Aufmerksamkeitsökonomie: Wer am lautesten schreit

Palmer, Obama oder der türkische Gandhi: Diese Woche brachte einige interessante Ansätze hervor, mit den eigenen Anliegen durchzudringen.

Barack Obama, gefolgt von einem Sicherheitsmann, winkt einer Gruppe von Menschen, die ihn mit dem Smartphone fotografieren

Barack Obama im Kanzleramt, der Mann bekommt Aufmerksamkeit – ob er laut oder leise ist Foto: Kay Nietfeld/dpa

Wenn Frau Dr. Bohne Aufmerksamkeit will, wird sie laut. Sie bellt, springt einen an, macht Randale. Weil sie weiß, dass ich dann meinen Blick vom Buch oder vom Bildschirm abwende, ihr Beachtung schenke und ihr gebe, was sie will: ein Streicheln, ein Leckerli oder ein Spielzeug. Zum Glück ist sie nie aggressiv, sondern einfach nur eine liebenswürdige Rabaukin. Terrier eben. Als ich meiner Hündin beizubringen versuche, dass sie ihre Anliegen auch ohne Krawall vortragen kann, reagiert sie missmutig. „Das müssen Sie Mensch mir gerade sagen!“, erwidert sie. „Wo ihr doch selbst ständig nach Aufmerksamkeit giert, einer lauter als der andere! Wenig liebenswürdig ist das! Dieser Boris Dingsbums zum Beispiel …“

Der Tübinger Oberbürgermeister Palmer war diese Woche ja mal wieder bundesweit in den Schlagzeilen, weil er wie so oft durch verbale Entgleisungen aufgefallen ist. „Der ist jetzt bei den Grünen ausgetreten und will sich professionelle Hilfe holen, wie auch immer die aussehen mag“, sage ich. – „Vielleicht so was wie eine Hundetrainerin?“, antwortet Bohne. „Beim Hundetraining geht es auch oft um ­Selbstbeherrschung und Reflexkontrolle.“

Ich fürchte, sie hat recht: Genau so etwas bräuchte der. Aber es stimmt: Die Lauten geben den Ton an, setzen die Agenda, und die Dreistesten setzen sich sogar durch. Diese Woche waren ein paar Letzte-Generation-Klimaaktivisten bei Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) zum Gespräch eingeladen. Bohne merkt mir an, dass ich davon nicht gerade begeistert bin: dass ausgerechnet die, die Kunst beschmutzen und Leuten auf die Nerven gehen, die nun gerade nicht für Klimaverschmutzung verantwortlich sind, und auf eine, wie ich finde, unangebrachte Art Aufmerksamkeit erzeugen, nun dafür auch noch belohnt werden. „Aber Sie sagen doch selbst immer, dass man laut werden muss gegen Ungerechtigkeit. Also doch auch für Klimaschutz!“, wendet sie ein. „Ich finde ja gut, dass sie miteinander reden“, sagt sie. „Manchmal bekommt man sein Leckerli eben nur, wenn man sehr laut ist.“

Ich erzähle ihr lieber nicht, dass mir diese Woche eine Klimaaktivistin geschrieben hat, man solle aus Klimaschutzgründen lieber keinen Hund halten, denn Hunde würden „unnütz zum CO2-Ausstoß beitragen“. Ich möchte, dass Bohne dem Klimaschutz weiterhin wohlwollend gegenübersteht. Ich sage ihr, dass ich ihren Rat annehmen und es bei der Durchsetzung meiner Bedürfnisse künftig auch mal richtig krachen lassen werde: „Weck den Dreijährigen in dir! Schmeiß dich auf den Boden, schrei, strampel mit allen vieren, dann wird dir dein Wunsch erfüllt!“ – Bohne schaut mich zweifelnd an: „Das meinen Sie jetzt nicht ernst, oder?“ – „Nein“, antworte ich, eigentlich bin ich ja ein Fan der leisen Töne. Ich mag, wenn Menschen leise, aber beharrlich für etwas einstehen.

Wie der türkische Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu, der jahrelang unterschätzt, bisweilen belächelt wurde, jetzt aber die Chance hat, die Wahlen zu gewinnen und Erdoğan abzulösen. Seine Anhänger, schreiben die Medien diese Woche mal wieder, nennen ihn „türkischen Gandhi“, weil er mal aus Protest zu Fuß von Ankara nach Istanbul lief. „Ich würde ihn eher ‚türkischer Rudolf Scharping‘ nennen, weil er so langweilig rüberkommt“, sage ich.

„Die Kunst besteht ja darin, leise, aber nicht langweilig zu sein“, sagt Bohne. „Apropos langweilig, da fällt mir Bundeskanzler Scholz ein. Der hat diese Woche ja in Berlin Obama getroffen, zu einem ‚lovely lunch‘.“ Danach ist Obama in einem Stadion aufgetreten, vor ein paar Tausend Leuten, er hat geplaudert und aus seinem Leben erzählt. „Ruhig, besonnen und leise“, sage ich. – „Nein, der war nach dem Essen mit Scholz einfach fertig mit den Nerven!“, mutmaßt Bohne. Von Obama, finden meine Hündin und ich, können wir alle lernen: Für ein Selfie mit ihm soll er 2.500 Euro kassiert haben. Das werden wir, die wir wegen Bohnes entzückendem Aussehen oft um ein Foto gebeten werden, künftig auch so handhaben: Foto gegen Kohle. Und wir werden es ziemlich laut einfordern.

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