Aufklärungstheater am TD: Die Ressource Boden

„Wem gehört das Land?“ Helge Schmidt und Team suchen im TD Berlin nach Antworten auf diese Frage. Das Recherchestück fordert volle Aufmerksamkeit.

Drei Schauspieler*innen verteilen Erde unter einer Gewächshausplane

Das Stück wirbt auch um Verständnis für die Nöte von Landwirten Foto: Fabian Raabe

Beherzt haut Jonas Anders in die Tasten des schneeweißen Klaviers. Er und seine MitstreiterInnen Ruth Marie Kröger und Günter Schaupp haben einen ziemlich spannenden Paragrafen der bayerischen Landesverfassung von 1947 vertont. Wir hören im Dreiklang: „Die Verteilung und Nutzung des Bodens wird von Staats wegen überwacht. Steigerungen des Bodenwertes, die ohne besonderen Arbeits- und Kapitalaufwand des Eigentümers entstehen, sind für die Allgemeinheit nutzbar zu machen.“

Helge Schmidt und Team stellen in ihrer neuen Recherche-Arbeit „Wem gehört das Land?“ dieser klaren Positionierung aus der unmittelbaren Nachkriegszeit (die im Freistaat bis heute in der Verfassung verankert ist) das ausufernde „Land Grabbing“ von heute gegenüber. So gehören den Aldi-Erben gigantische Ackerflächen in Ostdeutschland. Eine Methode, um den Gewinn zu streuen und gleichzeitig Subventionen einzustreichen.

Schmidt und Co. haben breit und tief recherchiert, dann extrahiert. Und so wird in kompakten 70 Minuten, in denen das Zuschauerhirn jede Sekunde gefordert ist, die Landfrage von denkbar vielen Seiten angegangen. Eine extrem gute Dramaturgie (die im Besetzungszettel gar nicht aufgeführt ist!) macht aus den unterschiedlichen Meinungen, Ansätzen, Ideen und Fragen eine spannende Collage.

Für die melancholisch-poetische Note sorgen Zitate aus Dörte Hansens Roman „Mittagsstunde“ aus dem Jahr 2018, der das Verschwinden der bäuerlichen Welt anhand eines fiktiven, aber dennoch sehr konkreten Dorfs in Norddeutschland thematisiert.

Gerechtere Vergütung von Landwirten

„Wem gehört das Land?“ Wieder am 30. und 31. Januar im TD Berlin

Und weil es hier um Landflächen geht, die jahrhundertelang als Ackerland bewirtschaftet wurden und jetzt umgewidmet werden, geht es an diesem Abend auch um den Bauernstand an sich. So wird Felix Löwenstein, Bio-Landwirt und Vorstand des Forschungsinstituts für biologischen Landbau, mehrmals auf die Gewächshausplane gebeamt. Er fordert eine gerechtere Vergütung von Landwirten, damit auch Kleinbauern bis 20 Hektar wieder von ihrem Hof leben können.

Und er fordert, dass jeder für das aufkommt, was er verursacht. So ist die industrielle Agrarwirtschaft, was den Klimawandel betrifft, in einer Täter-Opfer-Rolle. Sie beschleunigt den Klimawandel, aber ächzt schon heute unter seinen Auswirkungen. Sich hier neu aufzustellen ist, so Löwenstein „nicht etwas, was die Bäuerinnen und Bauern allein schultern können. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.“

Unterdessen kauft der niedersächsische Agrarkonzern Lindhorst in der Nähe von Berlin 680 Hektar bewaldetes Land, um darauf einen Solarpark und einen „Gewerbe-Park für Betriebe mit einem hohen Bedarf an Elektroenergie“ zu errichten. Günter Schaupp ist fassungslos: „Ich verstehe die Welt nicht mehr. Eigentlich müssten wir Biosysteme aufbauen, die Kohlenstoff binden. Jetzt roden wir Wälder, um Industrieanlagen zu bauen.“

Längst konkurrieren Landwirte erfolglos mit großen Konzernen um die Ressource Land. Und die wird immer mehr zur Mangelware und damit zum Spekulationsobjekt, das satte Renditen verspricht. Erschüttert ist man über die Tatsache, dass im Agrarbereich die Suizidrate um 50 Prozent höher ist als in der übrigen Bevölkerung.

Offene Rechnung

An die protestierenden Bauern in Berlins Mitte denkt man da. Spannend wäre, wenn diese mit im Saal säßen. Denn dieses nachdenkliche Stück Aufklärungstheater im TD unweit des Alexanderplatzes verurteilt die Landwirte auch beim Rückblick auf die Entwicklung hin zur industriellen Landwirtschaft nicht. Die PerformerInnen zitieren auf der Bühne aus der „Mittagsstunde“: „Sie hatten mit der Landschaft noch eine Rechnung offen. Es schien, als rächten sie sich an all dem Alten.“ Das bleibt so im Raum stehen.

Und dann öffnet sich der Diskursraum hin zum globalen Kontext, schürft in der Geschichte und stoppt bei Belgiens König Leopold II., der sich Ende des 19. Jahrhunderts mit der Gründung einer privaten Finanzgesellschaft an die Ausbeutung der heutigen Republik Kongo machte. Heute befinden sich große Teile von Afrikas Agrarflächen im Besitz der Golfstaaten und Chinas, die diese als Offshore-Farmland nutzen wollen, um damit die eigene Lebensmittelversorgung sicherzustellen.

„Dabei ist gerade in Afrika die eigene Lebensmittelversorgung stark gefährdet, weil die Wasservorräte schwinden und die Bodenerträge sinken – unter anderem als Folge des Klimawandels, für dem Afrika bekanntlich nicht verantwortlich ist“, zitiert Günter Schaupp aus Joan Baxters „Wie Gold, nur besser.“

Für Roman Herre von der Menschenrechtsorganisation Fian wiederum sei das Recht auf die Nutzung von Land, um darauf zu wohnen und sich zu ernähren, ein elementares Menschenrecht, das hier verletzt werde. Kurz vor Schluss bleibt einem das Bild vom gleichgeschalteten Boden, auf dem neutralisierte und geschmacklose Nahrungsmittel wachsen, im Hals stecken. Felix Löwenstein sieht nur eine Möglichkeit, um die rettende Vollbremsung hinzukriegen: die flächendeckende Wiedereinführung der kleinen bäuerlichen Mischbetriebe.

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