Aufruf zum Generalstreik in Argentinien: Zeichen der Stärke und Schwäche

Argentiniens größter Gewerkschaftsverband ruft zum Generalstreik auf – mit einem Monat Vorlauf. Das lässt Zeit für Einigung mit der Regierung Milei.

Generalstreik in Argentinien

Generalstreiks: eine Demonstration gegen das Reformvorhaben vom argentinischen Präsidenten Milei Foto: telam/dpa

BUENOS AIRES taz | Die argentinischen Gewerkschaften haben zu einem Generalstreik gegen die Politik des libertären Präsidenten Javier Milei aufgerufen. „Wir können nicht akzeptieren, dass alles liberalisiert und die Löhne gedeckelt werden sollen“, sagte Héctor Daer vom dreiköpfigen Gewerkschaftsvorstand der CGT.

Der Kaufkraftverlust bei den Einkommen hat sich seit dem Amtsantritt von Milei im Dezember dramatisch beschleunigt. Sowohl die Löhne als auch die Renten können mit den monatlichen Inflationsraten im zweistelligen Prozentbereich nicht Schritt halten. Im Februar lag die Armutsgrenze bei knapp 700.000 Pesos. Im selben Monat hob die Regierung erstmals den Mindestlohn an, und zwar auf 180.000 Pesos.

Zugleich rollt eine Entlassungswelle durch den öffentlichen Dienst, nachdem der Präsident eine 15-prozentige Stellenstreichung in allen Ministerien, Behörden und staatlichen Einrichtungen verlangt hatte. Allein Ende März wurden rund 15.000 auslaufende Arbeitsverträge nicht verlängert.

Als Gründe für die Streikankündigung nannte die Confederación General del Trabajo denn auch die sinkenden Reallöhne, die massive Entlassungswelle im öffentlichen Dienst, sowie den Beschluss der Regierung, Branchentarifverträge mit mehr als zwölf Prozent Lohnerhöhungen nicht zu akzeptieren.

Die Opposition gegen Milei scheint schwach und zerstritten

Es wäre der zweite Generalstreik in der noch relativ kurzen Amtszeit des Präsidenten. Der erste fand am 24. Januar mit einer Mobilisierung vor dem Kongressgebäude in Buenos Aires statt. Diesmal wollen die Gewerkschaften das Land am 9.Mai lahm legen – ohne eine Mobilisierung auf den Straßen.

Noch am Mittwoch hatten die Granden des Dachverbandes zum ersten Mal mit der Regierung an einem Tisch gesessen. Das Treffen zwischen den Gewerkschaftsführern und Mileis Kabinettschef Nicolás Posse sowie Innenminister Guillermo Francos im Präsidentenpalast soll offen und freundschaftlich verlaufen sein, jedoch ohne konkrete Ergebnisse. Auffällig war, dass das CGT-Vorstandsmitglied Pablo Moyano, der stellvertretende Vorsitzende der mächtigen Transportarbeitergewerkschaft ‚Camioneros‘, nicht anwesend war.

Moyano hatte schon seit Tagen auf einen zweiten Generalstreik gedrängt. Dass der CGT-Vorstand den Streikaufruf nun einstimmig beschlossen hatte, aber den 9. Mai dafür wählte, ist kein Zeichen von Stärke und Kampfeswillen, sondern belegt die interne Uneinigkeit der Gewerkschaftsführung. Man habe den Bruch der GGT gerade noch verhindern können, hieß es anschließend hinter vorgehaltener Hand.

Der Streikaufruf mit einen Monat Vorlauf lässt genügend Zeit für eine mögliche Verständigung zwischen den Gewerkschaften und der Regierung. Vorstandsmitglied Héctor Daer hat bereits die Richtung erkennen lassen. „Es ist inakzeptabel, dass der Staat die Lohnverhandlungen ignoriert und die Ergebnisse nicht genehmigt, wenn sie einmal vereinbart wurden“, sagte Daer in seiner Rede am Donnerstag. So überraschend schnell der Generalstreik jetzt angekündigt wurde, so überraschend schnell könnte er wieder abgesagt werden.

Die Regierung und der Präsident sind sich all dessen bewusst. Milei setzt auf seinen Rückhalt in der Bevölkerung, der sich trotz Inflation und sozialem Elend in den Umfragen um die 50-Prozent-Marke bewegt. Und er profitiert von der mangelnden Führungsstärke der Opposition. Ex-Präsidentin Cristina Kirchner schweigt seit Wochen, ebenso wie der ehemalige Wirtschaftsminister Sergio Massa, der in der Stichwahl unterlegen war. Das alles sind Umstände, die die Gewerkschaftsbosse nachhaltig irritieren und sie einen Generalstreik ohne Streikende fürchten lassen.

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