gantz als „leere Worte“ zurück, „deren Bedeutung klar ist: Das Ende des Krieges und eine Niederlage für Israel, die Aufgabe der meisten Geiseln, eine weiterhin intakte Hamas und die Schaffung eines palästinensischen Staates“.

Erst vor wenigen Tagen hatte Verteidigungsminister Joav Galant, das dritte Mitglied des Kriegskabinetts, erklärt, er werde nicht auf seinem Posten bleiben, falls Israel den Gazastreifen wieder besetzen sollte. Galant forderte die Regierung auf, Pläne für eine palästinensische Verwaltung zu erstellen.

Gantz ist ein langjähriger politischer Rivale von Netanjahu. Zu Beginn des Gaza-Konflikts trat er in einer Geste der nationalen Einheit dessen Kriegskabinett bei. Sein Abgang würde Netanjahu noch mehr in die Abhängigkeit von dessen rechtsextremen Verbündeten bringen, die eine harte Linie bei Verhandlungen über eine Feuerpause und die Freilassung von Geiseln vertreten und der Meinung sind, dass Israel den Gazastreifen besetzen und dort wieder jüdische Siedlungen errichten sollte. (afp/ap)

20 Tote bei Luftangriff auf das Al-Nuseirat-Flüchtlingslager

Bei einem israelischen Luftangriff im Gazastreifen sind nach Angaben eines Krankenhauses in dem Palästinensergebiet mindestens 20 Menschen getötet worden. Sie hätten 20 Leichen bekommen und es gebe „mehrere Verletzte“ nach dem Angriff auf ein Haus im Al-Nuseirat-Flüchtlingslager im Zentrum des Gazastreifens aufgenommen, teilte das Al-Aksa-Krankenhaus am Sonntag mit. Augenzeugen zufolge ereignete sich der Angriff gegen 3.00 Uhr Ortszeit (2.00 Uhr MESZ). Die israelische Armee erklärte, die Angaben zu prüfen.

Die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa berichtete, dass unter den Verletzten auch mehrere Kinder seien. Einsatzkräfte suchen demnach in den Trümmern weiter nach Vermissten.

Seitdem die israelische Armee Anfang Mai in die südlich gelegene Stadt Rafah eingerückt war, werden auch heftige Gefechte und starke israelische Bombardierungen aus dem Al-Nuseirat-Camp gemeldet. Zusammenstöße zwischen militanten Palästinensern und israelischen Soldaten ereigneten sich zuletzt auch im Lager Dschabalija im Norden des Gazastreifens. (afp)

USA und Iran führen Deeskalationsgespräche

Die USA und der Iran führen Gespräche zur Vermeidung einer Eskalation der Konflikte im Nahen Osten. Man befinde sich in einem laufenden Prozess, erklärten Vertreter der iranischen Gesandtschaft bei den Vereinten Nationen, berichteten staatliche iranische Medien am Samstag. „Diese Gespräche waren weder die ersten noch die letzten“, hieß es in einer Erklärung der Diplomaten, die die Nachrichtenagentur Irna veröffentlichte.

Die iranischen Gesandten bezogen sich auf einen Bericht des US-Nachrichtenportals Axios, nach dem der Nahost-Berater von Präsident Joe Biden, Brett McGurk, und der amtierende US-Gesandte für den Iran, Abram Paley, mit den iranischen Diplomaten Gespräche geführt hätten, die ersten seit einer Gesprächsrunde im vergangenen Januar. Auslöser der Verhandlungen sei der iranische Raketen- und Drohnen-Angriff auf Israel am 13. April gewesen. (rtr)

Gespräche zwischen USA und Saudi-Arabien

Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman und der Nationale Sicherheitsberater im Weißen Haus, Jake Sullivan, haben sich laut saudiarabischen Staatsmedien zu Beratungen über strategische Abkommen zwischen Riad und Washington getroffen. In der saudiarabischen Stadt Dhahran hätten Sullivan und Prinz Mohammed über die „halbfertige Fassung des Entwurfs der strategischen Abkommen zwischen dem Königreich und den USA“ gesprochen, berichteten die Staatsmedien am Sonntag. Die Arbeit an den Vereinbarungen stehe „kurz vor dem Abschluss“.

Die Abkommen gelten als wichtiger Teil der US-Bemühungen, Riad dazu zu bewegen, den Staat Israel anzuerkennen. Diese wurden durch den inzwischen seit sieben Monaten andauernden Gazakrieg erschwert.

Den Staatsmedien zufolge berieten sich Sullivan und Prinz Mohammed auch darüber, „was zwischen den beiden Seiten in der palästinensischen Frage unternommen wird, um einen glaubwürdigen Weg zu einer Zwei-Staaten-Lösung zu finden“. Es sei zudem um die Lage im Gazastreifen gegangen und „die Notwendigkeit, den Krieg dort zu beenden und die Einreise von humanitärer Hilfe zu erleichtern“, hieß es. Nach Angaben des Weißen Hauses soll Sullivan noch am Sonntag nach Israel reisen, um dort Gespräche über den Krieg zu führen. (afp)

„Derjenige, der sie im Stich gelassen hat, muss sie zurückbringen“

In Israel haben wütende Demonstranten erneut gegen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu protestiert und die Rückholung der im Gazastreifen weiter festgehaltenen Geiseln gefordert. „Netanjahu ist verantwortlich dafür, sie nach Hause zu bringen“, riefen sie in Jerusalem am Samstagabend laut örtlichen Medienberichten. „Derjenige, der sie im Stich gelassen hat, muss sie zurückbringen!“, skandierten die Demonstranten. Sie machen den massiv unter Druck stehenden Regierungschef für das Schicksal der Geiseln in den Händen der islamistischen Hamas verantwortlich. Einige hielten auch große Transparente in der Hand, auf denen zu lesen war: „Beendet den Krieg“ und „Hungersnot ist ein Kriegsverbrechen“, wie die Zeitung Times of Israel weiter berichtete.

In Tel Aviv gingen Tausende von Menschen in Tel Aviv auf die Straßen und forderten die Rückholung der Geiseln. Der deutsche Botschafter in Israel, Stefan Seibert, sagte dabei in einer Ansprache: „Wir müssen allen sagen, dass es nichts Wichtigeres gibt, als die Entführten nach Hause zu bringen. Das sollte das oberste Ziel sein“, sagte er der Times of Israel zufolge.

Eine Woche nach dem Eurovision Song Contest (ESC) in Malmö sang die israelische Teilnehmerin Eden Golan bei der Großdemonstration ihr Lied mit dem ursprünglichen Text, wie Medien meldeten. Beim ESC hatte Israel den Text mit dem Titel „October Rain“ auf Druck der Veranstalter ändern müssen, weil er ihnen zu politisch erschien – wegen möglicher Hinweise auf die am 7. Oktober von der Hamas in Israel verübten Massaker. (dpa)

25 Strafanzeigen bei Nakba-Demo in Berlin

Nach einer weiteren Demonstration anlässlich des palästinensischen Gedenktages Nakba mit Tausenden Menschen ermittelt die Berliner Polizei zu 25 Strafanzeigen. Es gehe unter anderem um Volksverhetzung, Beleidigung und Angriffe auf Einsatzkräfte, sagte ein Polizeisprecher am Sonntag. 25 Teilnehmer seien am Samstag bei dem Protestzug vorläufig festgenommen worden, um die Personalien festzustellen. Rund 6200 Menschen hatten sich nach Polizeiangaben in der Spitze beteiligt. Erwartet worden waren etwa 2000 Teilnehmer.

Die Polizei ging immer wieder gegen Demonstranten vor. Es habe vereinzelt Böllerwürfe auf Polizisten gegeben und Pyrotechnik sei gezündet worden, sagte eine Polizeisprecherin. Der Protestzug wurde deswegen mehrfach gestoppt. Weil nach Polizeiangaben von dem Lautsprecherwagen an der Spitze aus verbotene Parolen gerufen wurden, durfte das Fahrzeug nicht mehr mitfahren. Zwischenzeitlich schien ein Abbruch der Veranstaltung möglich. Die Stimmung heizte sich zunehmend auf. Letztlich erreichte die Demonstration aber mit laut Polizei noch etwa 2500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern den Endpunkt an der Spandauer Straße in Berlin-Mitte.

Unter dem Titel „Palestine will be free“ (Palästina wird frei sein) führte der Protestzug vom Oranienplatz in Kreuzberg Richtung Rotes Rathaus in Mitte. In Aufrufen in diversen Internetportalen hieß es zu der Demonstration auf Deutsch, Englisch und Arabisch: „An diesem Nakba-Tag kann kein Verbot, keine Verfolgung, keine Repression uns davon abhalten, Gerechtigkeit und Befreiung zu fordern. Wir sind nicht frei, bis Palästina frei ist.“ Der Nakba-Gedenktag am 15. Mai erinnert an die Flucht und Vertreibung Hunderttausender Palästinenser im ersten Nahostkrieg 1948 nach der Staatsgründung Israels.

Wie üblich hatte die Polizei einige Auflagen für die Demonstration erlassen. So waren unter anderem Aufrufe zu Gewalttaten oder ehrverletzende Parolen verboten. Untersagt waren auch Äußerungen, die die Vernichtung des Staates Israel propagieren, oder Fahnen und Kennzeichen terroristischer Organisationen wie der islamistischen Hamas oder der Organisation Samidoun, für die nach dem Terrorangriff auf Israel am 7. Oktober 2023 ein Betätigungsverbot in Deutschland verhängt wurde.

Die Polizei war nach eigenen Angaben mit rund 500 Einsatzkräften vor Ort. Um eine Dokumentation von Vorfällen zu erschweren, seien Transparente verknotet und Regenschirme aufgespannt worden, hieß es von der Polizei. Viele Demonstranten trugen palästinensische Flaggen, andere reckten Regenschirme in Form einer Wassermelone in die Höhe. Deren Farben – rotes Fruchtfleisch, grün-weiße Schale und schwarze Kerne – finden sich auch auf der palästinensischen Flagge. Auf Schildern und Transparenten war unter anderem zu lesen „Stoppt den Genozid in Gaza“ oder „Schluss mit Besatzungsterror!“. In Sprechchören wurde unter anderem gerufen „Free Palestine, Free Gaza“. (dpa)

Leiche einer weiteren Geisel geborgen

Israelische Soldaten haben die Leiche eines weiteren Israelis im Gazastreifen geborgen. Es handele sich um Ron Benjamin, teilt das israelische Militär mit. Unter Berufung auf Geheimdienstkreise erklärt Sprecher Daniel Hagari, Benjamin sei bei dem Überfall von Kämpfern der radikal-islamischen Hamas auf israelisches Grenzgebiet am 7. Oktober getötet worden. Die Leiche von Benjamin sei zusammen mit den Leichen dreier weiterer Opfer der Hamas gefunden worden, deren Rückführung bereits am Freitag angekündigt wurde. (rtr)

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