Bafög-Erhöhung für Studierende: Unerfüllte Versprechen der Ampel

Eigentlich wollten SPD, Grüne und FDP die Bedarfssätze für Studierende erhöhen. Doch Bildungsministerin Stark-Watzinger (FDP) hat andere Prioritäten.

Viele Student:innen in einem vollen Hörsaal

Stu­den­t:in­nen im großen Hörsaal zum Wintersemester 2023/24 an der Uni Köln Foto: Christoph Hardt/imago

BERLIN taz | Die Erhöhung des Bürgergelds zum Jahreswechsel von 502 auf 563 Euro hat eine Schattenseite. Studierende kennen sie gut. Sie haben in der Regel keinen Anspruch auf Sozialleistungen wie das vormalige Hartz IV. Es gibt schließlich Bafög. Das aber wurde zum letzten Mal im Sommer 2022 angepasst. Somit liegt der „Grundbedarf“ beim Bafög weiter bei 452 Euro – 111 Euro niedriger als das aufgestockte Bürgergeld. Und die Differenz wird bald noch größer. Denn das Bürgergeld wird wie Renten oder Diäten regelmäßig erhöht. Das Bafög hingegen nicht. Studierendenverbände klagen die Ungerechtigkeit seit Jahren an.

Nun befasst sich der Deutsche Bundestag mit der Frage. Am späten Donnerstagabend steht die „Überprüfung der Bedarfssätze“ des Bafög auf der Tagesordnung. Für die Grünen wird Laura Kraft, Abgeordnete aus Siegen und Obfrau ihrer Fraktion im Bildungsausschuss, ans Rednerpult treten. Sie werde eine regelmäßige Anpassung der Bafög-Sätze fordern, sagt sie der taz. Das habe man im Koalitionsvertrag versprochen. „Die Erhöhung der Beiträge und der Wohnpauschale ist mehr als überfällig“, so Kraft.

In vielen Städten könnten sich mittlerweile nur mehr jene Studierenden die Miete leisten, die finanziell von den Eltern unterstützt würden. „Das Bafög reicht zum Leben schon lange nicht mehr“. Erst recht nicht, seitdem Inflation und hohe Heizkosten Studierende hart träfen. Das Absurde aus Krafts Sicht: Die Haus­häl­te­r:in­nen im Bundestag haben Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) in diesem Jahr sogar 150 Millionen Euro extra für das Bafög versprochen – sofern Stark-Watzinger die lange versprochene Bafög-Strukturreform so fix umsetzt, dass sie bereits zum kommenden Wintersemester 2024/25 greift. Und wenn sie, so die zweite Bedingung für die 150 Millionen-Spritze, die Beitragssätze „an die steigenden Lebenshaltungskosten“ anpasst.

Damit soll „die Förderung den stark gewachsenen Lebenshaltungskosten der Studierenden sowie ihrer veränderten Lebens- und Studienrealität gerecht“ werden. Bis dahin bleibt das Geld gesperrt. So hat es der Haushaltsausschuss in seiner Bereinigungssitzung im November beschlossen. Doch nun mehren sich die Zweifel, ob Stark-Watzinger den Studierenden überhaupt mehr Bafög zahlen möchte.

Keine Erhöhung, dafür Starthilfen

In einem Referentenentwurf zur ausstehenden Bafög-Reform aus dem Bundesbildungsministerium (BMBF), der der taz vorliegt, ist jedenfalls von höheren Bafög-Sätzen keine Rede. Stattdessen greift der Entwurf andere Versprechen aus dem Koalitionsvertrag auf: Darunter eine „Studienstarthilfe“ für Menschen aus sozial benachteiligten Familien. Sie sollen einmalig 1.000 Euro für Bücher, IT-Bedarf oder Kaution für die Miete erhalten. Auch ein „Flexibilitätssemester“ ist geplant, das die Förderungshöchstdauer über die Regelstudienzeit hinaus (um ein Semester) verlängert. Beim Studienfachwechsel ist mehr Kulanz vorgesehen. Zudem sollen erneut die Freibeträge erhöht werden.

Dank dieser Änderungen würde das Bafög „noch stärker an die Lebensrealitäten der Empfängerinnen und Empfänger anpasst“, teilt eine BMBF-Sprecherin auf Anfrage mit. Auf die nicht gestiegenen Beitragssätze geht sie nicht ein. Für Studierendenverbände ist der Entwurf eine Enttäuschung. „Es ist ein Skandal, dass das Bildungsministerium es hier erneut verpasst, nachzubessern“, sagt Lisa Heidenreich, Mitglied im Bundesvorstand der Juso-Hochschulgruppen. Sie fordert „angemessene Förderbeiträge, mit denen man heutzutage auch wirklich studieren kann“.

Laut der jüngsten Sozialerhebung des Deutschen Studierendenwerkes muss mehr als ein Drittel aller Studierenden mit weniger als 800 Euro im Monat auskommen. Ein WG-Zimmer kostet nach einer Studie des Moses Mendelssohn Instituts mittlerweile im Schnitt fast 460 Euro. Auch deshalb fordert Heidenreich, dass der Entwurf „zurück in die Montagehalle“ müsse – eine Anspielung auf den ebenfalls stark kritisierten BMBF-Entwurf zur Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes.

Matthias Anbuhl, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Studierendenwerks, bezeichnete den vorgelegten Entwurf angesichts der explodierenden Lebensmittel- und Energiepreise als „blutleere Klein-Novelle“. Vor allem zeigte sich Anbuhl irritiert, dass das BMBF in seinem Entwurf nur 62 der in Aussicht gestellten 150 Millionen Euro ausgeben möchte. Der Studierendenverband fzs fürchtet, dass das BMBF dabei schon an die 200 Millionen Euro denkt, die das Ressort in diesem Jahr noch einsparen soll.

Entscheidung fällt womöglich in Karlsruhe

Auch im Bundestag dürfte Kritik an der geplanten Novelle laut werden. Der Unionspolitiker Thomas Jarzombek, der auch im Bildungsausschuss sitzt, wirft der Ampel vor, Bafög-Empfänger:innen mit der steigenden Inflation und den hohen Mietkosten alleinzulassen. „So wird die Notlage der Studierenden nicht gelöst“, schrieb Jarzombek auf Facebook. Und auch die Koalitionspartner gehen auf Distanz. Die Grüne Laura Kraft betont, dass der BMBF-Referentenentwurf „kein gemeinsamer Entwurf der Koalition“ sei. Sie hofft, die Bafög-Strukturreform „im parlamentarischen Verfahren“ nachzujustieren. Allen voran bei der Anpassung der Bafög-Sätze.

So ähnlich sieht das auch die an der Regierung beteiligte SPD. „Wir müssen einerseits dringend die Bafög-Sätze erhöhen, um gut mit den aktuellen Preissteigerungen umzugehen“, sagt der bildungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Oliver Kaczmarek, der taz. Andererseits müsste mit der nächsten Bafög-Reform ein „Anpassungsmechanismus“ eingeführt werden, damit das Bafög auch mit künftigen Preissteigerungen Schritt halten könne. Diese beiden Punkte fehlten im BMBF-Entwurf, so Kaczmarek. Den Vorschlag des Haushaltsausschusses hält er für einen guten Weg, um die Reform umzusetzen.

Und die Zeit drängt. Im Februar müsste die Bafög-Reform wohl ins Kabinett gehen, wenn sie tatsächlich schon zum neuen Wintersemester gelten soll. Dafür muss sich Stark-Watzinger neben SPD und Grünen auch mit den Haus­häl­te­r:in­nen einigen. Vielleicht entscheidet aber auch das Bundesverfassungsgericht. Dort wird derzeit eine Klage einer ehemaligen Studentin gegen zu niedrige Bafög-Sätze geprüft. Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits 2021 Zweifel geäußert, dass die niedrigen Bafög-Sätze mit dem Grundgesetz vereinbar sind.

Ob das Bafög das „ausbildungsbezogenes Existenzminimum“ gewährleistet, muss jetzt Karlsruhe klären. Es wäre nicht das erste Mal, dass das Bundesverfassungsgericht die Ampel an ihre Pflichten erinnert.

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