Ausstellung auf Augenhöhe: Dialog mit dem Ende der Welt

Eine Ausstellung in Lübeck zeigt, wie sich Indigene in Chile und Argentinien an Veränderungen angepasst haben. Entstanden ist gemeinsam mit den Communitys.

Sieben Steinstatuen auf der Osterinsel

Werden auch mit dubiosen Theorien erklärt: Steinstatuen in Ahu Akivi, Rapa Nui Foto: Völkerkunde­sammlung Lübeck

Von den Moai auf Rapa Nui, der Osterinsel, hat fast je­de:r schon mal ein Foto gesehen. Über 880 der kolossalen Steinstatuen verteilen sich in Gruppen über die 160 Quadratmeter große Vulkaninsel im Südostpazifik, mehr als 1.000 sollen es mal gewesen sein.

Wann genau und wozu sie errichtet wurden, ist unklar. Nicht mehr als 1.500 Jahre alt sollen sie sein, stellten wohl Häuptlinge dar und dienten der Ahnenverehrung. Aber auch Fake News und Verschwörungstheorien ranken sich bis heute um sie: Der Schweizer Pseudowissenschaftler Erich von Däniken etwa ist davon überzeugt, dass Außerirdische sie mit Lasern aus dem Vulkanstein geschnitten haben. Solche „Erklärungen“ trauen den Indigenen nicht zu, die Statuen hergestellt zu haben.

Noch ein Mythos rankt sich um die Osterinsel: Die dort lebende Gesellschaft habe sich selbst zerstört, heißt es, durch Raubbau an der Natur. Als der Niederländer Jacob Roggeveen 1722 als erster Europäer dort an Land ging, fand er eine im Gegensatz zur Zahl der Steinstatuen auffällig geringe Bevölkerung vor: maximal 3.000 Menschen. Dass neue Forschungsergebnisse, aber auch Menschen von der Osterinsel, aus Patagonien und Feuerland eine andere Geschichte erzählen, zeigt die Ausstellung „Hoffnung am Ende der Welt – Von Feuerland zur Osterinsel“ der Lübecker Völkerkundesammlung im dortigen Museum für Natur und Umwelt: Die indigene Bevölkerung hat sich demnach auf eine bemerkenswerte Weise an die ökologischen Veränderungen anpassen können, etwa indem sie Steinmulche gegen die Bodenerosion angelegt hat.

Den Anstoß gab ein Schädel

So konnten sich die Rapanui nach der Kolonisation durch das rund 3.500 Kilometer entfernte Chile auch eine eigenständige Kultur bewahren, erzählt Lars Frühsorge, der die Ausstellung kuratiert hat. Anders erging es Indigenen in Patagonien und Feuerland wie den Selk’nam: Als sich Ende des 19. Jahrhunderts europäische Siedler dort niederließen, ermordeten sie die meisten. Lange nahm man an, dass keine Nachfahren der nomadischen Ur­ein­woh­ne­r:in­nen mehr leben.

Frühsorge ist seit 2018 Leiter der Völkerkundesammlung. Entwickelt hat er die Ausstellung in Zusammenarbeit mit Andreas Mieth von der Kieler Universität. Mieth gilt als weltweit führender Ökosystemforscher für die Osterinsel. Vor allem aber ist die Ausstellung im Dialog auf Augenhöhe mit den Menschen entstanden, von deren Kultur sie erzählt.

Da sei der Fund eines Schädels gewesen, erzählt Frühsorge: 2016 wurde die Lübecker Sammlung mit ihren rund 30.000 Objekten erfasst. In einer Kiste mit der Aufschrift „Feuerland“ befand sich jener etwa 100 Jahre alte Schädel. „Das war für mich der Ausgangspunkt zu recherchieren und zu fragen: Wie kommt so ein Schädel in ein deutsches Museum?“

Als das Team feststellte, dass es, anders als die Forschungsliteratur behauptet, noch Menschen gibt, die sich der indigenen Kultur Patagoniens und Feuerlands zugehörig fühlen, reiste Frühsorge im vergangenen Jahr spontan nach Chile, um mit den Nachfahren Kontakt aufzunehmen und darüber zu sprechen, wie europäische Museen künftig angemessen mit solchen Beständen umgehen können.

„Ich habe ihnen offenbart, dass es diesen Schädel gibt und dass wir in Deutschland in einem Prozess sind, uns kritisch mit der Kolonialgeschichte zu beschäftigen, und eine Ausstellung machen möchten, in die sie komplett eingebunden sind“, erzählt er. Deren Erfahrung sei bislang gewesen, zur Schau gestellt zu werden. „In der ersten Videokonferenz haben sie deutlich gesagt: ‚Die Zeit der Völkerschauen ist vorbei!‘“

Dass daraus ein gemeinsames Ausstellungsprojekt entstanden ist, macht Frühsorge stolz. Denn dem Ethnologen geht es darum, Objekte seiner Sammlung nicht ohne Bezug zur Gegenwart auszustellen oder politische Fragen auszuklammern, sondern ein dynamisches Bild zu zeichnen. „Wir können keine reinen Objektausstellungen machen. Eine historische Sammlung kann immer nur der Ausgangspunkt für einen Dialog sein, in dem man gemeinsam mit der Community herausfindet: Was sind eure Bedürfnisse, was wollt ihr, was ist euch wichtig?“

Hoffnung am Ende der Welt – Von Feuerland zur Osterinsel: bis 7. 1. 24, Lübeck Museum für Natur und Umwelt; Infos: vks.die-luebecker-museen.de

Rund 100 Exponate zeigt die Ausstellung nun, etwa Holzskulpturen von der heute baumlosen Osterinsel, von denen ein Paar erst jetzt wieder zusammengefunden hat – ein Teil war nach 1945 von Lübeck nach Hamburg gelangt.

Es geht um Fragen des Klimawandels, um Kolonisation und kulturelle Aneignung, um den angemessenen Umgang mit historischen Objekten. Und letztlich um die Hoffnung und die gemeinsame Verantwortung für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Besonders stolz ist Frühsorge deshalb, dass er auch noch zeitgenössische Kunst zeigen kann – ein ­Impuls, der aus der Community kam.

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