Bananen im Sozialismus: Das erste Opfer der Revolution

Die Internet-Linke stritt die Woche über eine aus der Zeit gefallen wirkende Frage: Wird es im Sozialismus Bananen geben? Ein Aufruf zur Mäßigung.

Synchron tanzende Frauen in gelben Röcken und 40er Jahre Look halten überproportionale Bananen in die Luft

1943: Werbung für Südfrüchte Foto: 20thCentFox/Courtesy Everett Collection/imago

In manchen Ecken dieses Internets gibt es ein beliebtes Format, das immer wieder zu hitzigen Diskussionen führt: „Wird es im Sozialismus xy geben?“ Nachdem die Frage durchgenudelt wurde, ob es noch Restaurants im Arbeiterparadies geben wird oder nicht, war diese Woche die Banane dran.

Ausgelöst hatte die Debatte ausgerechnet John Belamy Foster. Der bekannte ökosozialistische Denker ist Herausgeber des Magazins Monthly Review, worin er in der letzten Ausgabe für Degrowth plädierte. Degrowth ist ein Reizthema für viele angelsächsische Linke, die, obwohl der Begriff wenig genau ist, den Unterstützern von Degrowth unterstellen, sie wollten den Menschen das schöne Leben vermiesen.

Um der oft gehässigen Debatte etwas entgegenzusetzen, postete der linke Schriftsteller Malcolm Harris ein Gedankenexperiment. Harris wurde mit einem Buch über Millennials bekannt, das dem Händeringen über den moralischen Zerfall der nächsten Generation eine materialistische Analyse der letzten dreißig Jahre entgegenhielt, und gerade hat er eine Historie des Silicon Valley und des kalifornischen Kapitalismus herausgegeben. Er kennt sich also aus mit den wirtschaftlichen Grundlagen sozialer Veränderungen.

Das Experiment lautete: Anhand des Beispiels der Banane solle man sich überlegen, ob in einer besseren, gerechteren Welt unsere gewohnten Konsumgüter noch genauso verfügbar wären wie heute. Harris kam zum Schluss, dass Bananen wohl kaum mehr in der Menge und zu dem Preis produziert würden, wenn die Plantagen­arbeiter Kontrolle über ihre Arbeitsbedingungen hätten. Wer würde denn freiwillig zehn Stunden am Tag härteste und lebensgefährliche Arbeit machen, nur um Europa und Nordamerika mit billigen Südfrüchten zu versorgen? Die moderne Cavendish-Banane ist schließlich vollständig ein Produkt des Kapitalismus und Imperialismus, von Monokultur und Kolonialismus. Doch mit diesem Gedanken trat Harris erst recht eine Welle der Empörung und Gegenempörung los.

Nur Menschen ohne Kinder haben was gegen Bananen

Besonders das Argument, die Bananenkritiker wollten den armen, geknechteten Arbeitern des Globalen Nordens etwas wegnehmen, verbreitete sich schnell. Ein besonders gut laufender Tweet zum Thema empörte sich, dass nur Menschen ohne Kinder was ­gegen Bananen haben könnten. Offenbar erfordert Kindspflege im Globalen Norden heute, dass Menschen im Globalen Süden in sklavereiähnlichen Bedingungen leben müssen.

Aus deutscher Warte ist diese Debatte natürlich besonders absurd, weil die Frage von Bananen und Sozialismus gegen den Realsozialismus in Stellung gebracht wurde (in Form des berüchtigten Titanic-Covers in besonders ekelhafter, mysogyner Art).

Aber hier sind gewisse ideologische Pathologien von der anderen Seite des Atlantiks sichtbar. Als vor einigen Jahren eine neue amerikanische Linke im Windschatten von Bernie Sanders und des Magazins Jacobin auf den Plan trat, die sich dieses in den USA bisher von einem Tabu belegte Etikett „sozialistisch“ gab, fragten sich in Europa viele, was denn nun mit „sozialistisch“ gemeint sei. Sozialdemokratie skandinavischer Prägung? Klassischer Keynesianismus? Oder doch etwa so richtig mit Rumms Planwirtschaft und Kommunismus?

Als Antwort darauf bekam man von den Ver­tre­te­r:in­nen der US-Linken meist zu hören, das sei Sophismus, Haarspalterei ohne jeglichen praktischen oder strategischen Nutzen. Aber wenn man sich nun solche Debatten ankuckt, wird doch offensichtlich, wie wichtig die Klärung gewisser Grundannahmen ist. Einen solchen Haufen uninformierter Takes hat man nämlich schon lange nicht mehr gesehen.

Vom Konsum her denken, statt von der Produktion?

Selbst bei Leuten, die sich öffentlich als Linke, gar als Marxisten oder Sozialisten bezeichnen, ist offenbar der Gedanke wenig präsent, von der Produktion her zu denken statt vom Konsum. Sie fragen, was denn die privilegierten Verbraucher der Industrieländer wollen, statt sich zu überlegen, was die überausgebeuteten Arbeitskräfte des Globalen Südens denn für ein Leben wählen würden, hätten sie denn diese Wahl. Sie denken, um mit einem etwas aus der Mode geratenen, aber nützlichen Begriff zu sprechen, über die Arbeiteraristokratie nach, nicht über alle Entrechteten und Ausgebeuteten.

Man muss es immer wieder in Erinnerung rufen: Bei der Bereitstellung billiger Güter sind die Käufer im Globalen Norden nicht die Arbeiterklasse, um die es hier geht, sondern die Menschen, die in den Fabriken Bangladeschs die Fast-Fashion von H&M und Konsorten zusammennähen oder, um beim diskutierten Beispiel zu bleiben, die Arbeiter auf den Bananenplantagen.

In der Diskussion wird ein seltsames Beharren auf den Verhältnissen offensichtlich. Alles soll sich ändern, damit alles gleich bleiben kann, wie heute. Einfamilienhaus, SUV, Bananen en masse – aber für alle. Wünsche und Bedürfnisse sind in dieser Sicht zwangsläufig Begehren nach materiellen Gütern. Dass man ein komplett anderes Leben möchte, ist nicht vorstellbar.

Der olle Karl hat man geschrieben, er wolle „keine Rezepte für die Garküche der Zukunft“ liefern, denn Diskussionen darüber, wie denn genau die bessere Zukunft aussehen soll, bringen uns dabei nicht weiter, diese auch zu erreichen. Aber eins kann man sicher vorhersagen: Jeden Tag eine Banana für ein paar Cent wird es in einer gerechteren Welt bestimmt nicht geben. Dafür ganz anderes, was uns das Leben versüßt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Redakteur taz2, zuständig für Medienthemen. Interessiert sich auch für Arbeitskämpfe und sonstiges linkes Gedöns, aber auch queere Themen und andere Aspekte liederlichen Lebenswandels. Vor der taz einige Jahre Redakteur im Feuilleton der Zeit und als freier Journalist in Europa, Nordamerika und dem Nahen Osten unterwegs gewesen. Ursprünglich nicht mal aus Deutschland, aber trotzdem irgendwann in Berlin gestrandet. Mittlerweile akzentfrei.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.