BVB, Verfassungsschutz und Netflix: Vaterländische Flatulenz

Nemand fragt, wer künftig Scholz umarmt. Erdbeeren haben mehr Vitamin C als Orangen. Und dann wären da noch die Borussen.

Olaf Scholz in dunklem Anzug. Er geht alleine über das Rollfeld des Berliner Flughafens BER. Er trägt eine Handtasche.

Walks alone: Olaf Scholz Foto: Kay Nietfeld/dpa

taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?

Friedrich Küppersbusch: Die 96. Minute im Westfalenstadion.

Und was wird besser in dieser?

Wir können schweigen.

Unser Inlandsgeheimdienst nennt sich Verfassungsschutz. Wie könnten wir Personenschützer nennen, die dafür verantwortlich sind, dass sich in Frankfurt ein Autofahrer mit seinem Privatwagen dem Konvoi von Bundeskanzler Olaf Scholz anschließen und diesen auf dem Rollfeld umarmen konnte?

Tendenziell arbeitslos. Die Behördenchefs bis rauf zur Innenministerin kündigen Konsequenzen an, also bei der Bundespolizei, zuständig für den Flughafen, und beim BKA, zuständig für die Bodyguards. Irgendwer hat nicht in den Rückspiegel geschaut, jemand anderes die Nummernschilder nicht kontrolliert. Aber niemand fragt, wer künftig Scholz umarmt und ihm einen guten Tag wünscht. Traurig.

Account-Teilen wird teurer. Netflix will seine Umsatzeinbrüche mit Zusatzkosten für Nut­ze­r*in­nen ausgleichen. Gehen Sie da mit?

Klassiker. Der Dealer gibt den ersten Schuss umsonst, und hängt man dran, wird’s teuer. Interessant, dass ein Standard-Abo plus 1 Gast haarscharf bei der öffentlich-rechtlichen Haushaltsgebühr landet, ein komfortableres Angebot deutlich drüber. Klar, Netflix ist kein Zwang, doch was alles gegen die ÖR-Gebühr polemisiert wird, läuft in diesem Vergleich schwungvoll ins Leere. Fernsehen kostet, Punkt. In den frühen TV-Jahren rüstete man sich mit Bier und Kartoffelsalat, um Nachbarn zu überfallen, die bereits ein Empfangsgerät hatten. Das hatte eine sehr vorübergehende soziale Wirkung. Mein Schwager könnte damit handeln inzwischen.

CDU und CSU möchten ein „Bundesprogramm Patriotismus“ einführen, das die Sichtbarkeit nationaler Symbole im öffentlichen Raum und den 3. Oktober als „verbindenden nationalen Erlebnismoment“ stärken soll. Ein Ziel: das „Integrationspotential“ von Patriotismus nutzen. Kann das funktionieren?

Ein auch in dieser Höhe verdientes 3 zu 0 gegen England; ein ausnahmsweise mal authentischer deutscher Beitrag zum ESC und ein paar pünktliche ICEs: Das täte mehr Wirkung als der 60er-Jahre-Souvenirshop von Friedrich Merz. Kohls 3. Oktober wie auch der zufällige 23. Mai als Verfassungstag sind nicht durchblutet, ein deutscher Schicksalstag wäre eher der 9. November. Kernsatz der vaterländischen Flatulenz ist die Warnung, das schlaaandige Potenzial „keinesfalls den gesellschaftlichen Rändern zu überlassen“. Hinterm patriotischen Schaum dräut Angst vor AfD und Linksnationalen wie Wagenknecht. Patriotismus entsteht, wenn es so okay läuft, dass man keinen braucht.

Ist es Ihnen noch wichtig zu wissen, wer nun die Nord-Stream-Gaspipeline hat explodieren lassen?

Ja, wegen des Schwejk-Faktors. „Nach dem Krieg um halb sechs“ treffen sich alle Überlebenden im Wirtshaus und finden, Nord Stream war eigentlich eine gute Idee. Geboren in der Ära Jelzin, dessen knallkorrupte Oligarchie auch von den USA durchgefüttert wurde, auch mit klarem Blick auf gute Geschäfte mit russischem Gas und Öl. Nach Putin mag das dann wieder so sein. Regime-Change in Moskau ist ein Ziel der aktuellen Choreo, und ob nun westliche, russische, ukrainische Täter es waren: Es wird eine fein absurde Pointe werden, wenn es je rauskommt. So schimpft der Rohrspatz.

Orangensaft wird immer teurer. Grund dafür sind schlechte Ernten in Brasilien, wo 90 Prozent der Orangen für Säfte angebaut werden. Auf welches Produkt auf O-Saft-Basis können Sie diesen Sommer verzichten?

Auf frisch erpressten. Menschenrechtsorganisationen schreiben von „Sklaverei-ähnlichen Arbeitsverhältnissen“ in den Herstellungsländern. Außerdem blicke ich bei „Konzentrat“, „auf Fruchtsaftbasis“ oder „hat schon mal von Ferne eine Orange gesehen“ nicht durch. Jetzt Erdbeerzeit – je nach Rücken selber pflücken, dabei auf den Schweinekapitalismus schimpfen und: die haben mehr Vitamin C als Orangen. Ätsch.

Amsterdam hat zur Bewältigung seines Übertourismus-Problems ein Kiffverbot rund um den Stadtkern eingeführt – für Tou­ris­t*in­nen und Einheimische. Wäre das auch eine Idee für Dortmund oder Berlin?

Der Tag, an dem Dortmund ein Übertourismus-Problem angehen muss, möge kommen.

Und was machen die Borussen?

Wir müssen nicht unentschieden spielen, wir sind es wirklich.

Friedrich Küppersbusch ist Journalist, Produzent und überfußballt

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