Aus für Tempo-30-Abschnitte: Bessere Luft mit Nebenwirkungen

Laut Senatsverkehrsverwaltung ist die Rückkehr zu Tempo 50 an Hauptstraßen rechtlich geboten. Umwelt- und Mobilitätsverbände sehen das anders.

Straße mit Autos und Radspur, Schild: Tempo 30, "Luftreinhaltung"

Die Radspur kann bleiben, Tempo 30 nicht: der Tempelhofer Damm Foto: A. Friedrichs/Imago

BERLIN taz | Die Ankündigung von Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU), auf 34 Abschnitten von Hauptverkehrsstraßen die geltende Beschränkung auf Tempo 30 aufzuheben, hat bei Umwelt- und Mobilitätsorganisationen für Aufruhr gesorgt. Aus der Verkehrsverwaltung heißt es dazu nun: Rechtlich ist der Schritt unvermeidlich. KritikerInnen sind dennoch der Ansicht, dass die Behörde ihre Ermessensspielräume stärker ausschöpfen könnte – nicht nur, um bessere Luft, sondern auch weniger Lärm und mehr Sicherheit zu garantieren.

Auf vielen der betroffenen Straßenabschnitte wurde unter Schreiners Vorvorgängerin Regine Günther (Grüne) Tempo 30 angeordnet. Darunter sind etliche kürzere Strecken – wie die Neuköllner Erkstraße oder die Schöneberger Martin-Luther-Straße zwischen Lietzenburger und Motzstraße –, aber auch längere wie die Verbindung Leipziger Straße – Potsdamer Straße – Hauptstraße oder der mittlere Teil des Tempelhofer Damms. Mit dem Herunterbremsen soll nun Schluss sein.

Bereits vor gut einem Monat war CDU-Fraktionschef Dirk Stettner in der Sache vorgeprescht. In einem Papier für seine eigene Fraktion hielt Stettner fest: „Ein flächendeckendes Tempolimit von 30 km/h mag die Fantasie einiger selbsternannter Verkehrserzieher beflügeln. Berlins Hauptstraßen sind aber nicht Fantasia, sondern haben eine wichtige Funktion.“ Verkehrssenatorin Schreiner zieht nun nach, wenn auch in einer komplett anderen Tonlage.

So argumentiert Schreiner, dass Tempo 30 hier auf Grundlage des Berliner Luftreinhalteplans von 2019 angeordnet wurde. Ziel des Plans: die Einhaltung der Grenzwerte für Stickstoffdioxid und Feinstaub, die von der EU-Luftqualitätsrichtlinie vorgegeben und in Deutschland durch die Verordnung zum Bundes-Immissionsschutzgesetz rechtsgültig gemacht werden. Weil die Messwerte seit Jahren unter den Grenzwerten liegen, lasse sich Tempo 30 nicht mehr rechtssicher beibehalten.

Dreckausstoß deutlich reduziert

Die verbesserte Luftqualität ist dabei nicht nur ein Erfolg von Tempo 30, sondern auch der Tatsache geschuldet, dass Pkws, Lkws und Linienbusse mittlerweile deutlich weniger Dreck ausstoßen. Bei BVG-Bussen etwa erfüllte vor 10 Jahren noch die Hälfte lediglich die Euro-Abgasstandards 3 oder 4, heute sind all diese Fahrzeuge nicht mehr unterwegs, gleichzeitig wird die E-Bus-Flotte hochgefahren.

Der BUND verweist darauf, dass die EU auf Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation WHO strengere Feinstaub-Grenzwerte plant, die wieder schärfere Maßnahmen nötig machen werden. Ob das 2030, 2035 oder später der Fall sein wird, ist freilich unklar. Schreiners Verwaltung betont, „künftige Entwicklungen des EU-Rechts oder die Empfehlungen der WHO“ seien „rechtlich nicht anwendbar“. Tempo-30-Anordnungen, die sich auf „eigene Grenzwerte oder WHO-Empfehlungen stützen würden, wären rechtswidrig“.

BUND, der Verein Changing Cities und der Fußgängerverband FUSS e.V. mahnen aber auch an, dass Tempo 30 weniger Lärm und weniger beziehungsweise weniger schwere Unfälle bedeutet. In Sachen Sicherheit könnte sich Schreiners Ankündigung, kein Tempo 50 auf Abschnitten anzuordnen, an denen Kitas oder Alteneinrichtungen liegen, zumindest in einigen Fällen dann auch auswirken. Das wird laut Verkehrsverwaltung gerade geprüft.

Keine Rücksicht wird dagegen auf die Situation von Radfahrenden genommen, die sich die Straßen künftig wieder mit schnellerem Autoverkehr teilen müssen. Nur an fünf der betroffenen Abschnitte seien mittlerweile gemäß dem geltenden Radverkehrsplan Radwege erneuert oder geschaffen worden, so Changing Cities. Auf dem Rest erhöhten sich entsprechend wieder die Risiken. Das sei, so Sprecherin Ragnhild Sørensen, auch aus Sicht der Autofahrenden von Nachteil: „Wer will mit Tempo 50 neben ei­ner*m 10-Jährigen auf dem Fahrrad fahren? Das ist schlichtweg eine Zumutung.“

Beim Thema Lärm gibt es noch eine Hoffnung: „Zur Lösung lärmbedingter Probleme dient der Lärmaktionsplan“, so Schreiners Sprecherin. „Dieser ist derzeit in Arbeit und kann durchaus zu anderen Ergebnissen kommen.“ Martin Schlegel vom BUND ist zwar der Ansicht, dass der Senat auch schon beim letzten Aktionsplan vor dem Problem „kapituliert“ habe. Er fordert die BerlinerInnen dazu auf, im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung für die aktuelle Fortschreibung des Lärmaktionsplans den Entwurf einzusehen, zu kommentieren und, wo nötig, Einwände zu erheben.

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