Autobahn in Berlin: Die A100 als Fetisch

Der Autobahnkult, der Beton, die Nazis: Die Ausstellung „A0 – Ein ortsbezogenes Hörspiel an der Autobahn“ setzt sich mit einem Reizthema auseinander.

Was soll daran so sexy sein? Berufsverkehr auf der A100 Foto: dpa

Auf der Hatun-Sürücü-Brücke, nahe des S-Bahnhofs Sonnenallee in Neukölln, sieht man es: das wohl umstrittenste Bauwerk Berlins, die A100. Neben der Stadtautobahn gibt es in Deutschland 13.155 Kilometer Autobahn. Das entspricht in etwa der Strecke zwischen Berlin und Kapstadt. Was verbindet die Deutschen mit der Autobahn? In den endlosen Kilometern aus Beton, die das Land durchziehen, steckt viel Geschichte – und Ideologie.

Die Ausstellung „A0 – Ein ortsbezogenes Hörspiel an der Autobahn“, die am Samstag an der A100 Premiere feierte, befasst sich mit den ganz großen Fragen: Warum sind Autobahn, Autobahnausbau und Tempolimit für Deutsche so emotionale Themen? Und wo liegt der Ursprung dieser Obsession?

Die Medienkünstlerin Caroline Böttcher und die Journalistin Julia Ohlendorf haben die fiktive Soundausstellung konzipiert, die als Audiowalk mit Kopfhörern entlang von Autobahnen gedacht ist. Als Teil der Ausstellung „Operation Beton“ des Museums Neukölln, kann man sich das gut 40-minütige Audio kostenfrei herunterladen und am besten in der Nähe einer Autobahn hören.

Keine wissenschaftliche Auseinandersetzung

In Deutschland gebe es kaum wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit Autobahnen, kritisieren Böttcher und Ohlendorf. Und das, obwohl es ein emotional aufgeladenes Thema sei. Zwar komme der Mythos, die Nazis hätten die Autobahnen gebaut, immer wieder zutage, aber tiefgreifende Literatur gebe es dazu nur wenig.

In sieben auditiven Kunstprojekten kann man beim Audiowalk Klangkompositionen von Kraftfahrstraßen lauschen. Dabei befindet man sich wahlweise im Stau, auf einer Schnellstraße, neben rauschenden Autos oder in einem Tunnel. Auf der Plattform Guidemate ist zusätzlich die Route von der Hatun-Sürücü-Brücke bis zum Britzer Hafensteg zu sehen, was einem neben den bedrückenden Audiostücken ein Verständnis dafür gibt, wie sehr Berlin von Autobahnen durchzogen ist. Wobei das Stück seine Wirkung an jeder Autobahn entfalten dürfte.

Fiktive historische Briefe befassen sich zudem mit den Vorläufern der Autobahn, die die Nazis für sich beanspruchten. Es wird der Toten, die jeden Tag auf den deutschen Schnellstraßen sterben, gedacht, eine Künstlerin verbindet Klänge mit autobahnbezogenen Worten. Es werden aber auch kritische Themen wie die Verbindung deutscher Autokonzerne mit dem Dritten Reich angesprochen, ein Thema, das in Deutschland größtenteils totgeschwiegen wird.

So werden beispielsweise die persönlichen Beziehungen der Familie Quandt, die während der NS-Zeit die meisten Bauaufträge für Autobahnen in Deutschland erhielt und der nach dem Zweiten Weltkrieg Daimler und BMW gehörte, zu Hitler beleuchtet. Oder die unzähligen Zwangs­ar­bei­te­r:in­nen, die bei dem Bau der Autobahnen gestorben sind.

Kulturgeschichte der Männlichkeit

Der Historiker Conrad Kunze hat sich in seinem Buch „Deutschland als Autobahn. Eine Kulturgeschichte von Männlichkeit, Moderne und Nationalismus“, eingehend mit dem Thema Nazis und Autobahnen beschäftigt. Dass darüber so gut wie gar nicht gesprochen wird, erklärt Kunze während des Zwei-Kilometer-Laufs bei der Premiere am Samstag mit einem Schamgefühl darüber, dass die Autobahn von den Nazis gebaut und für ihre Propaganda instrumentalisiert wurden.

Auch die hitzige Debatte um das Tempolimit ist Teil der Ausstellung. Die Nazis hatten das bis 1934 bestehende Tempolimit aufgehoben, 1939 aber wieder eingeführt, erfährt man. Der Grund: Einsparung von Benzin wegen des Kriegs. Eine zweite Einführung des Tempolimits gab es während der Ölkrise 1973. Heute, angesichts des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine, wird erneut darüber nachgedacht. Außerhalb großer Krisen konnte sich Deutschland hingegen noch nie zu einem Tempolimit durchringen.

Wenn heute über Autobahnen wie die A100 gesprochen wird, kommt viel zusammen. Vor allem die Klimafrage war für Böttcher und Ohlendorf ein Grund, sich mit dem Beton in der deutschen Landschaft eingehend zu beschäftigen. Ohlendorf, die in Buenos Aires lebt, wollte wissen, warum die Debatte in Deutschland so unglaublich emotional ist.

Woanders seien Autobahnen in der Stadt kaum Thema, während sie Berlin durchziehen und immer weitergebaut werden. Die Auseinandersetzung ist ihnen gelungen: Die Ausstellung wirft wichtige Fragen zu einem Thema auf, das so alltäglich wie reizvoll ist, dessen historische Komponente aber oft zu kurz kommt.

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